Prozess begonnen: 31-Jähriger drohte mit Mord und terrorisierte Herforder

Herford/Bielefeld. Da ist ordentlich was zusammengekommen. Mehrere Akten liegen auf dem Tisch im Saal 2 des Bielefelder Landgerichts und bilden einen geschätzt 40 Zentimeter hohen Turm aus Papier. Richter Carsten Wahlmann sortiert ein wenig um und verkleinert den Berg, sodass er dem Angeklagten auch ohne diese Hindernisse ins Gesicht blicken kann. Dann muss die Staatsanwältin mehrmals Luft holen beim Verlesen der Anklage – denn die Liste an Vorwürfen ist lang. 20 Straftaten, darunter die Bedrohung und das Stalking des Herforder Bürgermeisters Tim Kähler, wirft die Staatsanwaltschaft dem 31-jährigen Herforder vor. Sie geht gleichzeitig davon aus, dass Thomas B. (Name geändert) bei den Taten wegen einer psychischen Störung vermindert schuldfähig gewesen sein könnte. Hellblau kariertes Hemd, kahlrasierter Kopf – Thomas B. blickt von seiner Anklagebank aus in den Saal, nickt zwei Bekannten zu und scheint gefasst. Einen nervösen Eindruck macht der 31-Jährige nicht und hört sich ohne äußere Reaktion die Vorwürfe an. So soll der Mann zwischen dem Mai 2018 und Februar 2019 zwölf Mitarbeiter der Stadt Herford – darunter den Bürgermeister– beleidigt und bedroht haben. Das machte er in persönlichen Gesprächen, über Anrufe, per E-Mails und öffentlich über seine Facebook-Seite. Mehrmals teilte er den Menschen mit, dass er sie umbringen und "platt machen” werde. Auch gab Thomas B. wohl an, das Rathaus in Schutt und Asche legen zu wollen. Außerdem soll er durch ein offenes Rathausfenster eine Bierflasche ins Büro eines Mitarbeiters geworfen haben, um ihn zu verletzen und Hausfriedensbruch im Rathaus begangen haben. Dort stieß er ein Modell des Rathauses samt Glasvitrine um. "Keine Chance in diesem Land erhalten" Das ist noch nicht alles. Der Rathaus-Randalierer muss sich verantworten, weil er offenbar nach einem Streit seinen Bewährungshelfer würgte und den Feuerwehrnotruf missbrauchte. Mehrmals soll Thomas B. die Feuerwehr aufgefordert haben, eine seiner Ansicht nach faschistische Fahne am Jugendzentrum FlaFla in Herford abzuhängen. Danach sei er wohl persönlich in der Feuerwache aufgetaucht. Darüber hinaus soll er einen Passanten auf offener Straße mit der Faust gegen das rechte Ohr geschlagen haben. Zudem soll der Herforder das Tracking-Fahrrad des Bürgermeisters gestohlen und das im Carport abgestellte Auto massiv beschädigt haben. Der Schaden am Audi: mehr als 7.000 Euro. Kurz darauf nahm ihn die Polizei fest, er kam in eine Klinik. Nachdem Thomas B. einige Zeit in der Psychiatrie verbracht hatte, schien er, sich beruhigt zu haben. Doch weit gefehlt: Im Oktober bedrohte er dann mit einer Nachricht auf dem Anrufbeantworter die Herforder NW-Lokalredaktion, sodass die Polizei mit Unterstützung des SEK ihn verhaftete und wieder in die Klinik brachte. Vor der zweiten großen Strafkammer äußert sich Thomas B. gleich zu Beginn zu den Vorwürfen, das jedoch nur vage. Zu dem Mann, den er auf offener Straße attackierte und mit einem Schlag am Ohr traf, sagt er: "Dazu weiß ich nichts, der hat allerdings die Katze einer Nachbarin entführt." An manche Taten wie den Bierflaschenwurf am Rathaus erinnere er sich nicht mehr. Und das mit dem Auto und Fahrrad des Bürgermeisters sei er gar nicht gewesen. Während seiner Aussage gibt Thomas B. auch Einblick in seine Gefühlswelt: "Ich wollte mir in der Situation Gehör verschaffen, weil ich keine Chance in diesem Land erhalte." So hätte er das Abitur nicht nachholen können und habe keine Unterstützung für eine Umschulung bekommen. Am ersten Prozesstag geht es vor allem um den Angriff auf seinen Bewährungshelfer, dem er nach einem Streit an den Hals gegriffen haben soll. Das 64-jährige Opfer erzählt von den Gesprächen mit dem Angeklagten. Thomas B. sah sich, so der Bewährungshelfer, als Opfer der deutschen Gesellschaft und fühlte sich drangsaliert von der Justiz und vom Jobcenter. Niemand hätte ihn bei der Gründung eines Unternehmens unterstützen wollen. Am Tattag schleppte B. dann ein gerade erst gekauftes Fahrrad ins Bewährungshelfer-Büro. Bei Attacke Schaum vor dem Mund gehabt Der Angeklagte wollte das Rad vom Bewährungshelfer finanziert bekommen. Als der 64-Jährige aber das Rad wegtrug, eskalierte die Situation. Thomas B. soll ihn an den Hals gegriffen haben, der Bewährungshelfer wehrte sich. Seine Kollegen kamen ihm zur Hilfe, befreiten ihn und riefen die Polizei. Das Opfer blieb äußerlich unverletzt, erlitt aber einen Schock und hatte längere Zeit an der Situation zu knabbern. Vor allem, weil Thomas B. ihn auch weiter über seine private Telefonnummer bedrohte. Andere Zeugen schildern, in welchem Zustand Thomas B. den Bewährungshelfer attackierte. Er soll in Rage, und schweißgebadet gewesen sein, gar Schaum vor dem Mund gehabt haben. Auf dem Gesicht von Thomas B. formt sich jedes Mal ein unverkennbares Grinsen, als vom Schaum die Rede ist. Bislang sind für den Prozess vier Verhandlungstage angesetzt. Am Ende könnten die vielen Wutanfälle dafür sorgen, dass der Herforder neben einer Strafe dauerhaft in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung bleiben muss.

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