Wege durch den Sommer: Auf der Suche nach der Rodelbahn aus Kindheitstagen

Herford. Hätte ich doch vorher meine Frau gefragt. Die hätte mir in ihrer unendlichen Weisheit sicher davon abgeraten. Aber ich musste ja unbedingt wieder mein Ding machen: einfach mal auf den Homberg gehen. Obwohl für heute Abend Regen angesagt war. Und obwohl hier die Rußrindenkrankheit grassiert. Und auf dem Berg kam mir dann auch noch die bekloppte Idee, nach &bdquo;meiner" Rodelbahn aus Kindheitstagen zu suchen. Im Juli. Jetzt stehe ich klitschnass unter einem Baum und schaue dumm aus der Wäsche. Die frühen 80er Jahre: Winter waren noch Winter, ständig lag Schnee – jedenfalls in meiner Erinnerung. Und meine Oma brachte mich regelmäßig nach dem Mittagessen zum Homberg, zusammen mit einigen anderen Kindern aus der Nachbarschaft. Schlitten in den Kofferraum und ab. Bis in die Dämmerung tollten wir mit roten Nasen und Wangen auf unserer Rodelbahn herum, einem breiten und langgezogenen Abhang, der in einer Rechtskurve auslief. Und wenn man sich auf die Strohballen setzte, die am äußeren Rand der Kurve aufgestellt waren, konnte man durch kahle Bäume ins Land schauen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit holte Oma uns wieder ab. Zuhause gab’s heißen Kakao und es ging in die Badewanne. Herrliche Zeiten. Wieso ist es hier eigentlich schon so dunkel? Gut 35 Jahre ist das jetzt her. Seitdem war ich nie wieder auf dem Berg. Kein Wunder, dass ich nichts wiedererkenne. In 35 Jahren wird so manch ein Baum gefallen sein. Und so manch einer neu gepflanzt. Außerdem sehen Landschaften im Winter ganz anders aus als im Sommer. Auf einem Feldweg zwischen Bäumen und Wiesen suche ich nach möglichen Anhaltspunkten. Alles sieht so gleich aus. An eine Rodelbahn erinnert hier nichts. &bdquo;Ich laufe schon viel zu lange hier rum", sage ich zu mir selbst. &bdquo;Damals sind wir nur aus Omas Auto gesprungen und schon waren wir da." Ich mache ein paar Schritte in eine Wiese hinein. Das trockene Gras reicht mir fast bis zur Hüfte. Braune Falter flattern herum. Und jede Menge Schwalben sind unterwegs. In wenigen Metern Höhe jagen sie den Mücken hinterher. Ein Mäusebussard stößt sich von seiner Ansitzstange ab und fliegt kreischend in den Abendhimmel davon. Wieso ist es eigentlich schon so dunkel? Es ist doch erst kurz nach neun. Erst jetzt bemerke ich die tiefhängenden Wolken. An einer Stelle kann ich wunderschön ins Land gucken. Das heißt, ich könnte – wenn da nicht dieser Schleier über den hügeligen Feldern läge. Kommt der etwa näher? Noch während ich mir diese Frage stelle, beginnt es aus Richtung des Schleiers zu rauschen. Regen, der auf Blätter prasselt. Und das Geräusch wird lauter. Wind kommt auf. Schon fallen die ersten Tropfen. Im Laufschritt suche ich Deckung unter einer Wildkirsche. &bdquo;Gerade noch rechtzeitig", denke ich. Ich breite die Arme aus und schaue nach oben Aber der Regen ist zu stark. Nach zwei Minuten beginnt es unterm Baum zu tröpfeln, nach fünf Minuten bin ich komplett durchnässt. Dann hört es wieder auf zu regnen. Glücklicherweise ist es nicht kalt. Ich ziehe mein T-Shirt aus und gehe über den Feldweg zurück. Ein paar Junikäfer umschwirren mich, einige fliegen – warum auch immer – gegen meinen Kopf und meine Schultern. Ein paar Mücken haben mich auch schon erwischt. Über mir kreischt wieder der Bussard. Dann kommt der nächste Schauer. Noch heftiger als der erste. Und länger. Weil ich schon nass bin, macht es mir nichts mehr aus. Mit dem wasserdichten Kamerarucksack auf dem Rücken spaziere ich einfach weiter. &bdquo;Coole Sache", geht es mir durch den Kopf. Ich breite die Arme aus und schaue nach oben. Hoffentlich sieht mich keiner. Aber wer soll hier schon unterwegs sein? Ich bin schon fast wieder am Bulli, da fällt mein Blick auf einen schmalen Waldweg. Sieht irgendwie vielversprechend aus. Einen Versuch will ich mir noch gönnen. Ein paar hundert Meter schlittere und rutsche ich in meinen Turnschuhen unter tropfenden Bäumen hindurch. Dann sehe ich eine längliche und stark abfallende Lichtung. Am Ende macht sie eine leichte Kurve nach rechts. Und der Blick geht ins Tal. Meine Rodelbahn? Kleine Sträucher und Bäume besiedeln die Fläche. &bdquo;Ist halt ein bisschen zugewuchert", denke ich mir. Für einen Moment glaube ich, das könnte sie sein. Dann fällt mir ein: die Rußrindenkrankheit! Wahrscheinlich haben sie hier Ahorn in rauen Mengen gefällt. Daher die Lichtung. Von wegen Rodelbahn. In der Dämmerung geht’s nach Hause. Wie vor 40 Jahren, nur ohne Oma und die anderen Kinder. &bdquo;Im Winter komme ich wieder!", raune ich dem Berg zu, als ich die Straße hinunterfahre. Und dann werde ich sie finden, die Rodelbahn meiner Träume.

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