Was während der Ausgangssperre in Herford passiert

Herford. Das Läuten der Kirchturmuhr schallt durch die Gassen: Es ist 21 Uhr, die Ausgangssperre im Kreis Herford beginnt. Ein Mann eilt im Schritttempo an Optik Renken vorbei. Er muss zur Arbeit, sagt er. Gemeldet sei er ohnehin im Kreis Soest, er wohne aber bei seiner Freundin. "Können wir etwas schneller gehen, ich muss mich beeilen", fügt er hastig hinzu. Der junge Mann, der ihm in der Höckerstraße entgegenkommt, hat keine Eile. "Ich bin auf dem Weg nach Hause, es ist nicht weit", sagt er. Würde er kontrolliert werden, müsste er wahrscheinlich zahlen. Das scheint ihn nicht zu stören: Auch wenn er während dieser Zeit spazieren gehen oder eine Zigarette rauchen wolle, dann mache er das auch, sagt er. Wen solle er um die Uhrzeit anstecken? Es ist so leer, dass die Stimmen während des Gesprächs laut durch die Häuserschluchten hallen. Am Ende der Bäckerstraße lehnt ein jüngerer Mann in einer kleinen Gasse gegen eine Häuserwand. Neben ihm stehen zwei Plastiktüten, über seinem weißen Kapuzenpulli trägt er eine dunkle Jacke, seinen Kopf wärmt eine schwarze Mütze. Hauchzarte Schneeflocken fallen. Er suche einen Platz zum Schlafen, sagt er. Wie lange er schon auf der Straße lebt, kann er nicht genau sagen. "Zwischen fünf und zwölf Monaten", sagt der 27-Jährige, der sich mit dem Namen Mirco vorstellt. Zweimal hätte ihn die Polizei während der Ausgangssperre aufgegriffen. Den Rummel um Corona verstehe er nicht. "Ich bin die ganze Zeit draußen und habe mich nicht angesteckt." Auch er sehe, dass im Moment wenig los ist. An diesem Abend wisse er noch nicht, wohin er gehe. Taxifahrer haben nichts zu tun Auf der Wittekindstraße fährt eine Polizeistreife Richtung Brax. Die Polizisten sind aber zu weit weg, um die Reporterin neben dem Knusper Kebap zu bemerken. Es ist kurz nach zehn, bisher wurde sie noch nicht kontrolliert. Am Bahnhof langweilen sich die Taxifahrer. "Sie haben ja eine Kamera dabei, sind sie Reporterin?", fragen zwei neugierig. Vier Autos stehen an diesem Abend hier, normalerweise sollen es 12 sein. "In einer Schicht mache ich nur vier Fahrten", ärgert sich Orhan Yumusak. Früher hätte er jede Stunde mindestens eine Fahrt gemacht. "Hier herrscht Toten-Tanz." Die meisten Menschen hielten sich an die Ausgangssperre, sagt der Taxifahrer auf Nachfrage. Er schimpft: "Auf der Arbeit darf man sich treffen, aber privat nicht?" Sein Kollege, der seinen Namen nicht nennen will, wiegelt ab. Die Politiker seien auch nur Menschen. "Das ist eine neue Situation und die gab es so zuletzt vor 100 Jahren." Orhan Yumusaks Handy klingelt, kurze Zeit später wendet er das Taxi und braust davon. Vor dem Bahnhof stehen zwei Männer, einer wartet auf den Zug, der andere auf den Bus. Es schneit stärker. Sie kommen gerade von ihrer Schicht bei Sulo. Der mit dem langen Bart, der unter der Maske hervorlugt, heißt Marcel Breuer. Sein Dialekt hört sich berlinisch an, er wohnt aber in Bünde. Direkt am ersten Tag der Ausgangssperre sei er von den Kontrolleuren angehalten worden. 150 Euro Strafe. Er habe seine Bescheinigung von der Arbeit noch nicht gehabt. Das Geld hätte er später wiederbekommen. Sein Zug kommt. Sein Freund Jarak Sibi geht zu seinem Bus, der nach Bad Salzuflen fährt. Er scheint die Stille zu der Uhrzeit nicht zu genießen: "Das macht mich traurig, wo ist das Leben?", fragt er. Für die Maßnahmen hat er dennoch Verständnis. "Wir müssen an einem Strang ziehen", sagt der 21-Jährige. Auf zur Kreuzung Berliner Straße/Mindener Straße Es ist 22.42 Uhr. Die Reporterin zieht weiter, noch wurde sie nicht kontrolliert. Um den Weg noch etwas auszuweiten, geht sie Auf der Freiheit entlang bis zur Kreuzung Berliner Straße/Mindener Straße. Der Schnee wird heftiger. Um 23 Uhr geht es zurück zur Redaktion. Die Bescheinigung, die ihr der Arbeitgeber extra für diesen Bericht ausgestellt hat, hat sie nicht gebraucht. Als sie nach Hause fährt, sieht sie Mirco, der seine Tüten vor einem Haus abgestellt hat und an einem Pfeiler lehnt. Einen Schlafplatz hat er offensichtlich noch nicht gefunden. "Dass Sie nicht kontrolliert wurden, heißt nicht, dass es keine Kontrollen gibt", sagt Polizeisprecher Uwe Maser am nächsten Tag auf Nachfrage. Die Polizei appelliere an die Vernunft und Einsichtsfähigkeit der Menschen - zudem müsse jeder mit einer Kontrolle rechnen. "Die Ausgangssperre wird derzeit eingehalten, in den beiden vergangenen Nächten hatten wir nicht einen Verstoß", sagt Maser.

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