„Ich habe erst mal geweint“: Spenger kehrt nach elf Jahren nach Syrien zurück

Enger/Spenge/Damaskus. Der Taxifahrer habe ihn erst mal beruhigt, als er an die syrische Grenze kam, berichtet Samir Alnajjar. Derzeit würden so viele Syrer über den Libanon in ihre Heimat zurückkehren, dass Alnajjar nicht der Erste war, der beim Anblick der Grenze in Tränen ausbrach. &bdquo;Der kannte das schon“, sagt Alnajjar. 2014 ist der jetzige Spenger vor dem Assad-Regime geflüchtet. Nun kehrt er nach fast elf Jahren nach Syrien zurück. Der NW berichtet er, was er dort erlebt und wie er versucht hat, den neuen syrischen Präsidenten zu treffen. &bdquo;Das Internet ist katastrophal“, entschuldigt sich Alnajjar zu Beginn des Video-Gesprächs. Seit Ende März ist er wieder in Syrien. Per Flug von Düsseldorf in den Libanon und dann zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt per Taxi über die Grenze. &bdquo;Ich dachte, das dauert Stunden“, sagt Alnajjar. Doch die neuen Grenzbeamten seien nett und höflich gewesen, hätten bei der Einreise geprüft, ob er auf einer Liste festzunehmender Personen steht. Alnajjar ist neugierig. Er will wissen, ob es unter dem Assad-Regime einen Fahndungsbefehl für ihn gab. Darauf hätten ihm die Beamten geantwortet: &bdquo;Sei froh, dass du jetzt einreist.“ Wäre er vor dem Dezember vergangenen Jahres eingereist, wäre er wohl schon an der Grenze festgenommen worden, sagt Alnajjar. Besuch am Grab der Großeltern Seit 2015 lebt der Syrer in Spenge. Hat dort seine zweite Heimat gefunden. Mittlerweile arbeitet er für die Stadt Enger als Sozialarbeiter in der Flüchtlingshilfe. Seit damals habe er viele seiner Verwandten nur noch bei Video-Anrufen gesehen, sagt Alnajjar. Nun gab es das große Wiedersehen in Damaskus, der Stadt, in der Alnajjar und seine Familie früher gelebt hatten. &bdquo;Mein Opa sagte, dass er froh ist, dass er mich wiedersehen konnte“, sagt Alnajjar. Er hätte seiner Familie im Vorfeld nicht Bescheid gesagt, wollte sie überraschen. &bdquo;Meine Tanten und Onkels konnten es kaum glauben“, sagt der Spenger. Einige seiner Cousins seien noch klein gewesen, als er floh. Andere waren damals noch gar nicht geboren. Sein 11 Jahre alter Cousin sei zwei Wochen nach seiner Flucht geboren worden. &bdquo;Bei einigen musste ich mich erst vorstellen: Ich bin euer Cousin“, sagt Alnajjar. Lesen Sie auch: Flüchtlingshelfer aus Spenge: Vielen Syrern steht &bdquo;die schwierigste Entscheidung ihres Lebens“ bevor Eine Woche hätte er nur mit Besuchen bei Verwandten verbracht. &bdquo;Jeder wollte mich einladen“, sagt Alnajjar. Zeit, seine alte Heimat zu erkunden, wie er eigentlich geplant hatte, findet er zunächst kaum. Doch dann er nimmt sich die Zeit. Er habe die Altstadt von Damakus besucht - vor allem aber das Grab seiner verstorbenen Großeltern. Als ältestes Enkelkind hatte er eine besondere Beziehung zu ihnen, sagt Alnajjar. Seine Oma und sein Opa seien dann aber 2019 beziehungsweise 2020 gestorben. &bdquo;Ich bin sehr traurig, dass ich so spät bin“, sagt er. Ungewohnte Freiheit Mehrfach betont Alnajjar, als wie neu er die Freiheit erlebt, die es unter der neuen Regierung nun gibt. Er erinnert sich noch daran, wie er als Jugendlicher beim Gang durch Damaskus immer wieder von Sicherheitskräften aufgehalten wurde. Nun habe er sich frei bewegen können. Auch bekannte Denkmäler wie die Umayyaden-Moschee oder einen Palast des Diaktators Baschar al-Assad konnte er besuchen. Doch Alnajjar will es noch genauer wissen - und spricht beim Außenministerium vor. &bdquo;Ich habe gehört, man kann den Präsidenten mal treffen“, sagt Alnajjar. Seit Dezember ist Ahmed al-Scharaa der Interimspräsident des Landes. Vorher war er Anführer der Rebellenkräfte, die schließlich das Assad-Regime stürzten. Wegen seiner islamistischen Vergangenheit wird al-Scharaa im Westen durchaus noch mit Skepsis gesehen. Alnajjar wollte schauen, ob er zum Präsidenten vorgelassen wird. &bdquo;Ohne Action ist mir langweilig“, sagt er. Er sei im Ministerium schließlich abgewiesen worden. Doch dass er überhaupt so weit kam, ist für ihn ein gutes Zeichen. &bdquo;Früher hat der Präsident in einer anderen Welt gelebt“, sagt Alnajjar. &bdquo;Jetzt war hinter mir eine lange Schlange. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.“ Auch, dass die neue Regierung aus den verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Landes besteht - unter anderem ist ein Alawit Verkehrsminister, ein Druse Landwirtschaftsminister und eine Christin Ministerin für Soziales und Arbeit - sieht Alnajjar als positives Zeichen. &bdquo;Dass eine Frau dabei ist, ist schon mal Fortschritt“, sagt Alnajjar. Generell erlebe er in der Bevölkerung viel Hoffnung. Armut und israelische Angriffe Es gebe aber auch viel Armut. &bdquo;Das könnte das größte Problem sein“, sagt Alnajjar. Und es sei noch nicht überall sicher. Während es im Zentrum von Damaskus ungefährlich sei, hätte ihn seine Familie vor den Dörfern außerhalb gewarnt, gerade bei Nacht. Trotzdem habe er es sich nicht nehmen lassen, das alte Geschäft und das alte Zuhause seiner Familie im Außenbezirk Tadamon zu besuchen, berichtet Alnajjar. Lesen Sie auch: 10 Jahre Asyl Spenge Viele seiner alten Nachbarn hätte er dort nicht mehr angetroffen, sagt Samir. &bdquo;Ganz viele wurden gefoltert oder sind gestorben“, sagt Alnajjar. Die ehemalige Wohnung seiner Familie werde nun von einer neuen Familie bewohnt. Er habe dort Kinder auf dem Balkon spielen sehen. &bdquo;Das hat mich an mich und meinen Bruder erinnert“, sagt Alnajjar. Der Laden, den Alnajjars Vater nach seinem Sohn &bdquo;Samir Elektrotechnik“ genannt hatte, sei völlig zerstört gewesen. &bdquo;Selbst das Namensschild wurde geklaut“, sagt Alnajjar. Was Samir ebenfalls Sorgen macht: Die Angriffe des israelischen Militärs auf Damaskus. Zwei solcher Angriffe habe er mitbekommen und sei zunächst erschrocken gewesen, berichtet Alnajjar. &bdquo;Das war zum Glück kilometerweit weg“, sagt er. Das israelische Militär gab zu den Angriffen an, militärische Ziele ins Visier genommen zu haben. Alnajjar hat Angst, dass solche Angriffe zu einer Eskalation der politischen Situation führen könnten. Was bedeutet Heimat? Ende der Woche steht der Rückflug nach Deutschland für Alnajjar an. Er kommt mit vielen Eindrücken aus seiner alten Heimat zurück. Und mit der Frage, was Heimat für ihn bedeutet. &bdquo;Es ist komisch, wenn man in Damaskus ist und Heimweh hat. Jetzt hab ich Heimweh nach Spenge“, sagt Alnajjar. Wie viele Syrer steht er nun vor der Frage, ob er in Deutschland bleiben oder dauerhaft nach Syrien zurückkehren will. Was dagegen spreche, sei die Unsicherheit, die es nach wie vor in Teilen von Syrien gibt. &bdquo;Ich müsste mir wieder eine Wohnung suchen, wieder einen Job suchen. Und es gibt noch keine richtigen Jobs“, sagt Allnajjar. Bei der Entscheidung, ob er in Deutschland bleibt, hätte ihm die Reise nicht geholfen. &bdquo;Aber bei der Entscheidung, sich zu gedulden“, sagt Alnajjar. Sobald er das Gefühl habe, beim Wiederaufbau wirklich helfen zu können, werde er noch einmal wirklich überlegen müssen. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Herford

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