Kommentar: Weihnachten und Corona: Vielleicht ist doch nicht alles kaputt

Herford. Jetzt also auch noch die Gottesdienste zu Weihnachten. Nachdem man sich inzwischen damit arrangiert hat, die Bescherung nicht wie üblich in der großen Runde, sondern erzwungenermaßen im kleinen Kreis zu feiern, setzte diese Nachricht nun noch einen drauf: Das traditionelle Krippenspiel fällt genau so aus wie die alljährliche Gänsehaut, wenn die Gemeinde wie mit einer Stimme &bdquo;O Du Fröhliche!" singt. Die Corona-Pandemie macht in diesem Jahr wirklich alles restlos kaputt, nun also auch das Fest der Feste – ist diesem vermaledeiten Virus denn gar nichts heilig, noch nicht einmal der Heilige Abend? Natürlich ist Corona Weihnachten Wurscht – es ist nur eine infektiöse, organische Struktur, noch nicht einmal ein Lebewesen. Für viele Menschen ist der 24. Dezember hingegen ein absoluter Fixpunkt im Jahr. Und das nicht einmal unbedingt aus religiösen Gefühlen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die um den Schutz der Bevölkerung bemühten Politiker besonders um das Weihnachtsfest und die damit verbundenen Restriktionen hart gerungen haben. Einschränkungen zu Weihnachten wiegen doppelt schwer Im Gegensatz zu den übrigen Enttäuschungen im Jahr – angefangen vom abgesagten Urlaub über die zahlreichen ins Wasser gefallenen Feste und Feiern bis zum aktuellen zweiten Lockdown – wogen und wiegen die aktuellen Einschränkungen doppelt schwer. Denn wie keine andere Zeit im Jahr lebt die Weihnachtszeit von Traditionen und Ritualen, die im Kleinen vielleicht noch harmlos und verzichtbar klingen. Der Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, sei es am Wochenende mit den Freunden oder nach Feierabend mit den Kollegen – ausgefallen. Dann die Suche nach den schönsten Überraschungen und tollsten Geschenken für die Lieben – ausgefallen. Die traditionellen Weihnachtsfeiern in den Vereinen – ausgefallen. Das jährliche Treffen von Ehemaligen, gerne auf dem Weihnachtsmarkt zur festen Stunde am festen Ort – Sie ahnen es bereits. Und dann kommt da eben noch der Heilige Abend. Für viele ist dieses Datum seit ihrer Kindheit derart durchgetaktet, dass sie bereits bei der Erwähnung des Datums &bdquo;24. Dezember" den Geruch von Omas Plätzchen in der Nase oder eben ein vielstimmiges &bdquo;O Du Fröhliche!" im Ohr haben. Hier sind die Rituale und Traditionen vielleicht auch für sich klein, zusammengenommen ist es aber ein Großes, ein Ganzes. Und vor allem ist es eines: Eine Selbstverständlichkeit. Seit Jahren. Unangetastet. Doch dann kommt dieses Virus, und plötzlich passiert das völlig Undenkbare: Die für unumstößlich und sicher geglaubten Momente lösen sich in Luft auf. Wertvolle und liebe Momente – und plötzlich sind sie weg Vielleicht hat man sich in den Jahren zuvor über manchen Glühwein zu viel geärgert, die Jagd nach den Geschenken verflucht oder sich &bdquo;Meine Güte, nächstes Jahr gehe ich nicht zu dieser dusseligen Weihnachtsfeier!" gesagt. Und auch das Treffen mit den Klassenkameraden hatte vielleicht auch seine öden Momente, wenn zum unzähligsten Male alte Kamellen aufgewärmt wurden. Wie wertvoll und lieb einem diese Momente sind, merkt man erst dann, wenn sie weg sind. Und dann gibt es auch noch keinen Gottesdienst an Heiligabend. Doch sind es wirklich die Riten und Traditionen, die fehlen? Die derzeit bei vielen ein Gefühl des Unwohlseins, der Leere oder ein merkwürdiges &bdquo;Hier-fehlt-etwas" erzeugen? Oder ist es doch eher die Erkenntnis, dass man seinen Liebsten, seinen Freunden oder vielleicht auch nur dem Vereinskameraden oder Schulkumpel in diesem Jahr nicht zeigen kann, wie sehr sie einem am Herzen liegen? Vielleicht ist das dann ja die große Erkenntnis, die wir aus dem ungewöhnlich stillen Weihnachtsfest 2020 gewinnen können: Nämlich dass es für Wertschätzung, liebe Worte und Gesten der Aufmerksamkeit keine Rituale in der Weihnachtszeit brauchen sollte. Denn es sind vor allem unsere Mitmenschen, die wie eine Selbstverständlichkeit wirken – es aber keinesfalls sind. Und wenn sich das durch die Einschränkungen bei dem einen oder anderen verfestigen sollte, hat Corona in diesem Jahr vielleicht eine ganze Menge, aber dann doch nicht restlos alles kaputt gemacht.

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