Hartz IV als letzte Rettung für viele Schausteller und Soloselbstständige

Kreis Herford. Über Jahre ging die Zahl der Hartz IV-Empfänger und der Langzeitarbeitslosen im Kreis Herford leicht aber beständig auf einen Tiefststand zurück. Darauf war man stolz. Dann kam Corona mit den Lockdowns und es mussten wieder mehr Menschen Arbeitslosengeld II beantragen. Besonders kleine Selbstständige, Beschäftige aus Arbeitnehmerüberlassungen und Minijobber hat die Krise hart getroffen, zeigt die Jahresbilanz des Jobcenters. "Es war für viele ein schweres Jahr", wissen die Leiterin der Agentur für Arbeit, Frauke Schwietert, und der Geschäftsführer des Jobcenters Herford, Klaus Binnewitt. Nach seinen Angaben sind jetzt auch viele der im Kreis stark vertretenen Schausteller betroffen. Fachkräftemangel Auch die Lage für junge Menschen unter 25 Jahren, die einen Einstieg ins Berufsleben suchen, ist schwerer geworden. Landrat Jürgen Müller erinnert daran, dass es nach wie vor einen Fachkräftemangel gebe, und appelliert an die Unternehmen, auch im eigenen Interesse alles zu tun, um die nachwachsende Generation in Ausbildung zu bringen: "Es braucht 2021 eine gemeinsame Kraftanstrengung zu verhindern, dass nicht so viele junge Leute arbeitslos werden und bleiben." "Der positive Trend ist erst einmal gestoppt", stellt Binnewitt also fest. "Im Jobcenter Herford waren die Auswirkungen der Corona-Pandemie aber nicht so deutlich zu spüren, wie noch zu Beginn des vergangenen Jahres prognostiziert." Steckten nicht persönliche Schicksale hinter den Zahlen, könne man sogar sagen, der Kreis sei mit einem blauen Auge davongekommen. Frauke Schwietert führt das auch auf Überbrückungshilfen und den verlängerten Bezug von Arbeitslosengeld I und Kurzarbeitergeld zurück. "Wir können froh sein, dass wir in Deutschland mit seinem Netz für Menschen leben, die es ohnehin schwer haben", meint der Landrat. Die Erfahrungen zeigen aber auch, dass sich Krisen mit Verspätung auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Betroffene Haushalte Die Zahl der Haushalte, die 2020 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogen, stieg leicht an von 7.624 um 0,7 Prozent auf 7.675 im Jahresdurchschnitt. Insgesamt haben 15.535 Personen Hartz IV-Leistungen empfangen. Das sind in etwa gleich viele wie im Vorjahr mit 15.538. Jeder zwölfte Bewohner des Kreises Herford unterhalb des Rentenalters einschließlich der Kinder ist auf Hartz IV-Leistungen angewiesen. Kinder Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten stieg von 10.645 im Jahr 2019 auf 10.726 im Jahr 2020. Das ist ein Anstieg um 0,8 Prozent. Gegen den Trend ging die Zahl der unter 15-Jährigen, die einem betroffenen Haushalten gehören, weiterhin zurück - um 1,7 Prozent auf 4.810. Ein Großteil der Arbeitslosengeld II-Bezieher ist nicht arbeitslos. Das liegt daran, dass sie erwerbstätig sind, kleine Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder sich noch in der Ausbildung befinden. Hart getroffen Die Zahl der vom Jobcenter betreuten Arbeitslosen stieg erstmals seit Jahren wieder - von 4.350 in 2019 auf 4.702 in 2020. Das entspricht einem Anstieg um 8,1 Prozent. "Die Pandemie hat uns um zwei bis drei Jahre zurückgeworfen", sagt Klaus Binnewitt. Sie habe allgemein die Beschäftigungs- und Einkommensrisiken erhöht, aber mit unterschiedlicher Wucht: "Hart getroffen hat es vor allem die Leute mit niedrigem Einkommen wie Minijobber und befristet Beschäftigte. Neu in dieser Größenordnung ist die Zahl der Selbstständigen aus Gastronomie, Schaustellergewerbe und Friseurhandwerk." Es sei zu einer Verdopplung der Zahlen mit deutlichem Anstieg im Januar und Februar dieses Jahres gekommen. Viele seien erstmals in Hartz IV. Seit März 2020 sind etwa 45 Schausteller-Haushalte hinzugekommen. Bei den (Solo-)Selbstständigen belief sich die Zahl der betroffenen Haushalte vor Corona auf rund 200, inzwischen auf etwa 400. Junge Arbeitslose Die Zahl der Arbeitslosen unter 25 Jahren stieg um 7,3 Prozent. Während 2019 noch 377 junge Leute unter 25 Jahren arbeitslos waren, waren es 2020 durchschnittlich 405. Auch bei der Zahl der Langzeitarbeitslosen gab es einen Zuwachs. Sie lag 2019 durchschnittlich bei 2.058 und stieg um 11,5 Prozent auf 2.295 im Jahr 2020, coronabedingt mit weiter wachsender Tendenz. Das Angebot freier Stellen ist um die Hälfte eingebrochen. Der Gesetzgeber habe den Zugang zum Arbeitslosengeld 2 vereinfacht, etwa bei den Wohnungskosten und im Verzicht auf die Vermögensprüfung. "Hartz IV wurde bedingungsärmer aber nicht bedingungslos", sagt Binnewitt. Für das Jobcenter habe 2020 im Vordergrund gestanden, dass "die Geldleistung schnell steht" - also die Kühlschränke gefüllt seien und die Miete bezahlt werde. Digitale Beratungsmöglichkeiten Auch wenn die Türen des Jobcenters geschlossen waren, sei es immer möglich gewesen, die sehr engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erreichen – telefonisch, online über die Plattform www.jobcenter.digital und per E-Mail bzw. Brief, sagt Binnewitt. Stück für Stück habe das Jobcenter digitale Möglichkeiten ausgebaut. &bdquo;Inzwischen ist es möglich, nicht nur Veränderungen, sondern auch Haupt- und Weiterbewilligungsanträge online an das Jobcenter zu übermitteln. Dass unabhängig von Zeit und Ort die Daten und nicht die Menschen laufen müssen, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung", meint Frauke Schwietert. "Wir haben manchen alten Zopf abgeschnitten." Die neu gewonnenen digitalen Möglichkeiten werde man auch in Zukunft nutzen und weiter ausbauen. Dennoch sei wichtig, dass es auch wieder persönliche Gespräche und Weiterbildung mit Anwesenheit geben könne. Ausblick &bdquo;Der Blick in die Glaskugel fällt deutlich schwerer als in vorangegangenen Jahren – dennoch setzen wir große Hoffnungen auf die Frühjahrsbelebung, wie es sie auch nach dem Ende des ersten Lockdowns in 2020 gegeben hat", sagen Frauke Schwietert und Klaus Binnewitt. Ungewiss sei aber, wann der Konjunkturmotor wieder anspringe und wie schnell und nachhaltig sich die Wirtschaft und damit der Arbeitsmarkt wirklich von den Folgen der Corona-Pandemie erholen werde.

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