Übergriffe während der Geburt: "Das erleben die Studierenden manchmal hautnah mit"

Kreis Herford. Es ist eine schwierige Gemengelage. Immer lauter werden die Stimmen von Mutterverbänden und Müttern selbst: Sie prangern an, dass Frauen während der Geburt in Kreißsaal Gewalt erleiden würden. Drei Mütter hatten der Neuen Westfälischen ihre Erfahrungen geschildert. Die Krankenhäuser hingegen sprechen von Einzelfällen und berichten davon, dass sie dem sensiblen Thema Beachtung schenkten. Derweil flammt das Thema "schlechte Arbeitsbedingungen für Hebammen" wieder auf und die Politik muss sich viel Kritik anhören. Hebammenprofessorin und Wissenschaftlerin Cornelia Schwenger-Fink leitet unter anderem den Hebammenstudiengang am Herforder Bildungscampus und kennt die Situation aus der Perspektive der Studierenden und der Hebammen. Handelt es sich bei den Gewalterfahrungen, von denen Mütter in der NW berichtet hatten, um Einzelfälle? Es sind keine Einzelfälle. Es sind einzelne Frauen, die sich Gehör verschaffen. Ich glaube, dass die Dunkelziffer viel höher ist. Im Gesamten ist die Geburt meist nicht gewaltvoll, aber in einigen Situationen kann es einzelne Vorkommnisse geben, die als übergriffig erlebt werden können. Nicht jede Mutter spricht das an, da der Vorfall in der Rolle des Mutterseins erst einmal untergeht. Wird "Gewalt während der Geburt" im Hebammenstudium thematisiert? Wir setzen uns in der Lehre vielschichtig mit dem Thema auseinander: Einerseits besprechen wir die Gewalt, die Studierende selbst erleben. Das kann in Stresssituationen im Team sein, die von ihnen selbst als gewalthaltig oder übergriffig erlebt werden. Andererseits sprechen wir über Gebärende, die von physischer oder sexualisierter Gewalt durch ihre Partner oder Angehörige betroffen sind. Als Drittes thematisieren wir auch die Gewalt an Frauen während der Geburt. Das erleben die Studierenden manchmal hautnah mit: Falls es passiert, dass zum Beispiel eine Hebamme sich gewalttätig einer Frau gegenüber verhält, macht das etwas mit der eigenen Rolle der Studierenden. Sie fühlen sich teils hilflos, weil sie Beteiligte der Situation sind. Sie haben aber vielleicht noch nicht die fachliche Expertise und nicht die Stellung im Team, um dagegen vorzugehen. Auch solche Situationen besprechen wir im Studium. Von welchen Gewalterfahrungen berichten die Studierenden dann? Die Gewalt kann sich körperlich und psychisch zeigen. Physisch könnte es sein, dass medizinische Untersuchungen und Interventionen durchgeführt werden, obwohl das von der rein fachlichen Beurteilung gar nicht nötig wäre. Dadurch erhoffen sich Geburtshelfende natürlich einen Erkenntnisgewinn. Die Vorgehensweise kann für die Frau eine Übergriffigkeit darstellen. Es kann bei einer vaginalen Untersuchung vorkommen, dass die Frau die Beine aus Anspannung zusammendrückt. Die Geburtshelfenden halten sie dann auseinander. Von Expertinnen und Experten sowie Fach- oder Mutterverbänden, wie Motherhood e.V., wird das sogenannte Kristellern kritisch diskutiert [siehe Infobox]. Dieser ohnehin schon umstrittene Handgriff wird zudem oft falsch ausgeführt, sodass es passieren kann, dass eine Frau Verletzungen bis hin zu Rippenfrakturen davonträgt. Ganz oft wird das von Frauen als traumatisierend und übergriffig erlebt. Auch davon berichten die Studierenden. Von welcher psychischen Gewalt berichten die Studierenden? Sie erzählen unter anderem, dass keine gemeinsame Entscheidungsfindung stattfindet. So kann es passieren, dass der Frau - obwohl die Situation es zulassen würde - ihre eigene Entscheidung genommen wird. Das hat ganz große Auswirkungen auf das Selbstbild, die Selbstbestimmung der Frau und manchmal sogar auf die Zeit nach der Geburt. Wenn ich die Geburt als nicht selbstbestimmt erlebt habe, gehe ich mit negativen oder Versagens-Gefühlen in die Familienphase. Es kann sich auch zeigen, dass Sprache gewalthaltig ist und Angst macht. Das können Aussprüche sein wie &bdquo;Sie wollen doch auch, dass Ihrem Kind nichts passiert" oder auch Aussagen wie &bdquo;Stellen Sie sich nicht so an“. Es kann auch sein, dass die Frau bei der Übergabe im Team als unkooperativ dargestellt wird, obwohl sie vielleicht einfach nur ihre Wünsche formuliert hatte. Oft wird auch gesagt, dass die Gebärenden manche Situationen während der Geburt aufgrund der körperlichen Ausnahmesituation missverstehen würden. Was sagen Sie dazu? Frauen sind während der Geburt nicht unzurechnungsfähig. Frauen sind auf einer besonderen Reise, während sie gebären, und natürlich gibt es auch Phasen, in denen sie in sich gekehrt sind. Das kann aber in keinster Weise mit einer Unmündigkeit gleichgesetzt werden. Wir müssten eher sagen, dass da eine gewisse Vulnerabilität besteht. Es ist umso wichtiger, dass sich jemand behutsam und mit Zeit um diese Frau kümmern kann. Was ist die Ursache für Gewalt während der Geburt? Ich glaube, dass keine Hebamme mit so einer Voreinstellung an die Betreuung herangeht. Menschen, die in einem solchen sensiblen Bereich arbeiten, sind sich sehr wohl ihrer Verantwortung bewusst. Ich könnte mir vorstellen, dass häufig äußere Faktoren Einfluss nehmen: Die prekären personellen Situationen in den Krankenhäusern, Kolleginnen, die absolut überarbeitet, ausgebrannt sind, die permanent einspringen, die Schichtdienst nach Schichtdienst schieben, die auch gar keine Möglichkeit haben, sich zu erholen. Gekoppelt ist das vielleicht auch an eine schlechte Bezahlung und damit an wenig Anerkennung. Dann müssen manche Hebammen berufsfremde Tätigkeiten verrichten, wie beispielsweise den Kreißsaal putzen. Wenn man über Jahre hinweg nicht die Geburtshilfe machen kann, die man machen will, dann kann das in einer Haltung resultieren, die übergriffig ist. Wie könnte das Problem gelöst werden? Ich glaube, dass man das Thema immer wieder neu besprechen muss. Es muss in der Ausbildung, aber auch im weiteren Berufsleben ein Thema bleiben. Ein Beispiel: Wenn die Geburtshelfenden sich schnell entscheiden müssen, einen Notkaiserschnitt zu machen, können sie der Frau trotzdem situationsangemessen kurz und knapp erklären, was passiert. Nach einem solchen Vorfall ist es dann besonders wichtig, zu den Frauen hinzugehen und in Ruhe das Gespräch zu suchen. Zudem gibt es interessante Arbeiten hierzu: Man hat herausgefunden, dass das Verständnis und die Zufriedenheit der Frauen viel größer sind, wenn in Krankenhäusern Sprechstunden nach der Geburt stattfinden. Die werden aber in Kliniken häufig nicht regelhaft angeboten, weil sie nicht refinanziert werden können. In einem Arbeitsalltag, in dem man erstmal gucken muss, dass die Dienste besetzt sind, bleibt zudem oft nicht der Raum, sich zu reflektieren oder um konstruktiv zu diskutieren. Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden. Das hängt natürlich auch mit dem Bild der Geburtshilfe in Deutschland zusammen. Das ist eine Debatte, die wir führen müssen.

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