Was die Stadt mit Blick auf russisches Gas unternimmt

Herford. Die Stadt kommt aus dem Krisenmodus nicht heraus. Ob Gas im kommenden Winter knapp wird, weil Russland die Lieferung stoppt, lässt sich zwar noch nicht sagen. Fest steht aber: Energie wird teurer, die Preise für Gas und Strom steigen. Etliche Städte haben bereits Spar- und Notfallpläne aufgelegt. Im Herforder Rathaus sind die Verantwortlichen derzeit noch zurückhaltend. Andere Städte In Augsburg hat die Stadtverwaltung errechnet, dass die Energiekosten dieses Jahr um 80 Prozent steigen werden. Jetzt soll gespart werden, auch, damit für die Wirtschaft genug Energie bereitsteht. Fassadenbeleuchtungen sollen abgeschaltet, Laternen gedimmt, Brunnen abgestellt, die Temperatur in den Büros der Verwaltung mit Beginn der Heizperiode gesenkt werden. Der Lahn-Dill-Kreis will in Schulen nur noch kaltes Wasser laufen lassen. Auch die Bielefelder CDU fordert, den Energieverbrauch runterzufahren. Sie schlagen die vor, die Fassadenbeleuchtungen beispielsweise an der Sparrenburg abzuschalten, Heizungsanlagen in städtischen Gebäuden stärker zu regulieren, Sparchecklisten für Schulen aufzustellen und Sparpotenziale bei der Stadt und ihren Tochterunternehmen zu identifizieren. Selbst das Abschalten von Ampeln ist für die CDU eine Option - nach Rücksprache mit der Polizei. Und die Maßnahmen sollen vor der neuen Heizperiode im Herbst umgesetzt sein, so die CDU-Forderung. Stadt Herford Im Herforder Rathaus spricht sich Baubeigeordneter Peter Maria Böhm gegen Schnellschüsse aus. Die Stadtverwaltung sondiert derzeit die Lage. Jetzt im Sommer werde sowieso wenig Energie benötigt. "Die Heizungen sind eh alle aus." Der erste Blick fiel daher auf das Warmwasser. Das Rathaus habe keine zentrale Versorgung, sondern kleine Boiler unter den Waschbecken. Dort ließe sich einfach der Stecker ziehen. In den Sporthallen werde er das Warmwasser aber ohne fachliche Beratung nicht einfach abstellen, kündigt Böhm an. Derzeit sowieso nicht. Denn da liefen gerade die Ferienspiele. Vorab wolle er auch wissen, welche hygienischen Folgen das habe. Die Leitungen müssten sie dann leer laufen lassen, meint Böhm. Wenn sie das Warmwasser irgendwann wieder anstellten, stelle sich erneut die Frage der Hygiene. Böhm hat noch das Legionellen-Problem vor Augen, das vor allem in Schulen zu umfangreichen Sanierungsarbeiten führte. Würden sie die Sporthallen vom Netz nehmen, müssten sie den Leuten einen Vorlauf von einer oder zwei Wochen geben, damit sie sich darauf einstellen können, meint Böhm. Vorher wolle er aber auch wissen, wie viel Energie sich dadurch sparen ließe. Wo Lebensmittel ausgegeben werden, könnten sie den Gashahn aus hygienischen Gründen sowieso nicht zudrehen. Klimaanlagen gebe es in städtischen Gebäuden nicht, nicht in den Schulen, nicht im Rathaus. Eine Ausnahme bilden die beiden Räume, in denen die Technik für die Ampeln steht. "Den können wir nicht abschalten, sonst versagt die EDV." Ansonsten heizt die Stadt nahezu überall mit Gas. Im Technischen Rathaus gebe es zwar noch eine alte Ölheizung, die aber nicht in Betrieb sei und auch nur noch einen kleinen Tank habe. Die könnten sie gegebenenfalls reaktivieren. Neben Böhm kümmert sich nun auch Jochen Strieckmann, der Beigeordnete für Finanzen und Zentrale Dienste, um die Frage der Möglichkeiten. Konkrete Erkenntnisse gibt es in der Verwaltung noch nicht. Stadtwerke Herford Die Stadtwerke können derzeit noch genügend Gas einkaufen, auch für 2023, sagt Prokuristin Christine Brinkmann. Aber die Sicherheit der Gasversorgung in den nächsten Wochen hänge davon ab, ob das Gas nach Abschluss der Wartung von Nord Stream 1 wieder fließe. Wie viel an wen fließt, hängt zudem davon ab, ob die Gaswarnstufe 3 ausgerufen wird. Denn dann würden - nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge - unter anderem einige Unternehmen und auch die Freizeiteinrichtungen vom Netz genommen. Darüber hinaus müsste auch an vielen anderen Stellen Energie gespart werden. Die Stadtwerke bereiten sich derzeit auf alle Szenarien vor. Bei ihnen geht es insbesondere um die Kommunikation mit den Kunden. Insofern sieht sich das Unternehmen in einer Sandwich-Position zwischen Gaseinkäufern und Abnehmern. Rund 80 Prozent der Herforder Haushalte beziehen ihre Heizenergie aus Erdgas, und zwar aus Norwegen und den Niederlanden, sofern es von den Stadtwerken kommt. Bei 66.000 Einwohnern dürften das mehr als 52.000 Menschen sein, die - auch ohne mit russischem Gas versorgt zu werden - betroffen wären. Strom ist Brinkmann zufolge keine Alternative: Einmal wegen der Menge, die bei einem Gasstopp aus Russland plötzlich benötigt würden, um Wohnungen elektrisch zu beheizen. Aber auch deswegen, weil auch an der Stromerzeugung Gaskraftwerke beteiligt sind. Zudem wird Strom schon jetzt exorbitant teuer. Erstmals sei am Freitag vergangener Woche der Preis auf 40 Cent je Kilowattstunde geklettert. "Das habe ich noch nie zuvor gesehen." Mit weiteren Kosten - etwa fürs Netz - seien sie damit schnell bei 50 Cent die Kilowattstunde, die Abnehmer zahlen müssten. Städtische Wohnbau Magnus Kasner, der Geschäftsführer der städtischen Wohn- und Wirtschaftsservice-Gesellschaft (WWS) sagt ganz offen: "Ehrlicherweise sind wir nicht darauf vorbereitet." Von den knapp 3.800 Wohnungen der WWS werden ungefähr 300 mit Stromwärme versorgt, mehr als 1.400 über Gasetagenheizungen. In beiden Fällen haben die Mieter selbst die Lieferverträge abgeschlossen. Ungefähr 800 Wohnungen versorge die WWS zentral mit Gas, derzeit mit Erdgas der Herforder Stadtwerke, die auch die 1.400 WWS-Mieter mit Gasetagenheizungen über ihre Zentralen beliefern. Die WWS müsse bei der Auswahl der Gaslieferanten nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit handeln, sagt Kasner. Mit anderen Worten: Wenn die Zähler in diesem Jahr abgelesen die Energieverbräuche abgerechnet werden, erhalten die Mieter gegebenenfalls eine Nachzahlungsaufforderung. Dann würden auch die Abschläge für die Zukunft angepasst. Vorgabe will Kasner nicht machen, etwa die Heizenergie auf 18 Grad drosseln. Die Ansprüche der Mieter seien individuell. Und auch das Warmwasser will er nicht abstellen: "Dafür müsste es eine große Übereinkunft mit den Mietern geben, damit sie keine Mangelansprüche geltend machen", sagt er. Wenn gar kein Gas mehr durch die Leitungen flösse, sei er ratlos. "Uns fehlen die Optionen", sagt Kasner. Längerfristig sieht das anders aus: An der Ulmenstraße hat die WWS gerade mit den Wabenhäusern nach dem seriellen Energiesprong-Prinzip vier Mehrfamilienhäusern in die neue Zeit überführt und von fossiler Energie unabhängig gemacht. Er könne schon jetzt sagen, dass die Gebäude deutlich mehr Energie produzierten als darin verbraucht werde. Aber - abgesehen von den derzeit noch sehr hohen Kosten einer solchen Sanierung - würde es nach Schätzungen Kasners mindestens zehn Jahre dauern, bis der komplette Gebäudebestand umgerüstet sei.

Meistgelesen