US-Experte aus dem Kreis Herford: „Anhänger stehen wegen Trumps Fehltritten zu ihm“

Wie nehmen Sie aktuell die Stimmung im Land wahr? Wie gespalten sind die USA? Christian Hänel: Die USA sind nicht so tief “gespalten”, wie das allenthalben medial vermittelt wird. Ich komme durch meinen Job viel herum im Land. Bin zwischen den Küsten unterwegs, im Süden, im Mittleren Westen, auch abseits der Metropolen. Wirklich überall begegne ich typisch amerikanischer Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Nachbarn unterstützen sich gegenseitig, engagieren sich als Freiwillige, sind in Schulen, Kirchen, Sportvereinen aktiv. Und das unabhängig von politischen Ansichten, Geschlecht, Alter, Hautfarbe oder Einkommen. Das ist die Realität, die echte Realität. Die virtuelle Realität sieht hingegen ganz anders aus. Sogenannte soziale Medien mit ihren Algorithmen, die absurde Verschwörungstheorien befördern, säen Misstrauen und Hass. Genau diese negativen Emotionen adressieren extreme Politikerinnen und Politiker, verstärken sie, schüren Ängste bis hin zum Verfolgungswahn. In Zeiten umfassender Digitalisierung und atemberaubenden Fortschritten im Bereich der Künstlichen Intelligenz wird die Deutungshoheit der virtuellen Realität in der politischen Öffentlichkeit zunehmend größer. Alle Infos: Liveticker zur Präsidentschaftswahl in den USA Kamala Harris hatte einen guten Start, schien zuletzt aber zu stagnieren. Hat sie Fehler gemacht? Kamala Harris hat es seit Ende Juli auf beeindruckende Art und Weise geschafft, einem Rennen wieder Leben einzuhauchen, das schon gelaufen schien. Sie hat die Basis der Partei (re-)mobilisiert und neue Rekorde in der Spendeneinwerbung aufgestellt. Ihre offizielle Nominierung auf der Democratic Convention im August in Chicago war ein perfekt inszeniertes Spektakel der positiven Botschaften, coolen Acts und mitreißenden Atmosphäre. Diese Wiederbelebung der Basis war für die Partei dringend notwendig. Denn es sind auch und vor allem die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer, die im Wahlkampf mitentscheidend sind. Im wahrsten Sinne des Wortes ziehen sie von Haus zu Haus und kämpfen um jede einzelne Stimme. Im September folgte das einzige TV-Duell zwischen Harris und Trump – ein glasklarer Sieg für Harris. Ihr ansonsten sehr TV-affiner Gegenkandidat ging der direkten Konfrontation seitdem konsequent aus dem Weg und lehnte das Angebot eines weiteren TV-Duells ab. Im Oktober begeisterte sie große Menschenmengen auf zahlreichen festivalartigen Wahlkampfveranstaltungen. Mit prominenten Unterstützerinnen und Unterstützern wie Barack und Michelle Obama, Bruce Springsteen, Beyoncé, Willie Nelson, Oprah Winfrey und anderen tourte sie durch das Land. Taylor Swift schickte ihren Millionen Followerinnen und Followern eine leidenschaftliche Wahlempfehlung für Harris. Sie hat das Rennen um die Präsidentschaft wiederbelebt und in kürzester Zeit die Menschen und die finanziellen Mittel mobilisiert, die es brauchte, um wieder wettbewerbsfähig zu sein. Eine Stagnation oder bedeutende Fehler kann ich mit Blick auf die vergangenen drei Monate nicht erkennen. Wie ist es zu erklären, dass trotz seiner Fehltritte und Skandale viele US-Wähler noch immer Trump wählen würden? Der harte Kern der Trump-Anhängerschaft steht nicht trotz, sondern wegen seiner Fehltritte und Skandale zu ihm. Das ist wie ein Personenkult. Diese Wähler sehen in Trump den einzigen Vertreter ihrer Interessen, den einzigen Beschützer ihres “wahren” Amerikas. Rassismus, Xenophobie und politische Gewalt werden in diesem harten Kern als Mittel zum Zweck toleriert. Die Stimmen des harten Kerns würden nicht ausreichen, um zu gewinnen. Es kommen Wähler hinzu, die die Ausfälle und Skandale Trumps nicht gutheißen und dennoch für ihn stimmen. Diese Gruppe ist nicht klein und durchaus heterogen. Statistisch sind diese Menschen vor allem im ländlichen Raum in der Mehrheit, aber sie leben auch in den Metropolen, auch wenn es dort mehr Wähler der Demokraten gibt. Trump-Wähler sind auch Kolleginnen und Kollegen, Kommilitoninnen und Kommilitonen, Mitarbeitende, Verwandte, Vorgesetzte, durchaus repräsentativ für verschiedene Bildungs-, Berufs- und Einkommensgruppen. Warum sie Trump wählen? Weil aus ihrer Sicht alles und jeder besser ist als etwas, das sie für &bdquo;radikal links“ halten. Und dieses alles und jeder ist Trump. Was meinen Sie denn mit &bdquo;radikal links“? Trump-Wähler empfinden es als Bedrohung von einer &bdquo;radikalen Linken“, was von politisch &bdquo;progressiven” Demokraten als notwendig und positiv betrachtet wird (zum Beispiel humanitäre Hilfe für Flüchtlinge, Unterstützung von Einwanderung, rückwirkender Erlass von hohen Studiengebühren für Universitätsabsolventen aus Steuermitteln etc.). Sie empfinden es als eine Bedrohung ihrer Werte, ihres Wohlstands, ihres eigenen Lebensmodells. Genau hier wirkt das Gift der sozialen Medien. In extrem rechten Meinungsblasen werden absurdeste Verschwörungstheorien salonfähig gemacht. So ging ein einzelner Social-Media-Post von hundeessenden Einwanderern in Springfield, Ohio einen Weg bis vor ein Publikum von mehr als 67 Millionen Amerikanern, als sich Trump im TV-Duell mit Harris echauffierte, dass Migranten amerikanische Haustiere verspeisen würden. Die Ausfälle und die gefährlichen Absurditäten der politischen Rechten sind hinlänglich bekannt und diskutiert. Was auch diskutiert werden sollte, sind die Fragwürdigkeiten auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Für den nach eigener Einschätzung besonders progressiven Teil der demokratischen Partei ist es beispielsweise gesellschaftlicher Fortschritt, wenn das Konzept von nicht mehr als zwei biologischen Geschlechtern ad acta gelegt wird und das Wort &bdquo;Mutter” durch &bdquo;gebärende Person” ersetzt wird. Dies wirkt verunsichernd auf viele Menschen. Linke Meinungsblasen in den sozialen Medien brandmarken diese Menschen als fortschrittsfeindlich und reaktionär. Und für diese Menschen ist im Zweiparteiensystem der USA Trump die einzige Alternative. Was würde es für Deutschland bedeuten, wenn Trump gewinnt? Was, wenn Harris gewinnt? Egal, wer gewinnt: Deutschland wird mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen und seine eigenen Ziele klar formulieren und verfolgen müssen. Ob Harris oder Trump siegt, beide werden weiterhin substanzielle Verteidigungsausgaben von Deutschland einfordern. Beruhigend ist sicher, dass der Kongress im letzten Jahr relativ geräuschlos eine Gesetzesänderung verabschiedet hat, die einen Austritt der USA aus der NATO allein auf Geheiß des Präsidenten nicht mehr erlaubt. Wirtschaftspolitisch werden sowohl Harris als auch Trump vor allem nationale Interessen in den Vordergrund stellen. Und die Exportnation Deutschland wird mit Blick auf ihre Beziehungen zu China unter Umständen zu schmerzhaften Entscheidungen gezwungen sein, egal wer die Wahl gewinnt. Denn die US-amerikanische Chinastrategie ist unter Demokraten wie Republikanern deutlich robuster als die deutsche, im Austarieren zwischen Partnerschaft, Wettbewerb und Rivalität. Lesen Sie auch: Erdrutschsieg für Kamala Harris bei der US-Wahl - Klingt schräg, aber möglich Also ist es irrelevant, wer gewinnt? Ob Harris oder Trump am Ende vorne liegen, wird sehr unterschiedliche und sehr spürbare Auswirkungen auf das deutsch-amerikanische Verhältnis haben. Die Botschaft von Harris ist Zukunftshoffnung und Weltzugewandheit. Trumps Botschaft ist und bleibt &bdquo;America First“. Harris steht für Pluralismus und Debatte, Trump für ein nationalistisches Amerika, in dem er als unantastbarer Anführer durchregiert. Harris und Trump verkörpern vollkommen gegensätzliche Visionen, Kommunikations- und Politikstile. Was erwarten Sie, wenn Trump verlieren sollte? Wie werden seine Anhänger reagieren? Ein weiterer, nicht mehr ganz zeitgemäßer Aspekt des US-Wahlsystems ist die sehr lange Zeit des Prozesses: Vom Tag der Wahl des Präsidenten oder der Präsidentin am 5. November bis zur Amtseinführung am 20. Januar vergehen elf (!) Wochen. In dieser Zeit finden allerhand Ereignisse statt, die bis zur letzten Präsidentschaftswahl lediglich zeremoniellen Charakter hatten – und so gut wie keinerlei mediale Berichterstattung fanden. Da kommen zum Beispiel die Electors in den Bundesstaaten zur Stimmabgabe gemäß den Ergebnissen vom Wahltag zusammen, es zertifizieren die Gouverneure die Wahlergebnisse und schicken diese nach Washington, und schließlich bestätigt der Kongress das Resultat. Seit den Wahlen 2020 ist klar: All diese eigentlich rituellen Wegmarken bieten Einfallstore für Anfechtung und Manipulation des Wahlergebnisses. Sollte Trump verlieren, ist damit zu rechnen, dass er das Ergebnis nicht akzeptiert. Er hat ja auch bis heute nicht das Wahlergebnis von 2020 akzeptiert. Der harte Kern seiner Anhängerschaft wird ihm treu bleiben.

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