Erfahrungsberichte: Drei Frauen erzählen von Übergriffen im Kreißsaal

Kreis Herford/Kreis Minden-Lübbecke. "Die soll sich mal nicht so anstellen", "Du hast es nur halbherzig versucht", "Ihren Mann brauchen wir hier nicht, er braucht sich nicht einzubilden, dass wir ein Bett für ihn haben": Es waren nicht nur solche Sprüche, die sich drei erwachsene Frauen vor und während der Geburt gefallen lassen mussten. Eine von ihnen wechselte daraufhin sogar das Krankenhaus. Hier geht es zur Einschätzung der Krankenhäuser zum Thema: Übergriffe während der Geburt: Das sagen die Krankenhäuser zu dem Thema Alle drei Frauen haben mit der NW über äußerst unangenehme Erlebnisse während ihrer Geburten im Kreis Herford und Kreis Minden-Lübbecke gesprochen. Der Verein "Trauma Geburt" hat ein Wort dafür: Gewalt. Dazu gehöre physische und psychische Gewalt, erklärt Julia Dobelke, Vorständin und Beraterin bei "Traum(a) Geburt e.V." aus Stemwede. Beispiele dafür seien das Beschimpfen der Frau, das Durchführen von Maßnahmen, die die Frau nicht möchte, Fixieren, grobes Anfassen, ein Absprechen der körperlichen Wahrnehmung. Dobelke weiß, dass die Fälle der Frauen aus der Region keine Einzelfälle sind. Genaue Zahlen zu Gewalt in der Geburtshilfe gibt es laut dem Verein nicht. Es werde aber angenommen, dass je nach Quelle und Definition 10 bis 50 Prozent der werdenden Mütter Gewalt während der Geburt erleben. Allein Julia Dobelke hat 80 bis 100 Beratungen im Jahr zu dem Thema. Oft werde damit argumentiert, dass eine Entscheidung hätte schnell gehen müssen, oder, dass das Leben von Mutter oder Kind in Gefahr gewesen sei. "Wenn man nachher in die Akten schaut, ging es Mutter und Kind zu jeder Zeit gut", so Dobelke. Echte Notfälle gebe es höchst selten, anders als grenzüberschreitendes Verhalten. Aber Behauptungen wie diese legitimiere die Geburtshelfer, Maßnahmen ohne das Einverständnis der Gebärenden zu treffen. "Jeder und jede hat Rechte - auch während der Geburt - wir sind nicht entmündigt, aber so wird es oft dargestellt." Eine Betroffene ist Sabrina Völtzke. Sie ist Mutter von fünf Kindern. Bislang hat sie glücklicherweise nur bei einer Geburt schlechte Erfahrungen gemacht. Das war im Jahr 2019, erzählt sie. Die damals dreifache Mutter geht für die vierte Geburt in ein anderes Krankenhaus als zuvor. Der Grund dafür ist ein schlimmer Schicksalsschlag. Im vorherigen Krankenhaus hatte sie 2018 eines ihrer Kinder das letzte Mal gesehen, nachdem es nach einem Unfall verstorben war. "Ich kann mein Baby nicht dort bekommen, wo ich mein anderes Kind zurücklassen musste", erklärt sie. Vaginale Untersuchung ohne "Hallo" zu sagen Der Tod ihres Kindes liegt zum Zeitpunkt ihrer Geburt ein Jahr und drei Monate zurück, die Wunden sind noch frisch. Die werdende Mutter klärt den Arzt im Vorgespräch über die Situation auf. Da habe noch alles gut gewirkt. Das Krankenhauspersonal sei darauf offenbar nicht hingewiesen worden, berichtet sie. "Keiner kannte unsere Vorgeschichte." Das Paar habe das traumatische Erlebnis jedes Mal erneut erzählen müssen. Die Mutter erzählt von weiteren negativen Erfahrungen: "Keine der Hebammen und kein Arzt hat sich vor der Untersuchung vorgestellt." Sabrina Völtzke schildert eine solche Situation: "Ich war untenrum entblößt und der Arzt steckte, ohne 'Hallo' zu sagen, einfach seine Hand in mich", erinnert sie sich. Zudem soll er ihr ohne eine Erklärung ein Medikament aufgetragen haben. Erst im Nachhinein soll Völtzke einen Zettel zur Zustimmung bekommen haben. Sie habe ihn daraufhin gefragt, was passiere, wenn sie das Papier nicht unterschreibe. Die Antwort des Arztes: "Gar nichts, ich habe ihnen das Medikament ja schon gegeben." Ähnliches berichtet eine Mutter aus Minden im Gespräch mit der NW. Sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, der Redaktion ist er aber bekannt. Die 35-Jährige hatte ihre zweite Geburt Anfang des Jahres 2020 - noch vor Corona. Probleme habe es nur mit einer einzigen Hebamme gegeben, schildert sie. Diese habe sie unter anderem mehrfach ohne Vorankündigung untenherum angefasst. "Ich fand das ganz, ganz schlimm", erinnert sie sich. Das sei laut dem Verein aus Stemwede schon eine Grenzüberschreitung. "Man stellt sich vor und fragt auch nach dem Einverständnis und fängt nicht einfach an, zu untersuchen", sagt Beraterin Julia Dobelke. Diese zuvor geschilderten Fälle zeigten, dass nicht nur fehlende Zeit und Personal, sondern auch eine fehlende Wertevorstellung das Problem in der Geburtshilfe sei. Wer Zeit habe, sich einen Handschuh für die Untersuchung anzuziehen, habe auch Zeit, sich vorzustellen und zu fragen, ob es in Ordnung sei, jemanden vaginal zu untersuchen. "Das ist so, als ob die Frau während der Geburt alles mit sich machen lassen müsse, weil es um die Gesundheit geht - und das stimmt schlichtweg nicht." Medikamente verweigert Auch die Mindener Mutter berichtet, ähnlich wie Sabrina Völtzke, von weiteren Übergriffen. Sie habe auf Nachfrage keine Medikamente gegen die Schmerzen bekommen, da sie "eine PDA ja nicht gewollt" habe. "Das Verweigern von Medikamenten hat etwas mit einem Bestrafungssystem zu tun", erklärt Julia Dobelke, die diese Fälle aus der Beratung kennt. Wer die PDA nicht will, der bekomme auch die Schmerzmittel nicht. Dabei gebe es durchaus Schmerzmittel, die für die Phase vor und während der Geburt zugelassen seien. "Verweigerung von Medikamenten ist unterlassene Hilfe", erklärt die Beraterin. Die Geburtshelfer könnten mit einem schwächeren Medikament anfangen, wenn der Wunsch nach einem stärkeren - abseits der PDA - da sei, dann sei das durchaus legitim. Wegen der geschilderten und weiterer Erfahrungen hat Sabrina Völtzke noch vor der Geburt den Entschluss gefasst, das Krankenhaus zu wechseln. "Ich habe das nur gemacht, weil ich wusste, dass ich ja direkt in das nächste Krankenhaus fahre", erklärt sie. Am nächsten Tag sei ihre Tochter dann gekommen, gesund und munter. Absprechen der Körperkompetenz und fehlende Selbstbestimmung Die Geschichte von Denise (der Nachname ist der Redaktion bekannt) enthüllt weitere Probleme: 2016 entbindet sie in einem Krankenhaus in der Region. Die Geburt sei eingeleitet worden, doch es sei nichts passiert. "Ich habe neun Babys zur Welt kommen hören, während ich im Krankenhaus war", erinnert sich die 31-jährige frühere Herforderin, die mittlerweile in Minden wohnt. Fünf Tage am Stück sei sie größten Anstrengungen ausgesetzt gewesen. "Das Klinikpersonal wurde immer unfreundlicher." Es seien Sätze gefallen wie "Die soll sich mal nicht so anstellen" oder "Du hast es nur halbherzig versucht". Obwohl sich so lange nichts getan hatte, habe das Krankenhauspersonal einen Kaiserschnitt abgelehnt. "Erst, als ich ihnen deutlich gemacht habe, dass ich es körperlich und seelisch nicht mehr schaffen werde, haben sie reagiert", sagt Denise. Kurz bevor sie in den OP kam, habe sie Presswehen bekommen. "Ich habe gemerkt, dass das Baby jetzt kommt und das Köpfchen bereits gespürt." Als sie das mitgeteilt habe, sei sie nur mit den Worten "jetzt gehen sie aber in den OP" zum Kaiserschnitt geschickt worden. Es sei so gewesen, als habe man ihr während der Geburt gar nicht zugehört. Diese Erfahrung hat auch die andere Mindener Mutter gemacht: "Sie sprechen über einen und nicht mit einem." Das sei das grundlegende Problem, sagt Beraterin Julia Dobelke: "Die Geburtshilfe zeigt sich oft als rechtsfreier Raum, die Frau wird entmündigt, hat kein Mitspracherecht und das gibt es nirgendwo anders." Nachdem sie die Erfahrungsberichte der Frauen gehört hat, könne sie mit Sicherheit sagen: "Ja, den Frauen wurde Gewalt angetan."

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