Herford

5 Tore, 5 Orte: Kunstprojekt geht in die zweite Runde

Der spanische Bildhauer Fernando Sánchez Castillo gestaltet das Lübbertor

Am Ort des Geschehens: Fernando Sánchez Castillo und Marta-Leiter Roland Nachtigäller gestern Mittag auf der Kreuzung Lübbertor. Der Künstler hält Skizzen von der Figur in der Hand, die oben auf dem Mast sitzen wird. Das Gestell unterhalb des Sitzenden stellt die Webcam dar. | © Peter Steinert

Barbara Glosemeyer
23.09.2015 | 08.06.2022, 10:19

Herford. Hoch oben auf einem Laternenmast sitzt ein heimatloser Mensch und wartet. Ein eindringliches Bild, das heute an den Grenzen zu Europa aktueller ist denn je. Der spanische Künstler Fernando Sánchez Castillo übersetzt damit am Lübbertor ein Thema seiner Heimat: Die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta liegen auf dem afrikanischen Kontinent und sind von hohen Zäunen und massiven Überwachungsanlagen umgeben.

Damit wird nach fünf Jahren das Kunstprojekt "5 Tore, 5 Orte" am Lübbertor fortgesetzt, das der ehemalige künstlerische Marta-Leiter Jan Hoet 2010 initiiert hatte (siehe Kasten). Dabei geht es darum, die fünf ehemaligen mittelalterlichen Stadttore, die heute vollständig verschwunden sind, wieder ins öffentliche Gedächtnis zu rufen. Dafür entwickeln fünf zeitgenössische Künstler aus fünf Kontinente ortsbezogene Skulpturenprojekte.

So soll es aussehen: Die Idee des Künstlers Fernando Sánchez Castillo für das Lübbertor. - © Fernando Sánchez Castillo
So soll es aussehen: Die Idee des Künstlers Fernando Sánchez Castillo für das Lübbertor. | © Fernando Sánchez Castillo

Schon vor mehr als einem Jahr besuchte der Madrider Künstler Herford auf Einladung von Marta und setzte sich mit der Geschichte der Stadt auseinander.

Marta-Leiter Roland Nachtigäller wählte den Spanier, der bereits 2006 mit einem eigenen Raum im Marta vertreten war, bewusst aus: "Castillo ist ein international anerkannter Künstler, der sich in historischen und politischen Zusammenhängen bewegt. Dabei beschäftigt er sich immer wieder mit der Frage nach der Funktion von Denkmälern. Mit kritischem Interesse hinterfragt er die Machtstrukturen in Gesellschaft und Geschichtsschreibung. Damit war er für mich geradezu ein Wunschkandidat für das Stadttor-Projekt."

Castillo, der das Projekt gestern gemeinsam mit Nachtigäller präsentierte, will einen etwa zehn Meter langen Laternenmast nutzen, den es schon gibt, der nach Auskunft des Baudezernenten aber nicht mehr gebraucht wird. Auf der Mastspitze wird eine in Bronze oder in Aluminium gegossene Figur sitzen, die in Richtung Lübberstraße, also stadteinwärts, schaut.

Oben wird auch eine Kamera angebracht, die Wetter- und Verkehrsbedingungen aufzeichnet. Diese Aufnahmen sollen live als Webcambilder auf der Internetseite der Stadt und von Marta verfolgt werden können.

Fernando Sánchez Castillo selbst wählte das Lübbertor für sein Projekt, weil es ausreichend Fläche bietet und belebt ist.

2010: Bürgerentscheid scheiterte, Pylone eingeweiht

Fast genau vor fünf Jahren endete der große Bürger-Streit um die Pylone am Bergertor mit einem Einweihungsfest am 30. Oktober 2010.

Vorangegangen war ein monatelanger Streit darüber, ob die „Safety Cones“ des amerikanischen Künstlers Dennis Oppenheim nach Herford passen und ans Bergertor. Seinen Höhepunkt fand diese Auseinandersetzung in einem Bürgerentscheid, den die Wählerinitiative „Bürger für Herford“ initiiert hatte. Doch der Versuch, damit einen entsprechenden Ratsbeschluss für die Pylone auszuhebeln, scheiterte. Von 53.342 Wahlberechtigten hatten 13.001 gültige Stimmen abgegeben. Davon hatten wiederum 8.836 (67,96 Prozent) dafür gestimmt, den Ratsbeschluss aufzuheben, 4.165 (32,04 Prozent) dagegen. Damit hatten sich rund zwei Drittel der Wähler gegen die als Pylone bezeichneten Kunstwerke am Bergertor ausgesprochen. Doch das reichte nicht: Die Bürgerinitiative hätte etwa 10.400 Stimmen aller Wahlberechtigten gebraucht, das entspricht 20 Prozent. Tatsächlich bekam sie 15,9 Prozent der Stimmen.

Willkommen

KOMMENTAR VON BARBARA GLOSEMEYER

Man könnte meinen, die Marta-Leute und die Verantwortlichen bei der Stadt hätten so lange mit der Fortführung des Projekts gewartet, weil sie Angst hatten vor Reaktionen wie bei den Pylonen im Jahr 2010. Im Nachhinein mutet es merkwürdig an, mit wie viel Energie einige Gruppen verhindern wollten, dass die Stadt mit Kunst im öffentlichen Raum bereichert wird und noch nicht mal dafür zahlen muss, da die Pylonen ein Geschenk von Heiner Wemhöner waren. Heute spricht kein Mensch mehr darüber, die Pylone stehen einfach da – am Bergertor. Das ist eigentlich zu wenig. Umso erfreulicher ist es, dass die Diskussion über Kunst im öffentlichen Raum neu entfacht wird. Wieder wird es Zweifel daran geben, ob das Kunst ist. Wieder werden einige vorschlagen, das Geld anders auszugeben, obwohl es gar nicht ihr Geld ist. Letztlich aber geht es um etwas anderes – um die Frage: Lassen wir Dinge zu, die wir vielleicht nicht verstehen, die uns Toleranz, Offenheit und ein Umdenken abverlangen? Kunst muss provozieren, hat Jan Hoet gesagt. Die Skulptur am Lübbertor fordert nicht allein unser Kunstverständnis heraus. Sie ist Mahnung, dass uns die Welt nicht allein gehört, dass wir sie mit Flüchtlingen teilen müssen. Mehr denn je. Willkommen, Zukunft.
Information

Fertigung, Zeitplan und Kosten

  • Gefertigt wird die Figur in der Nähe von Madrid von einem 3-D-Scanner. Diese Technik bietet dem Künstler aber nur ein Grundmodell. Die Feinarbeit liegt beim Künstler

  • Modell für die Figur stand ein Mitarbeiter der 3-D-Scan-Firma. Er kommt aus Mali

  • Die Figur ist etwas größer als lebensgroß. Ob sie mit Bronze oder Aluminium ummantelt wird, steht noch nicht fest. Die Statik stellt nach Auskunft von Nachtigäller kein Problem dar. Das wurde bereits geprüft

  • Der Künstler will der Figur keinen Namen geben, um der Allgemeingültigkeit Ausdruck zu verleihen. Einen Namen für das Kunstwerk wird es aber geben

  • Fertigstellung und Einweihung ist geplant für Frühjahr 2016

  • Die Kosten von geschätzten 50.000 bis 80.000 Euro (laut Nachtigäller) übernimmt komplett ein Herforder Unternehmer, der anonym bleiben möchte. Laut Nachtigäller bot der sich selbst an, ein weiteres Tor zu finanzieren