Bürgermeister-Kandidaten zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Herford. Tim Kähler (SPD) möchte Bürgermeister bleiben, "damit es so gut weitergeht wie bisher", Anke Theisen (CDU) "mit den Augen einer Frau empathischer als bisher" sachgerechte Politik machen, Inez Déjà (Linke) eine "sozial gerechte und ökologische Stadt gestalten" und Herbert Even (Grüne) klare ökologische Akzente setzen und dabei "zusammenführen, nicht auseinander treiben". Mit diesen Eingangsstatements präsentierten sich die Kandidaten für das höchste Amt in der Stadt. Zur Podiumsdiskussion hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vier von sieben Bürgermeister-Kandidaten eingeladen. So ging es im Folgenden viel um Fragen der Ausbildung, Mindestlöhne, befristete und Werkverträge und auch um die Rekommunalisierung von privatisierten städtischen Unternehmen. Letzteres ist für Déja vor allem in der Gesundheits- und öffentlichen Daseinsvorsorge wichtig, Theisen hingegen sagte, sie würde das nicht forcieren wollen. Theisen will den Dialog mit der Wirtschaft für mehr Ausbildungsplätze suchen Die CDU-Kandidatin für das Bürgermeiser-Amt will einen arbeitsmarktpolitischen Schwerpunkt bei der Jugend setzen: Im Vordergrund steht für sie der Dialog mit der Wirtschaft, damit die mehr junge Menschen ausbildet. Déjà erwartet Tariftreue von der Stadt und den städtischen Töchtern. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvÖD) war schon vor sechs Jahren Thema, warf NW-Redakteur und Moderator Stefan Brams ein. Und er sei es erneut, weil sich nichts geändert habe, entgegnete Déjà. Kähler sieht die Stadt hingegen auf einem guten Weg. Bei der städtischen Servicegesellschaft SWK laufe die Entwicklung auf den TvÖD hinaus. Bei den Freizeiteinrichtungen rechneten sie noch: Die Stadt hätte von einem aufs andere Mal eine Million Euro auf den Tisch legen müssen, wenn sie den TvÖD umgesetzt hätte, sagte Kähler. Das müsse irgendwie auch bezahlbar bleiben. Aber sukzessive gehe es weiter. Arbeitnehmerrechte seien bereits gestärkt worden. Schwimmmeister hätten zuvor nicht einmal einen Sonntagszuschlag erhalten. Nachholbedarf gibt es Kähler zufolge bei alleinerziehenden Frauen. Deshalb seien sie dabei, eine Betriebs-Kita für städtische Mitarbeiter einzurichten. Die Stadt richtet eine Betriebs-Kita für die Kinder ihrer Mitarbeiter ein Even, der zum dritten Mal für das Amt des Bürgermeisters kandidiert ("irgendwann wird es klappen"), will sich für die Ansiedlung von Firmen engagieren, die zukunftsfähige Produkte herstellen und Ausbildungsplätze anbieten. Positiv bewertete der Grüne, der selbst Geschäftsführer eines Unternehmens ist, dass die Stadt nicht mehr weit von einer zehnprozentigen Ausbildungsquote entfernt ist. IG-Metall-Geschäftsführer Peter Kleint verwies allerdings auf 250 angebotene Ausbildungsstellen in seinem Bereich im vergangenen Jahr, coronabedingt seien es 218 in diesem Jahr. Das sei ein Rückgang von 13 Prozent. Und den Schwestergewerkschaften gehe es nicht besser. "Mehr Ausbildungsstellen werden benötigt, weniger angeboten. So funktioniert das nicht." Kleint fordert eine Ausbildungsabgabe. "Wir erwarten, dass Sie die Sache der Jugend zur ChefInnen-Sache erklären, und das nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in den Industriebetrieben." Zudem sollten bei der Auftragsvergabe Betriebe bevorzugt werden, die ausbilden. Auszubildende sind keine Kosten, sondern Zukunftsinvestition, meint Even Damit stand die Frage im Raum, was ein Bürgermeister darf. Bei der Vergabe von Gewerbegrundstücken achtete die Stadt schon seit Jahren auf die Ausbildungsquote, sagte Kähler. Aber Aufträge könnten sie nicht danach vergeben, sonst würden die Unternehmen klagen. Gewisse Vergabe-Richtlinien lägen einfach nicht in ihrer Hand, sondern zum Beispiel bei der EU. Fabian Stoffel, Fraktionsvorsitzender der Linken im Kreistag, regte an, es auf eine Klage ankommen zu lassen. Das hielten Kähler, Theisen und Even, die sich dazu äußerten, allerdings für keine gute Idee, weil das für die Stadt teuer werden könne und alle sich darauf verlassen können müssten, dass die Stadt nicht gegen Gesetze verstoße. Aber die Vergabe von Aufträgen an Unternehmen, die ausbilden, sei schon mal möglich gewesen, sagte Even. "Das hat Schwarz-Gelb abgeschafft." Für Kähler ist es sowieso wichtiger, dass junge Menschen begleitet und betreut werden, wie das Kreis und Arbeitsagentur in einem Modellprojekt mit Erfolg täten. "Wir brauchen keine Gesetzesänderung, sondern personelle Ressourcen." Er habe darüber mit Arbeitsminister Hubertus Heil gesprochen, andere Kommunen müssten diese Forderung ebenfalls im Bund platzieren. Es muss mehr Ausbildungsangebote als Bewerber geben, meint Inez Déjà Even würde eine Ausbildungsabgabe für sinnvoll halten, "aber dafür gibt es bisher keine Mehrheit." Theisen ist grundsätzlich gegen Zwang und setzt stattdessen auf Selbsterkenntnis: "Die handwerklichen Unternehmen können ihre Aufträge irgendwann nicht mehr abarbeiten." Déjà erwartet von den Unternehmen sogar mehr Angebote als Bewerber. Denn die jungen Leute müssten ein Leben lang in ihrem Ausbildungsberuf arbeiten. Da könne es nicht sein, dass sie Ausbildungsplätze annehmen müssten, die nicht ihren Interessen entsprechen. Auszubildende seien keine Kosten, sondern Zukunftsinvestition, sagte Even. Dass es Berufe gibt, in die kaum jemand rein möchte, Beispiel: Maurer, hat für Déjà auch damit zu tun, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmten. Das seien vielfach Berufe, in denen man sich schnell die Gesundheit kaputt machen könne, sagte sie. Theisen sieht die Schulen in der Pflicht, die mit Beratung und Praktika im Handwerk Alternativen zum Studium aufzeigen könnten. Für Kähler ist allerdings auch sicher: Den demografischen Wandel kann die deutsche Gesellschaft nicht auffangen. "Wir sind auf Zuwanderung angewiesen." Und bei der Vorbereitung der Zuwanderer auf eine Ausbildung zu Fachkräften, seien sie noch nicht gut aufgestellt. Beispiel: Da spreche jemand fließend Deutsch, kenne aber den Begriff "Abtropfgewicht" nicht. In dem Bereich müsse sich noch viel tun.

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