Menschen mit Depression sprechen über ihre Krankheit und helfen anderen

Herford. Eine mehrtägige Fahrradtour mit wildfremden Leuten auf engstem Raum und Wildcampen auf gut Glück - das ist nicht jedermanns Sache. Das Abenteuer erfordert Mut und Tatkraft. Mut, den Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, oft nicht haben. Seit zehn Jahren wagen es dennoch immer wieder Betroffene, um ihre Erkrankung aus der Tabu-Zone zu holen und zu sagen: "Depression ist behandelbar". Depression gilt inzwischen als weit verbreitete Krankheit, über die man aber ungern redet. Am Dienstag erreichten Kerstin Schopf, Hans Hansenson, Peter Kraus, Thorsten Müller und Esther Tagmann auf drei Tandems Herford, um auf dem Münsterkirchplatz Station und ein Gesprächsangebot für Betroffene und Angehörige zu machen. Sie sind das siebte von zwölf Teams der Mut-Tour 2022. Ein sechster Mitfahrer hat die Belastung nicht ausgehalten und ist aus der Tour ausgestiegen. Das ist eine Option, die von vorneherein mitgedacht wird. Das Team startete in Göttingen, kam am Mittag aber aus Löhne und hatte noch eine Etappe über Bielefeld nach Schloss-Holte Stuckenbrock vor sich. Die Radler wurden in Herford empfangen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Herforder Einrichtungen, die Hilfs- und Beratungsangebote machen. Michaela Rolf vom Kreis Herford etwa ist Psychiatrie-Koordinatorin. "Irgendwann war es dann dunkel" Die Mut-Tour-Radler sprechen offen über ihre Krankengeschichte - auch das ist eine Mutprobe. Sie beobachten eine Entlastung bei Betroffenen, wenn die in 1:1 Gesprächen erleben, wie vielfältig das Team ist. Hans Hansenson und Kerstin Schopf teilen ihre Geschichte sogar mit den Zeitungslesern. Sie wissen, dass die Corona-Krise mit ihrer Kontaktarmut psychische Erkrankungen verstärkt hat. Bei Hans Hansenson aus Weimar war Corona gleich in mehrfacher Hinsicht Auslöser seiner Krise. "Irgendwann war es dann dunkel", bringt er den Höhepunkt seines Leidens auf den Punkt. Dem 68-jährigen Kunsthandwerker sind im Lockdown mit der Absage von Märkten und Weihnachtsmärkten Vermarktungs- und Werbemöglichkeiten für seine Werke aus Glas weggebrochen. Hinzu kamen Konflikte in der Partnerschaft und die Einschränkungen bei sozialen Kontakten. "Ich habe gelernt, besser meine Grenzen zu erkennen" Hansenson erlitt beidseitige Netzhautrisse, die auch Folge von Stress sein können. "Ich hatte Angst vor Erblindung, lag wochenlang auf dem Sofa und bekam nur das Nötigste geregelt, bis ein Freund mir riet, zum Arzt zu gehen." In einer Tagesklinik erlernte er wieder eine geregelte Tagesstruktur und bekam Verhaltens-Werkzeuge an die Hand, um nicht wieder in alte Muster zu verfallen. "Ich habe erfahren, ich stehe nicht allein da und dass Depression eine behandelbare Krankheit ist", sagt er. Zur Behandlung gehören Medikamente aber auch eine Therapie. "Ich arbeite jetzt wieder in meiner Werkstatt und habe gelernt, besser meine Grenzen zu erkennen. Es geht mir zur Zeit gut und es tut mir gut, mit Menschen zusammen zu sein, denen ich mich nicht erklären muss." Das ist eine Selbsthilfegruppe und das sind auch die Mitradler wie Kerstin Schopf. Ich konnte nicht mehr alleine das Haus verlassen Die 28-jährige Stuttgarterin mit fröhlichem Blick fühlt sich wohler, wenn sie im Freien ist: "Mir hilft es, in der Natur zu sein. Bei mir ging es schon in der Jugend los. Ich hatte Probleme in der Schule mit meiner auffälligen Zurückgezogenheit." Ein traumatischer Zwischenfall Anfang 20 hat ihre Angststörung befördert: "Ich konnte nicht mehr alleine das Haus verlassen und bin in vollständige Isolation geraten. Meine Eltern hatten Verständnis aber haben durch eigene Angst und zu viel falsche Hilfe meine Angst befördert." Die studierte Kommunikationsdesignerin erlitt als Freiberuflerin mit 23 einen Zusammenbruch mit Suizidgedanken. "Ein Klinikaufenthalt, die ersten Medikamente und Verhaltens- und Gesprächstherapien haben mich wieder stabilisiert", sagt sie. "Die neue Arbeit tut mir unfassbar gut, ich bin sehr glücklich" Ereignisse wie Trennung, Umzug und Todesfälle haben sie nach langer therapiefreier Zeit vor einem Jahr wieder in eine Behandlung geführt. "Die Selbstständigkeit mit viel Selbstverantwortung ging gar nicht mehr", berichtet sie. Doch das führte auch zu einem Befreiungsschlag. "Mein Physiotherapeut für Ostheopatie hatte die Idee, sich zusätzlich mit einem Radfahrer-Café selbstständig zu machen. Da arbeite ich jetzt in Teilzeit und es tut mir unfassbar gut, ich bin sehr glücklich." Und wenn es ihr einmal doch nicht so gut geht, findet sie Verständnis. "Das ist unfassbar wichtig", meint sie. Um das weiter zu verbreiten, ist sie schon zum zweiten Mal auf der Mut-Tour dabei. Sie weiß: "Bewegung hilft und setzt Glückshormone frei, aber man kann eine Depression nicht einfach wegradeln." Ein erster Weg aus der Depression kann, so wissen Kerstin Schopf und Hans Hansenson, der Gang zum Hausarzt sein. Mut fördern e.V. Trägerverein der Mut-Tour ist "Mut fördern e. V.", der Unterstützungen zur Selbsthilfe bei psychischen Erkrankungen anbietet. Dazu gehören der Mut-Atlas im Internet, der Beratungsmöglichkeiten auf einer Deutschlandkarte anzeigt, und die bewegungsorientierten Mut-Gruppen. Im Mutatlas sind auch verzeichnet: Sozialpsychiatrischer Dienst Kreis Herford, Borriesstraße 1, 32051 Herford, Telefon: 05221/13-1608, Email: sozialpsychiatrischer-dienst@kreis-herford.de Paritätisches Selbsthilfe-Büro Herford, Werrestraße 100, 32049 Herford (schräg gegenüber der Feuerwehr), Telefon: (0 52 21) 5 08 57, E-Mail: selbsthilfe-herford@paritaet-nrw.org Eine gute erste Anlaufstelle ist auch die Telefonseelsorge: 0800 / 1 11 01 11. Selbsthilfegruppen werden von "Mut fördern" in ihrer Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Die Vereinsarbeit wird von Kranken- und Rentenkassen, Stiftungen und Einzelspenden finanziert.

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