Dem Krieg entkommen: Syrer hilft nun als Übersetzer und Dolmetscher anderen

Herford. Das Handy von Nabil Abbas klingelt und vibriert in einer Tour. Ständig kommen Aufträge herein, auch das E-Mail-Programm am Computer signalisiert alle paar Minuten neue Post. Der 65-Jährige übersetzt in dem kleinen, aufgeräumten Büro in seiner Herforder Wohnung aus dem Deutschen ins Arabische und umgekehrt, für Gerichte, die Polizei, Mediziner und Geflüchtete. Abbas selbst kommt aus Syrien, ist einer von rund 700 Syrern in Herford und erst seit 2013 in Deutschland. Seine Geschichte ist die eines Akademikers, der die Heimat am liebsten nicht verlassen hätte - dem aber der Neustart gelang. Als Flüchtling betrachtet sich Abbas trotz der Umstände nicht. "Ich bin einfach nur ein Wissenschaftler und wollte wegen des Krieges weg," sagt er. Für Politik interessiere er sich nicht, "keine Zeit", erklärt. Verfolgt wurde er deswegen aufgrund einer politischen Einstellung nicht. In der drittgrößten Stadt Syriens, Hama, arbeitet der promovierte Ingenieur 20 Jahre als Hochschullehrer, ihm ging es gut, blickt er zurück. Doch die Bomben trafen auch Hama und zerstörten Viertel. Mit Hilfe eines Sonderprogramms für Akademiker, initiiert vom Auswärtigen Amt, gelangte Abbas mit seiner Frau und den vier Kindern über den nahegelegenen Libanon recht entspannt mit dem Flieger nach Ostwestfalen. Gefährliche Routen über das Mittelmeer mit Schlauchbooten musste er anders als viele der Landsleute im Jahr 2015 während der Flüchtlingskrise nicht nutzen. Absagen auf 300 Bewerbungen Abbas fand schnell Anschluss in Deutschland, er profitierte davon, dass er die Kultur und Sprache bereits kannte. In den Achtzigern kam er nach Leipzig, belegte einen Sprachkurs und promovierte danach an der TU Dresden im Fachbereich Informatik. In Sachsen war er bis 1993, bekam die Wende mit und hätte mit der Familie theoretisch da bleiben können. Bis heute steht er in Kontakt mit dem Doktorvater. Weil der syrische Staat ihm den Aufenthalt mit dem Stipendium finanzierte, sollte er das Wissen Zuhause wieder weitergeben. So kehrte er zurück und lehrte an der Baath-Universität in Homs. Bis der Bürgerkrieg ausbrach. Von Freunden und Verwandten verabschiedete sich Abbas in Syrien, wieder in Deutschland musste er sich anders orientieren. Zunächst versuchte er, einen Job an der Universität zu finden. Danach wollte er als Techniker arbeiten. Doch aufgrund des Alters, Abbas war um die 60, bekam er auf 300 Bewerbungen nur Absagen. Damit haderte der zielstrebige Syrer aber nicht. "Dass wir jedoch anfangs Hilfe vom Jobcenter bekamen, ärgerte mich", sagt er. Er wollte eigenständig sein und widmete sich mit weiteren Sprachkursen dem Übersetzen. Seit 2016 ist er beeidigter Dolmetscher und ermächtigter Übersetzer. Wie gelingt Integration? "Das Übersetzen ist mit der wissenschaftlichen Arbeit vergleichbar", sagt Abbas. Er müsse genauso fehlerfrei und präzise arbeiten, lerne immer wieder dazu. Der 65-Jährige schätzt die von manchen oft kritisierte Bürokratie in Deutschland, die gut organisiert sei. Ebenso versteht er, dass viele der Araber Probleme mit der Kultur haben. "Hier kann man nicht kommen und gehen, wann man will, sondern muss Termine einhalten." Eine nahezu deutsche Tugend hat Abbas außerdem verinnerlicht: pünktlich zu sein. "Wer zu meinen Vorlesungen zu spät kam, musste draußen bleiben", erinnert er sich. Die vier Kinder von Abbas mussten alle die deutsche Sprache lernen. Sie alle haben Studienabschlüsse oder arbeiten daran, zwei Kinder sind Ärzte. Was also ist das Rezept für gelungene Integration. "Man muss die Nachbarn verstehen und die Freiheit der anderen akzeptieren", sagt der 65-Jährige. Dazu gehöre auch die Gleichberechtigung und das Wertschätzen der Frauen. "Viele Araber in Deutschland schimpfen über Kleinigkeiten. Sie vergessen, wie gut der Staat sie zum Beispiel mit Leistungen unterstützt", bemerkt Abbas. Den Schritt in den Westen bereut der Ingenieur nicht. Inzwischen hat er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Obwohl er an die Rente denken könnte, macht er das nicht. "Ich arbeite zehn Stunden am Tag, manchmal auch nachts, und das macht mir viel Spaß." Mit dem Übersetzen fand der 65-Jährige eine neue Aufgabe in einem Land, das ihn wegen früherer Aufenthalte nicht sonderlich fremd erschien - und endgültig zur neuen Heimat wurde.

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