Flucht vor Krieg: Syrier (34) seit Jahren von Familie abgeschnitten

Herford/Minden. Seit zehn Jahren herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Millionen Menschen haben fluchtartig ihre Heimat verlassen. Hamza Tahan ist einer von ihnen. Er ist 2013 aus Damaskus geflohen. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder ging es für ihn über Umwege nach Deutschland. Ihre Eltern und Geschwister haben sie seitdem nicht mehr gesehen. Zu gefährlich sei eine Einreise. Mittlerweile ist Hamza Tahan angekommen, hat sich fernab der Heimat ein neues Leben aufgebaut, Deutsch gelernt und arbeitet bei der Post in Herford. Die dortige Festanstellung ermöglicht ihm jetzt den nächsten Schritt. Mit Zahlen kann Hamza Tahan umgehen. All seine Daten zur Flucht hat der heute 34-Jährige präsent. In Damaskus hat er Buchhaltung studiert, aber nur wenige Monate gearbeitet, bevor er sich entschloss, sein Heimatland zu verlassen. Da herrschte bereits Krieg. Im März 2011 wurden friedliche Demonstrationen gewaltsam beendet, ein Bürgerkrieg entbrannte mit unzähligen Milizen und Fronten. "Ich und mein jüngerer Bruder hätten zum Militärdienst gemusst", sagt er. Die beiden flohen - erst nach Ägypten. Mit dem Schlauchboot übers Meer Dort konnte Tahan weiter als Buchhalter arbeiten. Zwei Jahre lang blieb er dort, sparte so viel Geld wie er konnte, um auch dieses Land verlassen zu können und nach Europa zu gelangen. "In Ägypten sah ich keine Zukunft." Am 27. August 2015 hat Tahan zum ersten Mal deutschen Boden unter den Füßen. Er war dort angekommen, wo er sich sicher schätzte. Die Reise dorthin war lang und kräftezehrend. Zehn Tage waren er und sein Bruder unterwegs. Unter anderem überquerten sie mit einem Schlauchboot das Mittelmeer - bei Nacht. "Angst hatte ich da nicht", sagt Tahan heute. Es war ein notwendiges Mittel, um weiter zu kommen. Den wohl schwersten Part unternahmen sie zu Fuß, "wir liefen von Serbien nach Ungarn". Zu Sechst via GPS suchten sie sich den Weg. An der ungarischen Grenze haben Privatleute die Gruppe mit dem Auto nach Budapest gebracht. "Das allein hat uns je 500 Euro gekostet." Schlepper haben ein leichtes Spiel, sie schlagen aus der Misere anderer Gewinn. Zu Zehnt sechs Monate lang in einer Schule gelebt Von Budapest ging es weiter nach Passau. "Dort wurden wir direkt von der Polizei aufgegriffen und nach Deggendorf gebracht. Eine Woche haben wir dort gelebt." Für seine komplette Flucht von Ägypten nach Deutschland hat Hamza Tahan 4.000 Dollar gezahlt. In Deutschland war die Odyssee nicht vorbei. Erst wurden die Geschwister nach Bielefeld geschickt, dann nach Düsseldorf, dann nach Minden. "Dort haben wir sechs Monate in einer Schule gelebt, mit zehn Menschen in einem Raum. Das war die schlimmste Zeit." Heute will er aus Minden nicht mehr weg. Er besuchte Sprachkurse, hat mittlerweile das C1-Zertifikat, hat den Führerschein gemacht und eine Weiterbildung als Finanzbuchhalter. "Ich habe vier Monate eine Stelle gesucht, doch nichts gefunden", sagt er enttäuscht. Deutsche Staatsbürgerschaft dank Festanstellung Im Internet fiel ihm dann ein Inserat der Post in die Hände. Am 23. Oktober 2019 hat er als Zusteller in Herford angefangen - und ist geblieben. "Ich bin hier sehr zufrieden, nur die Fahrt ist lang." Aus Minden will er trotzdem nicht weg: "Hier fühle ich mich wohl." Bei der Post arbeitet er als Verbundzusteller. Mit dem Auto liefert er Briefe und Pakete an die Herforder. "Ich kenne hier alle Straßen." Hamza Tahan ist gut in seinem Job. Von einem befristeten Vertrag hat er in eine Festanstellung wechseln können. Dadurch konnte er nun seine deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. "Wir unterstützen das als Arbeitgeber gerne", sagt Postpressesprecher Rainer Ernzer, "schließlich ist er wirklich gut". Tahan arbeitet gerne als Zusteller, würde in Zukunft aber lieber wieder als Buchhalter eine Stelle finden. "Das habe ich schließlich studiert." Schickt regelmäßig Geld in die Heimat, sonst ist kein Überleben möglich Bei all der Freude, wenn Tahan seine Fotos auf dem Handy durchgeht, überkommt ihm Wehmut. Da ist die total zerbombte Wohnung, Bilder von seinen Liebsten. Acht Jahre lang hat er seine Familie nicht mehr in die Arme schließen können. Doch Tahan bereut die Flucht nicht. "Ich bin stolz, es geschafft zu haben, es war die richtige Entscheidung." Ein Leben in Syrien kann er sich nicht mehr vorstellen. "Es gibt dort keine Zukunft." Um seine Familie in Damaskus zu unterstützen, schickt er regelmäßig Geld. "Sie verdienen viel zu wenig und das Leben, die Lebensmittel kosten einfach zu viel." Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge leben mehr als 80 Prozent der Syrer unterhalb der Armutsgrenze. Die zehn Jahre Bürgerkrieg führten dazu, dass elf Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

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