Hoffnung in Bielefeld: Syrer feiern Assads Sturz fern der Heimat

Bielefeld. Die Nachricht vom Sturz des syrischen Diktators Bashar Al-Assad erreichte Ahmad Andorah gegen 0.30 Uhr während seiner Nachtschicht als Lokomotivführer in Basel. Aufgeregt versuchte er, seine Frau Yumna Andoura in Bielefeld zu erreichen, um sich gemeinsam mit ihr über die gute Nachricht zu freuen. Doch Yumna war vor Erschöpfung eingeschlafen, nachdem sie drei Tage und Nächte die Ereignisse in ihrer Heimat über die Medien verfolgt hatte. &bdquo;Ich musste bis zum Ende meiner Sechs-Tage-Schicht warten, um meine Frau in die Arme nehmen und mit ihr gemeinsam das freudige Ereignis feiern zu können“, erinnert sich der Familienvater an die dramatische Befreiung Syriens drei Wochen vor dem Weihnachtsfest. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sich Yumna und Ahmad, die 2015 gemeinsam über Ägypten nach Deutschland geflüchtet waren, sicher: &bdquo;Wir werden unsere Heimat, unsere Familien nie mehr wiedersehen.“ Die Integration des jungen Paares in Deutschland verlief gut. &bdquo;Deutschland hat uns dabei geholfen“, sagt Yumna, die in Damaskus das Studium der arabischen Literatur absolvierte und in Ägypten für die Caritas mit Kindern gearbeitet hatte. &bdquo;Ich wollte etwas tun, nachdem ich die deutsche Sprache gelernt hatte“, so die heute 35-Jährige und ergänzt lächelnd: &bdquo;Ich mag es, mit Menschen sozial zu arbeiten.“ Neben der Kinderbetreuung des achtjährigen Sohnes und der dreijährigen Tochter trat die junge Mutter am 1. Februar 2023 bei der AWO eine Stelle als Schulbegleiterin an der Hellingskampschule in Bielefeld-Heepen an. Berüchtigtes Massaker in Homs miterlebt Ahmad hatte fünf Jahre als Journalist in Syrien gearbeitet und sich dann für das Fach Elektrotechnik an der Universität in Damaskus eingeschrieben: &bdquo;Technische Sachverhalte interessieren mich bis heute“, lacht der Lokomotivführer, der seinen Beruf seit vier Jahren ausübt und gerade deswegen liebt. &bdquo;Ich wurde im November 2010 zum Militärdienst eingezogen und musste mein Studium unterbrechen.“ Lesen Sie auch: Sturz des Assad-Regimes: Deshalb möchte eine syrische Familie in Bielefeld bleiben Im strategisch wichtigen Homs wurde er der Luftwaffe zugeteilt. Die Gräueltaten des Regimes erlebte er 2012 bei dem berüchtigten Massaker in der drittgrößten Stadt Syriens hautnah mit, als rund 400 Menschen vom Regime Assad ermordet wurden. Was den Familienvater bis heute erschüttert: &bdquo;Al-Assad ließ Videoaufnahmen des Blutbades im Internet veröffentlichen.“ Ahmad Andorah fasste den Entschluss zu fliehen. &bdquo;Ich konnte es mit meinem Gewissen nicht länger verantworten, Teil dieses brutalen Systems zu sein“, begründet er diesen nicht ungefährlichen Schritt. Zu Fuß flüchtete er über die Grenze in den Libanon und von dort nach Ägypten. Hier traf er Yumna zum ersten Mal persönlich. &bdquo;Wir hatten uns über unsere journalistische Arbeit bei einem Online-Magazin kennengelernt und kannten uns nur über das Internet“, sagt Ahmad. Schnell stand für beide fest: &bdquo;Unsere Beziehung funktioniert auch analog.“ Mit 100 Flüchtlingen in einem Boot Das Leben in Ägypten bot dem jungen Paar jedoch keine Perspektive, um eine Familie zu gründen, da syrische Flüchtlinge lediglich schlechtbezahlte und zudem zeitlich befristete Hilfsarbeiten zugewiesen bekamen. Ahmad und Yumna entschlossen sich erneut zur Flucht. Sie vertrauten sich einer Schlepperbande an und stiegen mit 100 anderen Flüchtlingen in ein kleines Boot, das sie über das Mittelmeer bringen sollte. Diesen gefährlichen Teil ihrer Odyssee haben sie mit Handyfotos festgehalten, die sie während unseres Gesprächs zeigen. In den Gesichtern der Flüchtenden sind Freude und Furcht gleichermaßen zu erkennen. Mehr zu Thema: Lage in Syrien auch Tage nach Assads Sturz instabil Neun Tage lang hatte die Fahrt auf dem Mittelmeer angedauert, als die Bootsinsassen realisierten: &bdquo;Der Sprit ist uns ausgegangen.“ Die Rettung kam in Form eines Militärschiffes, das die Flüchtlinge kurze Zeit später aufgenommen hat und sie nach Kreta brachte. Die dramatischen Erlebnisse der waghalsigen Flucht verarbeitete das Paar Jahre später auf seine ganz persönliche Art: &bdquo;Wir haben unseren Urlaub auf der Insel verbracht und sind zu dem Hafen in Paleochora gefahren, wo wir zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben.“ In Bielefeld eine Heimat gefunden Am 8. Juli 2015 erreichten sie Schwerin. Sie seien dann weiter nach Neumünster, Husum und Flensburg geschickt worden, bevor sie am 20. April 2016 in Bielefeld eine Heimat fanden, berichtet das Paar. Ihre pädagogischen Kenntnisse brachte Yumna von Februar 2019 bis Dezember 2022 bei der &bdquo;Regionalen Personalentwicklungsgesellschaft mbH“ (REGE) ein, bei der sie ehrenamtlich im Bereich Bildung, Kinder und Erziehung gearbeitet hat. &bdquo;Ich wünsche mir für Syrien so ein Bildungssystem, wie Deutschland es hat“, hebt sie anerkennend hervor und ergänzt: &bdquo;Mein achtjähriger Sohn spricht fließend Deutsch, und er versteht Arabisch.“ Lesen Sie auch: Umbruch in Syrien: Was bedeutet der Sturz Assads? Yumna und Ahmad lieben Deutschland. &bdquo;Das Land hat uns ermöglicht, dass wir uns hier eine Existenz aufbauen konnten.“ Der Familienvater fügt hinzu: &bdquo;Ich liebe meine Arbeit als Lokführer“. Nicht zuletzt deswegen, weil sie ihn finanziell unabhängig mache. Ein bisschen stolz ergänzt er: &bdquo;Ich benötige kein Bürgergeld.“ Wie viele syrische Flüchtlinge unterstützt das Paar seit Jahren ihre Familien in Syrien finanziell. Wohlwissend, so erklärt Ahmad, dass &bdquo;Assad an jeder Überweisung aus dem Ausland mitverdient und so Millionen Euro eingenommen hat“. Yumna und Ahmad werden in Deutschland bleiben und ihr Herkunftsland, wenn sich alles beruhigt hat, in Zukunft im Urlaub besuchen, denn: &bdquo;Unsere Familien in Syrien kennen unsere Kinder nur von Videos und Fotos.“ Das syrische Paar hat sich für das Land entschieden, das ihnen eine neue Heimat gegeben hat. Das haben sie nun auch schwarz auf weiß: &bdquo;Seit sieben Monaten haben wir die deutsche Staatsbürgerschaft“, freuen sich beide. Die Einbürgerung lief über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren. &bdquo;Wir wollten ein stabiles Leben in Freiheit und Sicherheit für unsere Familie“, begründet Yumna den weitreichenden Schritt. Menschen säubern Straßen in Syrien Dass sich durch Assads Sturz in Syrien alles zum Besseren wenden wird, davon ist das Paar überzeugt. Nun gehöre das Land wieder der syrischen Bevölkerung, sagt Ahmad und spielt ein weiteres Mal ein Video auf seinem Mobiltelefon ab. Es zeigt viele Menschen in Damaskus, die einen Tag nach der Befreiung der Hauptstadt gemeinsam die Straßen vom Unrat reinigen. Weiterlesen: Hoffen auf friedlichen Umbruchprozess in Syrien Ahmad erklärt, was es damit auf sich hat: &bdquo;Die Häuser in Syrien sind sehr sauber, denn sie gehören den Menschen. Die Straßen waren schmutzig, denn sie gehörten Assad. Nun, da sie wieder den Menschen gehören, sollen sie wieder sauber werden.“

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