HERFORD

Die fernen Tage in Teresienstadt

Beatrice Stresemann und Harry Rothe in der neuen Ausstellung in der Gedenkstätte Zellentrakt

Beatrice (heute Stresemann) und Harry Rothe in der Ausstellung im Zellentrakt. Ein halbes Jahr ihrer Kindheit fand in Theresienstadt statt. In der Ausstellung gibt es auch Informationen über sie. | © FOTO: RALF BITTNER

Hartmut Braun
23.04.2012 | 21.10.2021, 16:40

Herford. Vor allem die Angst ist ihr in Erinnerung geblieben; auch der Hunger im Lager, aber vor allem die Angst. Zum Beispiel die, dass das geflochtene Köfferchen mit ihren Habseligkeiten beim Transport zurückbleiben könnte. Dann musste der Bruder sie trösten. "Es wird bestimmt nachgebracht." Er hatte Recht. "Ich hatte ganz viel Vertrauen zu meinem Bruder", erinnert sich Beatrice Stresemann. "Wir waren unzertrennlich."

Beatrice war 5, Harry Rothe 7 Jahre, als die beiden Kinder der Herforderin Ilse Obermaier von den Niederlanden über Bergen-Belsen nach Theresienstadt transportiert wurden, in das angebliche Musterlager, die "Judenstadt", die der Führer den Juden gebaut hatte. 67 Jahre später stehen die Geschwister in der Ausstellung über die Kinder in Terezin oder Theresienstadt in der Herforder Gedenkstätte Zellentrakt im Rathaus. Zu sehen sind Zeichnungen, Gedichte und Texte jüdischer Kinder. Und Harry Rothe, heute Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, überlegt in seinem Grußwort, "wo diese Kinder die Kraft hergenommen haben, so etwas zu machen."

Renée Claudine Bredt erinnert an die Ilse Weber, die Szenen und Gefühle aus dem Lager in Gedichten ausgedrückt hat. - © FOTO: RALF BITTNER
Renée Claudine Bredt erinnert an die Ilse Weber, die Szenen und Gefühle aus dem Lager in Gedichten ausgedrückt hat. | © FOTO: RALF BITTNER

Er selbst hat kaum noch Erinnerungen an seine sechs Monate in Terezin, seine Schwester nur ein bisschen mehr. "Das Böse haben wir nicht gesehen und nicht verstanden", sagt Harry Rothe.

Vorher waren die beiden Kinder, getrennt von der Mutter, von einer holländischen Familie versteckt worden, "von gütigen Menschen", wie Harry heute sagt. Dann wurden sie verraten – und deportiert.

Nach der Befreiung aus dem Lager und der Rückkehr nach Holland hat sich ein Psychologe der dramatisch abgemagerten Kinder angenommen. Und die Mutter war wieder da, von der sie zweieinhalb Jahre getrennt waren. "Wir mussten ihr nie etwas über diese Zeit berichten", erinnert sich Harry Rothe. "Das Vergessen hat eine heilende Kraft; dafür sind wir dankbar."

Natürlich werden die Geschwister, die wieder in Herford (Harry) und Bad Salzuflen leben, oft nach diesen Geschehnissen gefragt. In der Ausstellung gibt es eine Tafel mit ihren knappen Erinnerungen; auch der Herforder Wolfgang Heidemann kommt zu Wort, auf einer Tafel und einem kleinen Film von Jutta und Jürgen Heckmanns aus dem Jahr 2005. Erinnert wird an Mirjam Rosenthal, die fünfjährig von Terezin nach Auschwitz und in den Tod gebracht wurde; und an die Geschwister Frank, die überlebten.

"Es ist gut, dass solche Ausstellungen gezeigt werden", sagt Beatrice Stresemann, die voller Dankbarkeit dafür ist, dass sie trotz allem ein glücklicher Mensch habe werden können.

"Wenn jemand flüchtet,werden alle andere erschossen", hatte man den Deportierten auf dem Weg nach Theresienstadt gesagt. Es gibt da einen Satz, den nach der Festnahme in Holland irgendjemand der kleinen Beatrice auf den Weg gab: "Jetzt hast Du einen einen weiten Weg vor Dir . . . ." Das war einer der Sätze, die die Angst verstärkten – und die blieb, als das Köfferchen wieder aufgetaucht war.

Information

Im Zellentrakt

Die Wanderausstellung "Kinder im KZ Theresienstadt" des Studienkreises Deutscher Widerstand ist für Herford ergänzt um vier großformatige Tafeln über die Herforder Kinder im KZ.

Zu sehen ist ein Film von Jutta&Jürgen Heckmanns, in dem Wolfgang Heinemann zu Wort kommt.

Zellentrakt, Sa und So 14-16 Uhr oder nach Vereinbarung, www.zellentrakt.de