So hat ein DDR-Fluchthelfer mindestens 800 Menschen zur Flucht verholfen

Herford. Zu einer Feierstunde zum 32. Jahrestag der Wiedervereinigung hatte der Kreisverband der Herforder CDU am 3. Oktober in den Schützenhof eingeladen. Mehr als 200 Gäste nahmen an der Veranstaltung teil und wurden auf die authentische Reise eines Zeitzeugen mitgenommen, der aus dem Nähkästchen plauderte und die Gäste mit Sprachwitz, Tiefgang und Ehrlichkeit binnen Minuten in seinen Bann zog. Burkhart Veigel weiß, wovon er spricht. In den 1960er Jahren war er einer der erfolgreichsten Fluchthelfer in der Zeit nach dem Bau der Berliner Mauer. Für sein Engagement für die Freiheit erhielt er 2012 das Verdienstkreuz am Bande, ist Buchautor und als Gastredner bei der Feierstunde zugegen. &bdquo;Für mich ist die Veranstaltung eine Bereicherung und ich freue mich, hier sein zu dürfen“, sagt der charismatische Berliner fast schon ein wenig schüchtern im Gespräch mit der "NW". Mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: &bdquo;Das ist ein großer Tag, und selbst die Bahn war mal pünktlich.“ Zunächst begrüßt der Kreisvorsitzende Joachim Ebmeyer die Gäste und freut sich darüber, dass nach 45 Jahren der Trennung die Gemeinschaft wieder hergestellt wurde. Das dürfe völlig zurecht als Glücksfall der Geschichte bezeichnet werden. Versteck im Armaturenbrett eines Cadillac Nach der Eröffnungsrede spielt ein Ensemble der Nordwestdeutschen Philharmonie ein Stück von Ignaz Pleyel, dann tritt Gastredner Veigel an das Rednerpult und stellt gleich zu Beginn mit Blick auf die Ukraine heraus, wie fragil doch die Freiheit sei und wie wichtig, sie zu erhalten. &bdquo;Heute herrscht im Kreml ein Despot“, bedauert er mit Blick auf Wladimir Putin und übt Schelte an &bdquo;Extremgruppen von links und rechts, die allesamt hoffnungslose Realitätsverweigerer“ seien. Er stehe staunend davor, wie so etwas überhaupt möglich sei. Die Antwort darauf, warum es zwischen Ost und West auch heute noch hier und da Differenzen gäbe, habe er längst gefunden: &bdquo;Es war schwer für uns im Osten, die Freiheit des Denkens zu erlernen“, berichtet er. &bdquo;Wir waren schlichtweg ungeübt darin, uns eigene Gedanken zu machen.“ Doch ohne Neugier keine Toleranz, ohne Neugier keine Entwicklung. Und er weiß genau, wovon er spricht. Er sagt äußerst bescheiden: &bdquo;Man sagt mir nach, auch ein bisschen zur Wiedervereinigung beigetragen zu haben“. Er habe Stasikräfte gebunden, in dem er sie ständig austrickste – und so mindestens 800 Menschen zur Flucht aus der DDR verhalf. Von Verstecken in Fahrzeugen &bdquo;Zugegeben: ich habe den Mut und die Frechheit besessen, etwas gegen das Regime zu unternehmen“, sagt er augenzwinkernd und erntet dafür Applaus. Schnelligkeit, Intelligenz und Mut – das wären die Attribute gewesen, die ihn zum erfolgreichen Fluchthelfer machten. Der 84-jährige zeigt den Gästen nun Bilder seiner raffinierten Ideen. Bilder von Passfälschungen mit genau passenden Stempelsegmenten, die auf den Tausendstel Millimeter genau sein mussten und von Verstecken in Fahrzeugen, die von den Grenzern der DDR niemals für möglich gehalten und somit auch nie entdeckt wurden. Veigel redet sich in Rage, seine wachen Augen zeigen, wie sehr er es genießt, seine Tricks erklären zu dürfen. Fast so, als hätte er es gestern erst getan. Er fesselt die Gäste mit seinen Ausführungen, nur einmal wird er ernst. Immerhin konnte er seiner Stasiakte entnehmen, dass er – zusammen mit zwei weiteren Protagonisten – zeitweise auf der Todesliste der Staatssicherheit stand. &bdquo;Die Wiedervereinigung ist und bleibt was ganz Großes“, schließt Veigel, der seine Gäste beeindruckt hat. &bdquo;Lasst uns alle daran arbeiten, dass wir auch zukünftig in Frieden und Freiheit leben können.“ Zum Abschluss der Veranstaltung erklingt die Deutsche Nationalhymne. Die Gäste erheben sich, singen mit. Und sind ganz offensichtlich dankbar dafür, dieser Feierstunde beigewohnt zu haben.

Meistgelesen