Belgischer Kunst-Guru im Marta: Wie er damals nach Herford kam

Herford. Über eine öffentliche Ausschreibung nebst hochkarätig besetzter Auswahlkommission sucht Herford eine neue Marta-Führung. 21 Jahre nach der Bestellung von Jan Hoet zum künstlerischen Leiter wird damit ein neues Kapitel in der Herforder Museumsgeschichte aufgeschlagen. Aber wie kam eigentlich der belgische Kunst-Guru nach Herford? Ein Rückblick auf einen verrückten Geniestreich: Um die Jahrtausendwende standen die Herforder vor einem Problem, um das sie viele in Europa beneideten. Dank des kunstsinnigen Energie-Managers Manfred Ragati (EMR) hatte der damals begehrteste Architekt der Welt, Frank Gehry, eine spektakuläre Bauskulptur für sie entworfen, ein vierflügeliges schwingendes Ensemble ohne Rechtecke und gerade Wände. Blöd war nur, dass es keine wirklich überzeugende Nutzung für den im Modell vorhandenen &bdquo;Herforder Gehry-Bau“ gab. Konzept &bdquo;Haus des Möbels“ verworfen Gestartet war man unter der Überschrift &bdquo;Haus des Möbels“. Doch für Büro- und Seminarräume sowie ein technisches Prüflabor würde Gehry nicht nach OWL kommen. Also sollte das im Rahmen der Expo 2000 entwickelte Branchenprojekt durch einen Museumsbau angereichert werden. Aber was für ein Museum ? Das war völlig unklar. Einige redeten von einem deutschen oder gar internationalen Möbelmuseum, das würde zum Haus des Möbels passen. Andere wollten hier endlich das neue Museum für Stifts- und Stadtgeschichte einrichten. Parallel wurde auch über ein Schaustellermuseum, passend zur Schaustellerstadt Herford, ernsthaft nachgedacht. Und dann gab es im Rathaus den Plan, die viel bewunderte Sammlung expressionistischer Kunst des Modeunternehmers Jan Ahlers dauerhaft in Herford zu zeigen, womöglich ergänzt um weitere Kunstsammlungen. Damit ließe sich zugleich die ältere Idee eines Gabriele-Münter-Museums wieder aufgreifen. &bdquo;Ein Kessel Buntes“ hieß es in einer Imagebroschüre Dumm war nur, dass es weder eine Möbelsammlung noch ein Konzept für die Stadtgeschichte gab und dass Jan Ahlers der ganzen Sache äußerst reserviert gegenüberstand. In der Not rettete man sich in die Idee eines &bdquo;integrierten Museumszentrums“ (so hieß das damals wirklich) mit einem Mix aus Stadtgeschichte, neuerer Kunst und irgendwie auch Möbeldesign. &bdquo;Ein Kessel Buntes“ hieß das ganz ohne Ironie in einer Image-Broschüre. In dieser Situation war entscheidend, wer das Museum aufbauen und leiten würde. Klar war, dass die örtlichen Museumsleute den überregionalen, ja internationalen Ansprüchen nicht genügen würden. Gesucht wurde eine Person, die auf Augenhöhe mit dem Star-Architekten Gehry wahrgenommen würde. Manfred Ragati kümmerte sich. Der international vernetzte Energie-Manager und Vorsitzende eines großen Sozialverbandes sondierte in Europa und Übersee. Er sprach mit Tom Krenz (Guggenheim) in New York und Bilbao, fragte Armin Zweite (Düsseldorf) und Max Hollein (Frankfurt, später MET New York) und präsentierte schließlich seinen Kandidaten: Peter Noever, Leiter des Museums für angewandte Kunst (MAK) in Wien. Noever war ein internationaler Spezialist für &bdquo;angewandte Kunst“, also Design. Er fand sich bereit, von Wien aus in Herford eine Art Designmuseum als &bdquo;Satellit“ seines Haupthauses in Wien aufzubauen. Vorbild dafür war das von Gehry entworfene Guggenheim-Museum Bilbao, das ebenfalls extern, von der Guggenheim-Foundation in den USA, bespielt wurde. Doch bei den Herfordern, die ihn in Wien besuchten und zum Vortrag an die Werre einluden, kam der Österreicher nicht so gut an. Er blieb als Mann von großem Selbstbewusstsein, erheblicher Arroganz und hohen Ansprüchen in Erinnerung. Eine Million Mark werde er pro Ausstellung benötigen, verkündete er. Im Rathaus kam man rasch zum Ergebnis, das alles passe wohl nicht nach OWL. Was nun? Bald nach seiner Wahl im Herbst 1999 hatte der neue Bürgermeister Thomas Gabriel (CDU) das Möbelmuseum leise beerdigt. Themen wie &bdquo;die Geschichte der Schrankwand“ schienen ihm nicht wirklich attraktiv. Nach Rücksprache mit dem Mäzen Dieter Ernstmeier löste er auch die Stadt- und Stiftsgeschichte aus dem &bdquo;Museumszentrum“ heraus. Sie sollte lieber am historischen Ort in einem Museum am Münster erzählt werden. »Fragen Sie doch mal Jan Hoet« Schließlich nahm er auch Abschied von der Ahlers-Sammlung, aus gutem Grund, wie sich bald zeigte: Ahlers war gerade dabei, sich von seinen berühmten Expressionisten zu trennen und sich mehr für zeitgenössische Künstler wie Daniel Spoerri oder Dieter Roth zu interessieren, für die er bald darauf ein kleines Privatmuseum in Hannover einrichtete (Das ist vor einigen Jahren von seiner Tochter Stella nach OWL zurück geholt worden und bereichert jetzt von Elverdissen aus die hiesige Kulturszene). Aber was sollte ohne Möbelsammlung und Ahlers-Expressionisten aus dem Gehry-Bau werden? Ganz darauf verzichten? Für Gabriel kam das nicht in Frage. – Design? Gerade wurde in Essen ein riesiges NRW-Designzentrum aufgebaut. – Klassische Kunst? Unbezahlbar. Es blieb für Gabriel nur junge Kunst. Für die gab es zwar im mittelstädtischen Herford keine Tradition; selbst der örtliche Kunstverein war eher auf die klassische Moderne fixiert. Doch ein charismatischer Museumsmacher könnte den Mangel vielleicht ausgleichen. Gabriel hörte sich um. Er knüpfte Kontakt zu Größen der Kunstszene wie Harald Szeemann, Kaspar König und Zdenek Felix, die er zu Vorträgen nach Herford einlud. Auch Peter Noever stellte sich noch einmal vor. Es sollte breit diskutiert werden. Die Lösung fand er dann doch im Kunstverein. Anlässlich einer Ausstellung von Picasso-Holzschnitten aus der Sprengel-Sammlung Hannover war deren stellvertretender Direktor Dr. Norbert Nobis zu einem Vortrag nach Herford gekommen. Hinterher kam man ins Plaudern. &bdquo;Fragen Sie doch mal Jan Hoet“, riet der Mann aus Hannover dem Bürgermeister. Der Kunst-Verrückte war interessiert an der Kunst-Diaspora Norbert Nobis kannte den belgischen Museumsmann von der Documenta 1992 und aus dem CIMAM, dem &bdquo;International Center for Museums and Collections oft Modern Art“. Und er wusste, dass Hoets Vertrag mit dem von ihm aufgebauten S.M.A.K. in Gent demnächst auslaufen würde. Dann ging alles ganz schnell: Archivar Christoph Laue musste weitere Informationen über Jan Hoet einholen, Gabriel rief ihn in Gent an, die beiden trafen sich, verstanden sich auf Anhieb, der Kunst-Verrückte war interessiert an der Kunst-Diaspora. Auch eine im Frühjahr 2000 nach Gent reisende Herforder Rats-Delegation war angetan von dem charismatischen Kunst-Magier. Danach erst, im April 2000, ließ der Bürgermeister den Stadtrat den Baubeschluss für das inzwischen abgespeckte Gehry-Baumodell fassen. Jan Hoet unterzeichnete im Frühsommer einen Fünfjahresvertrag als Gründungsdirektor. Aus dem &bdquo;integrierten Museumszentrum“ war plötzlich das Museum für &bdquo;Art und Ambiente“ (MARTa) und der Name Herford bald darauf in der europäischen Kunstszene zeitweilig zum Begriff geworden – ganz ohne Ausschreibung und Findungskommission. Wiederholen lässt sich das gewiss nicht. Die Kunst- und Museumsszene verändert sich in rasendem Tempo. Die Zeit der Magier ist vorbei, der Zauber der Gehry-Architektur verblasst. Noch-Direktor Roland Nachtigäller hatte es bereits bei seinem Antritt 2008 vorhergesagt: Das Marta muss immer wieder neu erfunden werden.

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