Umstrittenes Mittel für Geburtshilfe: Herforder Chefarzt äußert sich

Herford. Obwohl neben der Herforder jede zweite deutsche Klinik zur Einleitung der Wehen das Medikament Cytotec benutzt, sind viele werdende Eltern verunsichert. Für die Geburtshilfe ist das Medikament in Tablettenform nicht zugelassen – stattdessen als Magenschutzmittel. Mehrere Medien berichteten, dass der Einsatz von Cytotec zu Komplikationen führen und Mutter sowie Kind gefährden könne. Thomas Heuser, Chefarzt der Herforder Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, erklärt im Interview, wie er damit umgeht. Sie haben fünf Kinder. Hätten Sie das Medikament auch Ihrer Frau gegeben? Tatsächlich habe ich alle Geburten selbst betreut, aber die Einleitung der Wehen war kein Thema bei uns. Ansonsten: ja – wenn die Wehen ausgeblieben wären, hätte ich meiner Frau auch Cytotec gegeben. Trotzdem können bei Cytotec Komplikationen vorkommen, welche? Die Wehen könnten eine voroperierte Gebärmutter belasten. Zum Beispiel können Kaiserschnittnarben auseinanderweichen und dadurch auch innere Blutungen entstehen. Der schädigende Effekt auf die Gebärmutter besteht in starker oder auch normaler Wehentätigkeit, egal, ob die Wehen von der Natur kommen oder eingeleitet wurden. Außerdem kann bei einer zu hohen Dosis ein sogenannter Wehensturm entstehen, er kann aber auch ohne Stimulation von außen natürlich auftreten. Deswegen sind wir unglaublich vorsichtig am Klinikum. Cytotec verwenden die Mediziner auch in ärmeren Ländern, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) begrüßt. Man muss sich das mal vorstellen: Eines der weltweit wichtigsten Medikamente steht in Deutschland am Pranger. Das Klinikum ist ein Unternehmen und arbeitet nach betriebswirtschaftlichen Kriterien. Ein Vorwurf lautet, dass Cytotecim Vergleich zu anderen Mitteln besonders günstig ist. Spielt der Preis eines Medikamentes eine Rolle für Sie als Arzt? In unseren Arbeitsverträgen ist festgehalten, dass wir die Wirtschaftlichkeit bedenken müssen. Das spielt beim Cytotec aber keine Rolle. Als wir das Mittel vor mehreren Jahren in der Geburtshilfe des Klinikums eingeführt haben, wussten wir nicht, was es kostet. Der Wirkstoff ist als Medikament auf verschiedene Weise zu verabreichen, oral, vaginal oder auch als Zäpfchen. Wir setzen es als Tablette ein, wenn die Frau einen Blasensprung hatte. Es ist schonender der Patientin eine Tablette zu verabreichen als ein vaginales Gel, wodurch Keime in den Körper gelangen können. Dadurch könnten die Mutter und das Kind gefährdet werden. Wir klären die Frauen auch über die Risiken auf und wollen niemals einen Schaden anrichten. Das Medikament ist gut und besser verträglich als die anderen zugelassenen Stoffe zur Geburtseinleitung. Kritik gibt es auch an der Dosis, die viele Kliniken individuell gestalten. Wie sieht das bei Ihnen aus? Ich habe dafür gesorgt, dass wir eine restriktive Handhabung am Klinikum haben, verglichen mit anderen Häusern. Wir haben ein Dosierungsschema, was sehr vorsichtig ist und das ich als zurückhaltend bezeichnen möchte. Wir fangen mit einer Testdosis an, maximal drei Gaben pro Tag dürfen erfolgen. Eine sogenannte Überstimulation ist dann nicht zu erwarten. Sobald Wehen eintreten, geben wir das Medikament nicht. Es gibt auch viele Studien dazu, die beweisen, dass man mit dem Medikament weniger Kaiserschnitte und Komplikationen zum Beispiel bei Frauen mit Asthma hat. Die wichtige Frage ist zu stellen: Wie viel wert ist die Zulassung in einer Situation, in der die Wissenschaft dem Status längst enteilt ist? In der Praxis haben wir mehr Wissen angeeignet hat, als im Rahmen einer Medikamentenzulassung erworben werden könnte. Warum geben Sie es derzeit trotzdem nicht, obwohl Sie vom Mittel überzeugt sind? Wir warten ab, was die Fachgesellschaften dazu veröffentlichen. So schützen wir uns vor einer Instrumentalisierung und wollen verhindern, dass unnötige Sorgen und Ängste bei den werdenden Eltern entstehen. Cytotec ist als Magenschmutzmittel zugelassen, aber nicht für die Geburtseinleitung. Wie häufig verwenden Sie Medikamente, die für andere Zwecke anerkannt sind? In der Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist das eher selten. Es gibt Medikamente, die für Erwachsene entwickelt wurden, die man aber auch Kindern geben kann. Ich glaube, dass in der Kinderheilkunde etwa 50 Prozent der Medikamente eigentlich nur für Erwachsene zugelassen sind. Die Kinder vertragen sie trotzdem. Wenn jemand herausfindet, dass ein zugelassenes Fußpilz- oder Malaria-Mittel auch bei der Corona-Infektion hilft, würden Sie das nicht nehmen?

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