1.000 Teilnehmer bei Demonstration gegen Polizeigewalt in Herford

Herford. 34 Patronenhülsen sind auf dem T-Shirt abgedruckt. Sie stehen für 34 Schüsse, die Polizisten abgefeuert hatten - fünf davon trafen den 19-Jährigen Herforder Bilel G., nachdem er vor einer Polizeikontrolle geflüchtet war. Bei der Demonstration verkaufen die Organisatoren die T-Shirts, gegen eine Spende für den nun schwer verletzten Jugendlichen. Ebenfalls auf dem Shirt aufgedruckt, das Motto der Demo: "Die Polizei lügt". Weit mehr Teilnehmer als bei der ersten Anti-Polizei-Demo im Juli sind zur Zweitauflage am Samstag, 7. Oktober, gekommen. Die Polizei zählt am Ende rund 1.000, die Veranstalter vom "Solikreis Bilel" 1.200. Darunter insbesondere junge Leute, Jugendliche aus Herford und Umgebung, mit Migrationshintergrund aber nicht nur. Viele aus der Antifa-Szene, die zum Teil aus anderen Städten angereist sind. Und die mit lauten Sprechchören immer wieder dominieren. So müssen sich die Polizisten, die rundherum die Demonstration absichern, wüste Beschimpfungen gefallen lassen. Ganz wie bei der ersten Demo im Juli. Ganz anders als zuletzt bleibt es am Samstag aber friedlich. "Kampf für Gerechtigkeit" "Gerechtigkeit für Bilel, Gerechtigkeit für alle" - vom LKW aus, der den Zug begleitet, gibt die Moderatorin den Takt vor. Die junge Frau, deren Namen laut Veranstalter nicht genannt werden soll, spricht von einem "Kampf für Gerechtigkeit". Es sei höchste Zeit, sich zu organisieren, zusammen zu stehen und sich zu wehren. "Wenn die Polizei 34 Schüsse abgibt, dann ist auf die Straße zu gehen, das mindeste, was wir tun können." Sie spricht davon, dass der 19-Jährige Bilel heute nicht hier sein kann, aber sie da seien, um für ihn einzustehen. "Wir fordern Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen." Hinter dieser Forderung können sich wohl alle Demoteilnehmer versammeln - anders als hinter das Motto. "Ich unterstelle der Polizei nicht, dass sie lügt", sagt Harald Korten. "Aber die Frage darf man stellen", findet er. Auch der Forderung nach einer unabhängigen Stelle, die aufklärt, warum die Polizei auf den Herforder geschossen hat, unterstützt der Linken-Politiker. Er ist ebenso wie einige andere Herforder bei der Demo dabei, auch um sich selbst ein Bild zu machen. "Ich wollte einmal selbst gucken, wie die Demo abläuft", sagt Christian Bäuerle, der sich am Rand aufhält. "Ich finde es wichtig, dass man seine Meinung äußern kann", betont der FDP-Politiker. Die Polizisten zu beleidigen, ginge allerdings zu weit. Hussien Khedr ist überzeugt, dass auch bei der Polizei einmal Fehler passieren können und Aufklärung nun sehr wichtig sei. "Das Vertrauen in unsere staatlichen Einrichtungen darf nicht gebrochen werden." Meshut Cakar, linker Aktivist aus Herford, freut sich, dass auch Vertreter aus der Herforder Stadtgesellschaft mit dabei sind, "das zeigt den Jugendlichen, dass sie ernst genommen werden." Demo-Beobachter deeskalieren Pfarrer Bertold Keunecke ist mit fünf weiteren Freiwilligen als Demo-Beobachter im Einsatz. Mit gelben Westen deutlich gekennzeichnet, begleiten sie den Demozug, notieren ihre Beobachtungen und deeskalieren. "Es gibt Parolen, die gerufen werden, die nicht in Ordnung sind", sagt er. Aber andererseits gebe es viele junge Leute, die ihren Wunsch nach Aufklärung kraftvoll Ausdruck verleihen würden. Keunecke ist vernetzt mit den Organisatoren. Die Zusammenarbeit läuft gut. Auch die jungen Männer, die beim letzten Mal randaliert haben, werden in Zaum gehalten. Die Ordner am Rand sorgen dafür, dass der Zug zusammenbleibt. Auch als der Weg an der City-Kirmes vorbei führt, schert keiner aus. Vom Bahnhof, über die Straßen Auf der Freiheit und Berliner Straße, die Mindener Straße entlang, über die Hansastraße bis zum Polizeigebäude führt der Demozug. Am Schluss geht es zurück zum Bahnhof. Drei Stunden geht die Demo, Unterbrechungen des Zugs gibt es nicht. Vor der Kreispolizeibehörde wird den Polizisten entgegengerufen, sie sollten sich schämen. Sie hätten Blut an den Händen. Auch aus Dortmund sind Aktivisten dabei, die an Mouhamed Lamine Dramé erinnern. Der 16-jährige Senegalese starb durch Polizeischüsse vor rund einem Jahr. "Das war kein Einzelfall", heißt es für den Herforder Solikreis mit Blick auf Bilel G. "Demonstration kraftvoll bis zum Ende durchgeführt" Kurz vor Schluss droht die Stimmung kurz zu kippen. Als Polizisten eine "bekannte Straftäterin" in der Menge ausmachen und diese kontrollieren wollen, wie Polizeisprecher Uwe Maser informiert. Andere Demoteilnehmer mischen sich lautstark ein, so dass die Polizei die Personen einkesselt. Daraufhin fliegen Böller. Nach Erfassung ihrer Personalien lassen die Beamten die Frau wieder gehen und die Veranstaltung klingt nach den letzen Redebeiträgen aus. Am Schluss informiert "das Demonstrationsbündnis", es sei mit dem Verlauf der Demonstration zufrieden. Genau darlegen, wer hinter dem Solikreis steckt, wollen die Organisatoren nicht. “Auch wenn die Polizei erneut mit einem unverhältnismäßigem Polizeiaufgebot und einer Eskalationsstrategie die Demo begleitet hat, haben wir unsere Demonstration kraftvoll bis zum Ende durchgeführt”, sagt Sprecherin Marla Winter. Die "Vielfalt der Teilnehmer*innen" sei bewegend gewesen. Die erneut hohe Polizeipräsenz sehen nicht nur die Organisatoren selbst kritisch: "Die Massierung der Polizei ist eine Einschüchterung", findet Gerd Büntzly, der ebenfalls als Demo-Beobachter im Einsatz ist. Die Polizei selbst spricht von "verstärkten Einsatzkräften" und einem "friedlichen Verlauf". "Es kam zu keiner Beeinträchtigung der City-Kirmes, so dass die Besucher diese störungsfrei und ohne Einschränkungen besuchen konnten." Durch Pyrotechnik seien zwei Polizeibeamte leicht verletzt worden. Es seien zwei Anzeigen wegen des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz erstattet worden. Darüber hinaus wurden insgesamt sechs Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung eingeleitet. Alle Artikel zum Thema finden Sie hier.

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