Wenig Fiebersaft: Doppelt so viele Kinder krank wie im vergangenen Sommer

Kreis Herford. Apotheker hatten vor ein paar Tagen Alarm geschlagen und vor Engpässen bei Fiebersäften für Kinder gewarnt. Vor allem die Produkte mit dem Wirkstoff Paracetamol seien betroffen, hieß es vom Apothekerverband Nordrhein-Westfalen. Auch die Apotheken im Kreis Herford kennen das Problem nur zu gut. "Oh Gott, ja", sagt Tina Lopes de Sousa, Chefin der Sonnenapotheke in Enger, im Gespräch mit nw.de. Sie habe kürzlich an einem Sonntag Notdienst gehabt und Schwierigkeiten gehabt, weil nur wenige Medikamente zur Verfügung standen. "Zum Glück habe ich letztlich doch noch etwas beschaffen und alle Kunden versorgen können", sagt sie. "Aber das war eine blöde Situation." Die kennen alle Apotheker, mit denen nw.de gesprochen hat. Auch Serdar Daran, Inhaber der Sternapotheke in Herford, berichtet davon. Er selbst hat schon seit mehreren Monaten Probleme, an Fiebersaft zu kommen. "Das ist in allen Herforder Apotheken so", sagt Daran. Der Saft mit dem Wirkstoff Paracetamol sei schon seit vier Monaten nicht mehr zu bekommen. Seit zwei Monaten gebe es auch Probleme, die Variante mit dem Wirkstoff Ibuprofen zu beschaffen. Derzeit habe er nur den niedrig dosierten Saft da und diesen auch nur in geringer Stückzahl. Was der Kinderarzt dazu sagt Dem Kinderarzt Jens-Oliver Holtmann ist die Problematik, aber auch die Dynamik dahinter bekannt. "In der Kinderheilkunde ist seit Corona nichts mehr, wie es einmal war", so Holtmann. Diesen Sommer hätten die Kinder doppelt so viele Infekte wie normalerweise. Es habe zuvor noch nie so viele Erkältungskrankheiten im Juni, Juli und August gegeben. "Das kam aus dem Nichts heraus", so Holtmann. Zwei Jahre lang seien die Kinder vor Krankheiten geschützt gewesen. "Dadurch hat eine natürliche Boosterung nicht mehr stattgefunden, niemand hat mehr ein funktionierendes Immunsystem", erklärt der Kinderarzt. "Die Infekte, die ein dreijähriges Kind zwischen seinem ersten und dritten Lebensjahr durchgemacht hätte, sind oftmals komplett weggefallen." Dadurch seien auch bei einigen Eltern die Medikamente abgelaufen, die sie noch zu Hause gehabt hätten. "Alternativen gibt es nicht wirklich", so der Arzt. Eltern müssten lernen, sorgfältig und ressourcenschonend mit dem Fiebersaft umzugehen. Die Medikamente seien teilweise bis zu einem halben Jahr haltbar. Bei Temperaturen unter 38,5 Grad müsse nicht zwingend Fiebersaft gegeben werden. Das sei jedoch immer vom Zustand des Kindes abhängig. Auch mit natürlichen Maßnahmen könnten Eltern versuchen, das Fieber zu senken. Wadenwickel oder leichte Bekleidung könnten helfen, die Temperatur runter zu bekommen. Kinder sollten zudem ausreichend trinken. Zäpfchen könnten eine Alternative zu Fiebersäften sein. Doch auch hier könnte sich das Problem verlagern und durch das Ausweichen ein neuer Engpass entstehen. Gibt es denn noch Zäpfchen in den Apotheken? Bei den Apotheken, mit denen nw.de gesprochen hat, können noch Zäpfchen erworben werden. Doch auch hier zeichnen sich erste Engpässe ab. Ansonsten versuchen die Apotheker, auf andere Medikamentenformen mit dem gleichen Wirkstoff umzusteigen, wie beispielsweise Brausetabletten. So berichtet es Florian Zumloh, Inhaber der Aesculap Apotheke Löhne. Dabei müsse die Gewichtsklasse des Patienten berücksichtigt werden. "Man kann beispielsweise die Tablette halbieren und im Wasser auflösen", so Zumloh. So verfährt auch die Apothekerin Tina Lopes de Sousa. Sie gebe dann Hinweise, welche anderen Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff in welcher Konzentration genommen werden könnten. "Wenn die Patienten zu klein sind, geht das allerdings nicht", so die Apothekerin. Die Medikamente selbst anzumischen, sei nicht immer möglich: "Das können wir personell gar nicht stemmen und es ist schwierig, an die Rohstoffe zu kommen", erklärt sie. Die Apotheker schauen sorgenvoll auf den Winter. Eigentlich tätigen sie ihre Bestellungen schon Monate im Voraus, doch das sei dieses Mal nicht immer gegangen. "Manche Hersteller haben die Bestellung ausgesetzt", sagt Lopes de Sousa. Woher kommt der Engpass? Schuld an den Engpässen sei der Kostendruck in der Branche. "Deswegen ist ein Großteil der Produktion auf andere Länder ausgelagert worden", so Tina Lopes de Sousa. Die meisten Medikamente würden in asiatischen Ländern produziert. Wenn es in diesem Gebiet Probleme mit der Herstellung gebe, dann habe das große Auswirkungen. Diese Abhängigkeit erzeuge eine Kettenreaktion, weiß auch der Löhner Apotheker: "Wenn ein Glied in dieser Kette fällt, hat das gleich Auswirkungen auf die ganze Welt."

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