34 Schüsse und die Polizei: Diskussion um „Sicherheit für alle“ in Herford

Herford. &bdquo;Angst ist ein irrationales Gefühl, das aber gut begründet sein kann“, sagte Pfarrer Berthold Keunecke. Gegen Angst helfe, miteinander zu reden. Daher hatte er kurzfristig zur Podiumsdiskussion &bdquo;Sicherheit für alle“ eingeladen. Themen waren die 34 Polizeischüsse auf einen 19 Jahre alten Herforder vom 3. Juni, ebenso wie die Demonstration &bdquo;Die Polizei lügt“ vom 15. Juli und die für den nächsten Samstag angekündigte zweite Demonstration. Auch um die Presseberichterstattung und die Frage, wie sich ein Dialog in der Stadtgesellschaft wieder organisieren lassen könnte, ging es. Auf dem Podium saßen neben dem Herforder Aktivisten Meshut Cakar Laila Haideri vom &bdquo;Solidaritätskreis Bilel“, NW-Lokalchefin Christina Römer, Westfalen-Blatt-Redakteur Bernd Bexte und Erhan Kara von der Fachstelle NRWeltoffen sowie Keunecke als Moderator. Damit war ein breiter Kreis auf unterschiedliche Weise mit dem Komplex um die Schüsse und die Demonstrationen befasster Menschen zusammengekommen, wegen der kurzfristigen Einladung waren allerdings nur wenige Zuhörende da. Die Vertreter beider Zeitungen erklärten, dass sie selbst zunächst über die Schüsse aus Berichten von anderen Kollegen erfahren hatten. Die Verfolgungsjagd endete in Bad Salzuflen, sodass zunächst eine Redakteurin der Lippischen Landeszeitung für die NW berichtete. Doch sofort war klar, dass dieser Fall auch die Herforder Lokalredaktionen noch lange beschäftigen wird, schließlich kamen sowohl der angeschossene Jugendliche als auch die beteiligten Polizistinnen und Polizisten aus dem Kreis Herford. "Bis heute wissen wir nicht, was in der Sackgasse tatsächlich passiert ist" &bdquo;Mir kommen 34 Schüsse auch sehr viel vor“, sagte Römer, &bdquo;aber bis heute wissen wir nicht, was in der Sackgasse tatsächlich passiert ist. Denn bisher liegt nur ein Gutachten vor, aber keine Aussagen der beteiligten Beamtinnen und Beamten.“ Aufgabe der Presse sei es daher, auf Aufklärung zu drängen und wenn möglich dazu beizutragen, gerade weil es Widersprüche und Ungereimtheiten in der Darstellung gebe: &bdquo;Wir als Zeitung müssen uns aber an Fakten halten und vor einer Vorverurteilung hüten.“ &bdquo;Hier im Land leben fast 20 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Und die haben vor dem Hintergrund des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks in Deutschland, täglicher rassistischer Übergriffe bis hin zu rechtsterroristischen Anschlägen zunehmend Angst“, sagte Cakar. Er hatte – wie Haideri – durch ein Flugblatt der Familie von den Schüssen erfahren. &bdquo;Vorfälle wie die 34 Schüsse stärken das Vertrauen in die Polizei nicht gerade.“ Ähnlich sah das Haideri und erläuterte das provozierende Demo-Motto &bdquo;Die Polizei lügt!“. Gemeint seien nicht die konkreten Herforder Einsatzkräfte. Es gehe grundsätzlich darum, dass die Polizei nicht in der Lage sei, gegen sie selbst gerichtete Vorwürfe aufzuklären, sie eine Aufklärung durch abgesprochene Zeugenaussagen oder unterschlagene Beweismittel oft sogar unmöglich mache. Forderung nach einer unabhängigen Ermittlungsstelle gegen Polizeigewalt Daher habe es auch die Forderung im Untertitel der Demonstration &bdquo;Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit für 34 Schüsse auf Bilel“ gegeben, die aber nur wenig erwähnt worden sei. Aus der im Vorfeld viel kritisierten Forderung nach Abschaffung der Polizei wurde auf dem Podium die Forderung nach einer unabhängigen Ermittlungsstelle gegen Polizeigewalt. Das Agieren der Presse vor und während der Demo war das zweite Thema des Abends. Von der Demonstration selbst hätten beide Zeitungen die Sicht der Polizei über die &bdquo;Eskalation durch Demonstrationsteilnehmer“ transportiert, aber mit keinem Wort aus den Reden zitiert, in denen das Anliegen erläutert worden war. Kritisiert wurde auch die NW-Berichterstattung vor der Demo, in der die NW auf die unzähligen Kommentare in den Sozialen Medien mit dem Tenor &bdquo;Herford soll brennen“ verwiesen hatte. Das habe die Stimmung auf allen Seiten unnötig angeheizt, sagte Cakar. &bdquo;Wir wussten von den Postings, sahen es als unsere Aufgabe an, unsere Leser darüber zu informieren und haben uns in diesem Fall anders als der Mitbewerber entschieden“, sagte Römer. Stimmung im Netz hat sich gedreht Davon, dass sich die Stimmung im Netz gedreht habe, berichtete Erhan Kara von NRWeltoffen: &bdquo;Früher war ich mit Klarnamen im Netz unterwegs und die Rechten nutzten Fake-Accounts, heute ist es umgekehrt.“ Umso dringlicher seien die Bekämpfung rassistischer Vorurteile in Polizei und Gesellschaft und eine Deeskalation auf allen Seiten, gerade im Vorfeld der nächsten Demo am Samstag, 7. Oktober. Auch Keunecke blickte nach vorn: Es gehe um Vertrauen und Verständnis, wie es auch in einem offenen Brief im Vorfeld der Demo gefordert wird. &bdquo;Schließlich müssen sowohl der schwer verletzte 19-jährige Bilel G. als auch die jungen Beamtinnen und Beamten voraussichtlich für einige Jahrzehnte weiter in der Stadt leben.“ Aus dem Publikum wurde das martialische Auftreten der Polizei, das schon bei der Auftaktkundgebung am Bahnhof massiv eingeschüchtert habe, kritisiert. Anders als befürchtet habe es keine Salafisten in der Demo gegeben, sagte Cakar. Soweit bekannt, seien sie der Demo verwiesen worden. Ordnerinnen und Ordner hätten intensiv mäßigend auf die wenigen Störer eingewirkt, beides Tatsachen, die von der Presse nicht berücksichtigt worden seien. Zwischen dem Demozug und der Kirmes liegen ein Grünstreifen und zwei Fahrspuren In Richtung der Medien ging daher der Appell, ausgewogen über die Demonstration am kommenden Samstag zu berichten. In Sachen einer möglichen Störung der Kirmes gab Cakar Entwarnung: &bdquo;Zwischen dem angemeldeten Demozug und der Kirmes liegen ein Grünstreifen und zwei Fahrspuren, und ich vermute erneut eine riesige Polizeipräsenz.“ Sicher scheint, dass das Thema die Stadtgesellschaft nicht zum letzten Mal beschäftigen wird. &bdquo;Wir werden alles dafür tun, dass die Schüsse auf Bilel und unsere Forderung nicht vergessen werden“, kündigte Haideri an. Verkehr beeinträchtigt: Mehrere hundert Teilnehmer zur Demo in Herford erwartet Alle Artikel zu den Polizeischüssen finden Sie hier.

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