50 PS und 1,1-Liter-Motor: Ein Bünder und sein Opel Kadett aus den 1970ern

Kreis Herford. Er hat viele Geschichten zu erzählen, der in Bünde lebende Kulturvermittler Jörg Militzer. Nicht nur als &bdquo;Jabbelpott“ aus der Historie der Region, sondern – wie er am Wochenende beim Oldtimer-Treffen anlässlich des Herbstfestes in Bruchmühlen wieder unter Beweis stellte – auch aus der Geschichte des Kraftfahrzeugbaus. Doch nicht nur die Modell- und Markenhistorie der einzelnen Fahrzeuge liefern ihm zahlreiche interessante Anekdoten, oftmals verknüpft er mit einzelnen Zwei- und Vierrädern auch deren ganz eigene, teils besondere Geschichte. Eine solche erzählt er hier nun auch der &bdquo;Neuen Westfälischen“. Als der mittlerweile 61-Jährige in Herne zur Welt kam, bewohnte die fortan vierköpfige Familie 48 Quadratmeter im Dachgeschoss, heizte mit Kohle und erfreute sich im Winter an den Eisblumen auf den Fensterscheiben. An ein Telefon oder gar ein eigenes Auto war zu dieser Zeit gar nicht zu denken. Erst Jahre später konnte ein 500-ccm-Bolide mit zwei Zylindern und satten 15 PS für geliehene 350 DM erworben werden, was aber wieder eine ganz eigene Geschichte wäre. Im direkten Umfeld waren vierrädrige Kraftfahrzeuge in jenen Tagen noch recht selten vertreten. Wer zu diesem Zeitpunkt aber bereits &bdquo;automobil“ war, das waren die Großeltern, genau genommen die Großmutter mütterlicherseits. Erstes Auto war ein VW Käfer Bereits Anfang der 1960er Jahre hatte Oma Regina den Führerschein der damaligen Pkw-Klasse 3 erworben und da sich neben der Fahrschule auch gleich ein Kraftfahrzeughändler befand, war die Wahl des fahrbaren Untersatzes schon fast vorbestimmt, zumal die dort feilgebotenen Modelle des niederländischen Herstellers DAF über ein ganz tolles Detail verfügten. Die sogenannte &bdquo;Variomatic“, ein stufenloses Automatikgetriebe, kam den Vorstellungen der 1918 geborenen Automobil-Novizin sehr entgegen, zumal das lästige Kuppeln und Schalten schon in den Fahrstunden nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zählte. Doch der angetraute Opa Hans intervenierte und so parkte alsbald ein Volkswagen in dem zur Garage umgebauten, ehemaligen Schweinestall des eigenen Hauses. Dieses Exemplar, des als Käfer bekannten VW Typ 1, war Baujahr 1956 und verfügte neben den damals noch üblichen, mechanischen Winkern als Fahrtrichtungsanzeiger, über ein Faltschiebedach, wie sich der Enkel noch heute erinnert. Ansonsten ist die familiäre Überlieferung zu diesem Fahrzeug eher dünn, denn in der frühen Phase seiner automobilen Begeisterung hat der spätere Oldtimerfan mehr Spaß an der Abbildung eines Wolfes im kleinen Wappen auf der vorderen Kofferraumklappe gehabt, als an technischen Details. Ein Auto aus dem Werk in Bochum Dies änderte sich, als Oma Regina und Opa Hans in ihrer Ansicht übereinkamen, dass ein 16 Jahre altes Auto auch mal durch etwas Neues ersetzt werden dürfte. Da der (aktuell 91 Jahre alte) Vater des heutigen Bünders seit Ende der 1960er Jahre bei Opel in Bochum arbeitete, war die Wahl eines entsprechenden Ersatzes schnell getroffen. Das Bochumer Werk des Rüsselsheimer Massenherstellers war schließlich extra für ein einzelnes Modell errichtet worden, den 1962 vorgestellten Opel Kadett. Und so befasste sich Sohn beziehungsweise Enkel Jörg schon vor dem Autokauf mit den bunten Prospekten der zu Beginn der 1970er Jahre bereits angebotenen, &bdquo;B“ genannten, zweiten Modellreihe. So groß die Begeisterung des damaligen Grundschülers für Extras wie einen 90 PS leistenden, 1,9 Liter Motor, Zusatzscheinwerfer und -instrumente oder die schwarz abgesetzte Lackierung des Rallye-Modells auch gewesen sein mag, für die Großeltern galten andere Maßstäbe. Sie wählten eine zweitürige Limousine in Basisausstattung und ergänzten diese durch einige, wenige vernunftorientierte Extras. Dass dies eine Drehstromlichtmaschine, die heizbare Heckscheibe oder auch eine verstärkte Batterie war, wirkt aus heutiger Sicht etwas kurios. Und auch 13-Zoll-Räder, eine Verstellung des Beifahrersitzes oder eine vom Fahrgastraum zu öffnende Motorhaube würde sich heute kaum ein Hersteller mehr trauen auf die Aufpreisliste zu setzen. Vollgetankt für 24 Deutsche Mark Da der Großmutter zu diesem Zeitpunkt die volle Geschäftsfähigkeit per Gesetz noch vorenthalten war, wurde der in bronze-metallic lackierte Opel Kadett dem Großvater in Rechnung gestellt und am 3. November 1972 erstmals auf seinen Namen zugelassen, wie aus einer Reihe von erhaltenen Dokumenten hervorgeht. Unter anderem ist dadurch auch die erste Fahrt zur Tankstelle dokumentiert, bei der 37,5 Liter Normalbenzin getankt wurden. Der damalige Literpreis betrug 64 Pfennige und so belief sich die Gesamtrechnung auf 24 DM, worin die Mehrwertsteuer in Höhe von 11 Prozent bereits enthalten war. Rund sechs Monate später wurde dann schon die 1.000-Kilometer-Inspektion beim örtlichen Opel-Händler durchgeführt und nach wenig mehr als zwei Jahren zeigte der Wegstreckenzähler bereits die fünffache Laufleistung an. Mit dem Tod des Opas im Jahre 1975 wurde seine Frau zwar als zweite Halterin im damals üblichen Kraftfahrzeugbrief verewigt, doch die jährlich zurückgelegten Kilometer wurden seither stetig weniger. Schließlich fuhr die Oma nur noch &bdquo;alle zwei Jahre zum TÜV und zwischendurch zum Friedhof“, wie es der Enkel heute mit einem Augenzwinkern umschreibt. Als sie das Autofahren mit 81 Jahren aufgab, hatte der 17-jährige Wagen gerade einmal 18.000 Kilometer gelaufen. Kadett im Dornröschenschlaf Nun hätte der Opel Kadett B ja für wenige hundert Mark den Besitzer wechseln können, doch – da der Besitzerin eine Wohnung mit Garage zur Verfügung stand – meldete der Enkelsohn das Auto ab und es fiel in einen Dornröschenschlaf. Obwohl diese Ruhepause nicht wie im Märchen 100 Jahre andauern sollte, ist für ein Auto eine solche Zeit der Untätigkeit auch nicht die beste Wahl. Als nach einem knappen Jahrzehnt die Auszeit beendet war, zeigte sich jedoch, dass der Werbeslogan &bdquo;Opel – der Zuverlässige“ durchaus seine Berechtigung hatte. Während sich ein vier Jahre alter Fiesta in der Nachbargarage partout nicht zum Leben erwecken lassen wollte, reichte dem Kadett eine neue Batterie und ein kurzes Drehen des Zündschlüssels. Auch eine weitere Ruhephase überstand der kleine Opel ohne größere Schäden, wie die soeben frisch erteilte TÜV-Plakette bestätigt. Mittlerweile hat er zwar 27.000 Kilometer auf dem Buckel, doch schnurrt der 1,1 Liter-Motor nach wie vor wie ein Kätzchen, ohne dass jemals ein größeres Teil hätte gewechselt werden müssen. Eine Erinnerung an Oma Neben der Handschrift der Oma, in Form eines Kissens mit Automotiv, hat der jetzige Halter einige behutsame Veränderungen vorgenommen. Neben den Weißwandreifen, die die ansonsten sehr schmucklosen Flanken des Standardmodells optisch aufwerten, ist vor allem das zeitgenössische Radio zu nennen. Aus den zugehörigen &bdquo;Kugelboxen“ klingt während des Fototermins dann mit &bdquo;Thank you for the music “ von ABBA auch die passende Musik der 70er Jahre. Und nicht nur für die Musik ist der heutige Halter dankbar, denn viele schöne Stunden hat er schon hinter dem Lenkrad des 50 PS starken Hecktrieblers auf Ausfahrten und bei Oldtimer-Veranstaltungen verbracht. Dabei ist es immer wieder erstaunlich, wie viel Sympathie dem &bdquo;kleinen Bochumer“ entgegengebracht wird. Nicht zuletzt können zahlreiche ehemalige Kadett-B-Besitzer ihre Geschichten vom ersten eigenen Auto erzählen. Schöne und spannende Geschichten, die jedoch meist nicht so lang sind, wie die des gezeigten &bdquo;Erbstückes“.

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