Nahverkehr in Herford: Neue Verkehrsgesellschaft plant Umbruch

Herr Warnecke, seit Anfang September sind Sie Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft des Kreises Herford. Wie sind Sie in Herford angekommen und aufgenommen worden? Andreas Warnecke: Die Kolleginnen und Kollegen der Kreisverwaltung haben mich sehr nett empfangen. Es war alles perfekt vorbereitet, sodass wir von Tag eins an mit der Arbeit beginnen konnten. Mit der Umgebung konnte ich mich bisher nur in Ansätzen vertraut machen, aber das, was ich gesehen habe, gefällt mir sehr gut. Der Kostendruck im ÖPNV-Sektor wird als Hauptgrund genannt, weshalb die Gründung einer solchen Gesellschaft nötig war. Können Sie das näher erläutern? Bis in die jüngere Vergangenheit konnte in vielen Teilen Deutschlands Busverkehr durch Unternehmen in eigener finanzieller Verantwortung – also weitgehend ohne öffentliche Zuschüsse betrieben werden. Dabei lag der Schwerpunkt des Angebots allerdings in der Regel auf dem Schülerverkehr. In letzter Zeit haben sich jedoch maßgebliche Rahmenbedingungen des ÖPNV verändert. Zu nennen sind hier der Fahrgastrückgang bedingt durch die Corona-Pandemie, die Folgen des Angriffskriegs auf die Ukraine unter anderem auf den Energiemarkt, die Einführung des Deutschlandtickets, der sich mehr und mehr verschärfende gesetzliche Rahmen zur Abwendung der Klimakrise sowie die allgemeinen Anforderungen der Städte und Gemeinden an einen guten ÖPNV. Unter diesen neuen Rahmenbedingungen ist ein kundengerechter ÖPNV ohne finanzielle Zuschüsse durch die öffentliche Hand deutschlandweit so gut wie unmöglich. &bdquo;Wir sind mit einem schlagkräftigen Team unterwegs“ Wie viele Mitarbeiter hat die neue Verkehrsgesellschaft und welche Aufgaben sind dort jeweils angesiedelt? Stand jetzt sind wir zu dritt, jedoch werden wir schon in den nächsten Monaten wachsen, sodass wir mit einem schlagkräftigen Team die erste Inbetriebnahme vorbereiten können. Gerade am Anfang ist es wichtig, dass wir intensiv mit den Busunternehmen hier im Kreis Herford sprechen. Lesen Sie auch: Stadt Herford stellt ihren Busverkehr neu auf Die Städte Herford und Bünde, die eigene Verkehrsgesellschaften haben, sind nicht unter dem Dach der Verkehrsgesellschaft des Kreises. Ist das nicht ein Nachteil? Das würde ich nicht so sehen. Es ist im ÖPNV deutschlandweit schon immer so gewesen, dass verschiedene ÖPNV-Aufgabenträger, Gesellschaften oder Unternehmen Schnittstellen haben und sich untereinander abstimmen. Ich war vor einigen Jahren im Dreiländereck Belgien-Niederlande-Deutschland tätig. Dort fahren beispielsweise seit Jahrzehnten belgische Busunternehmen im Auftrag von deutschen kommunalen Unternehmen und umgekehrt – ohne jegliche Probleme, sogar vor der Währungsunion, da brauchte man zwei bis drei Kassen an Bord. Wird die neue Verkehrsgesellschaft auch unter dem Dach des Nahverkehrsverbundes Ostwestfalen-Lippe agieren? Wir werden uns selbstverständlich aktiv in das Netzwerk Verkehrsverbund Ostwestfalen-Lippe beziehungsweise OWL Verkehr einbringen. Erste Kennenlerngespräche haben bereits stattgefunden oder sind vereinbart. &bdquo;Mit dem Deutschlandticket konnte das Tarifabitur abgeschafft werden“ Oft wird das Deutschlandticket als Grund für die finanzielle Notlage des ÖPNV-Systems angesehen. Dabei hat dieses Ticket insgesamt rund 13 Millionen neue Kunden angelockt. Lösen Sie den scheinbaren Widerspruch einmal auf. Die finanzielle Notlage des ÖPNV ist durch das Zusammenwirken einer Vielzahl von Faktoren entstanden, die fast gleichzeitig aufgetreten sind. Dazu gehören insbesondere die Auswirkungen der Corona-Pandemie, des Angriffskriegs auf die Ukraine sowie der Abwendung der Klimakrise. Zusätzlich ist zu nennen die mangelnde Investition in das Gesamtsystem ÖPNV über Jahrzehnte. Durch das Deutschlandticket ist es trotz höherer Kundenzahl zu einem Rückgang der Einnahmen gekommen. Dafür konnte mit dem Deutschlandticket das sogenannte &bdquo;Tarifabitur“ abgeschafft werden, was ich als großen Vorteil ansehe. Bei all den genannten Faktoren geht es letztendlich um eine faire Verteilung der finanziellen Lasten zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Lesen Sie auch: Die Hälfte aller Wege legen die Herforder mit dem Auto zurück Die Personalknappheit ist auch im Busgewerbe groß. Warum denken Sie, dass Sie für die neuen Angebote im Kreis Herford genügend Kapazitäten akquirieren können? Die Rahmenbedingungen sind in der Tat schwierig. Deswegen möchten wir das Gewinnen von Fahrpersonal durch frühzeitige Abstimmung mit den lokalen und regionalen Partnern, also den Busunternehmen, der Arbeitsagentur, der IHK, dem Verkehrsverbund Ostwestfalen-Lippe und so weiter, gut vorbereiten, damit es auf keinen Fall zu einer gegenseitigen Kannibalisierung kommt, sondern wir als Gemeinschaft von Unternehmen gemeinsam den zur Verfügung stehenden Bestand an Fahrern und insbesondere auch an Fahrerinnen vergrößern können. &bdquo;Für viele Menschen wird das eigene Fahrzeug das Hauptverkehrsmittel der Wahl bleiben“ Manche Menschen sagen, die Verkehrswende sei bereits gescheitert, der ländliche Raum so weit abgehängt, dass er keine sinnvolle Alternative zum Individualverkehr darstellen könne. Wie ist Ihre Meinung? Zunächst würde ich den Kreis Herford mit einer Bevölkerungsdichte von fast 600 Einwohnern pro Quadratkilometer nicht als klassisch ländlichen Raum bezeichnen. Außerdem profitiert der Kreis Herford von einem starken Rückgrat an Schienennahverkehr-Verbindungen und –stationen sowie den Ausläufern der Bielefelder Stadtbahn, die man im ländlichen Raum so nicht antreffen würde. Ausgehend davon gilt es, die ÖPNV-Erschließung des Kreises Herford möglichst gut auf die lokalen Anforderungen zuzuschneiden. Trotzdem wird für viele Menschen das eigene Fahrzeug das Hauptverkehrsmittel der Wahl bleiben, weil der ÖPNV auf ihre jeweils individuellen Anforderungen nicht ganz passt. Das ist selbst in vielen größeren Städten der Fall.

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