So will ein Handwerk-Start-up aus Herford die Energiewende voranbringen

Kreis Herford. Um im Geschäft zu bleiben, gilt es, über den Tellerrand zu blicken, Visionen zu haben und Trends aufzuspüren. Als solch einen Visionär bezeichnet Philip Kleineberg den Geschäftsführer der Auto Mattern Gruppe, Jürgen Mattern. Ihm sei der Gedanke gekommen, warum man nicht alle Gewerke rund um die Erneuerbaren Energien bündele. Gedacht, gesagt, getan. 2022 haben Mattern und Kleineberg noch mit der Idee gespielt, am 1. Januar wurde das Start-up "Pro Electrify" gegründet. Das Herforder Unternehmen versteht sich als digitaler Handwerksbetrieb. "Wir sind ein Handwerksunternehmen, das dem Jahr 2023 gerecht wird", sagt Philip Kleineberg. Damit meint der Engeraner, der im Vorstand der AG sitzt, nicht nur das Themenfeld Erneuerbare Energien. "Pro Electrify" arbeite digital, unter anderem mit 3D-Aufnahmen, die den Kunden präzise mitnehmen auf den Weg des Umbaus. Mit im Boot ist Sascha Kloss, Handwerker durch und durch. Kloss ist technischer Betriebsleiter des Start-ups, das die Gewerke Dach, Elektro und Haustechnik miteinander verbindet. "Die Gewerke sind eigentlich nicht mehr voneinander zu trennen", sagt Kleineberg. Mit Social Media Werbung fürs Handwerk machen Elektriker, Dachdecker und Anlagemechaniker: Zur Umsetzung der Vision brauchen sie vor allem Fachkräfte. In einer Zeit, in der viele Unternehmen um gute Leute buhlen, nicht gerade einfach. Auch hier kommt Sascha Kloss ins Spiel. "Er ist unser Social-Media-Meister", sagt Kleineberg und lacht. Kloss ist Dachdeckermeister, sitzt im Vorstand der Dachdecker- und Zimmerer-Innung Bielefeld und nutzt seit Jahren die neuen Medien, um Werbung fürs Handwerk zu machen. "Vor vier, fünf Jahren habe ich mit Instagram angefangen", erzählt Kloss. Die Plattform setzt auf die Stärke der Bilder. "Und der Beruf des Dachdeckers lässt sich super bildlich darstellen", sagt Kloss und nennt die Schönheit von Sonnenaufgängen - hoch über den Dächern der Stadt. Das hat Kloss genutzt und dem Handwerk damit einen Attraktivitätsboost verliehen. "Auch in meiner alten Firma fehlte Nachwuchs. Da habe ich gedacht, dass musst du jetzt selbst in die Hand nehmen." Aufmerksamkeit sei heute alles. "Du musst die jungen Leute da erwischen, wo sie sind. Und das ist das Handy." Es funktionierte, sowohl für den alten Arbeitgeber, als auch im neuen Betrieb. 4-Tage-Woche ist möglich 27 Mitarbeiter hat "Pro Electrify" im ersten halben Jahr angestellt. "Wir sind stolz drauf, dass wir in so kurzer Zeit so viele gute Fachkräfte gefunden haben", sagt Kleineberg, der mit Kloss zusammen zudem auf eine lockere Unternehmenskultur setzt. Sie möchten allen Mitarbeitenden ein Gefühl von Wertschätzung und gegenseitigem Respekt vermitteln. Und auch Mitbestimmung und Flexibilität bei den Arbeitszeiten seien hohe Güter. Kleineberg: "Wir bieten eine 4-Tage-Woche." Die Teams können untereinander entscheiden, ob sie vier oder fünf Tage arbeiten. Bislang habe die 4-Tage-Woche jedoch noch niemand in Anspruch genommen. Für Kloss, der 33 Jahre lang in einem Betrieb gelernt, gearbeitet und gelehrt hat, war der Jobwechsel "die beste Entscheidung meines Lebens". Er finde es spannend, Neues umzusetzen und die Begeisterung der Mitarbeiter zu sehen. "Die haben Bock, hier zu sein", sagt er. Alle Mitarbeitenden seien gut ausgebildete Handwerker - Männer und Frauen vom Fach. "Sie beherrschen jede Dienstleistung", sagt Kleineberg und gibt ein Beispiel. "Die größte Herausforderung ist, die richtigen Leute zu finden" Bei Bedarf werde nicht nur die Photovoltaikanlage verlegt, "wir können auch ein Dachfenster einbauen oder das Dach reparieren". Den Anschluss der Anlage übernimmt dann der Elektriker des Betriebs. Das Rundumpaket aus einer Hand ist das, was "Pro Electrify" bieten möchte. Kleineberg: "Die größte Herausforderung ist, die richtigen Leute zu finden, die die Arbeit ausführen, nicht die Arbeit selbst." Hinter dem Start-up steht als alleiniger Anteilsgeber die Auto Mattern Gruppe, "Pro Electrify" ist ihre neue Unternehmenstochter. Hier liege auch die Schnittstelle zum Auto: Stichwort Elektromobilität. Obwohl immer mehr Elektrofahrzeuge auf den Straßen des Kreisgebiets unterwegs sind, gebe es noch Luft nach oben. 2013 gab es nach Angaben des Kreises Herford nur 37 E-Fahrzeug-Zulassungen, 2020 sind 1.260 Mobile mit E-Antrieb zugelassen worden, mit Stand vom 30. Juni 2023 sind es bereits 5.163. Passieren müsse und werde auf diesem Gebiet noch einiges. Mattern spricht auf die intelligente Nutzung an. "Autos müssen dort, wo sie tagsüber stehen, aufgeladen werden können." Und auch, wenn der Kreis geprägt sei durch frei stehende Häuser, Doppelhaushälften oder Reihenhäuser - auch die Mehrfamilienhäuser müssten aufgerüstet werden. Die Bürokratie-Hürden seien noch zu hoch. Kleineberg glaubt, dass sich das Bild in naher Zukunft wandeln werde. "In zwei, drei Jahren werden wir bestimmt überall Ladesäulen auf den Parkplätzen von Mehrfamilienhäusern sehen."

Meistgelesen