Biontech-Impfstoff: Hausärzte mahnen gerechtere Verteilung an

Enger/Spenge. In der Hausarztpraxis am Kirchplatz in Enger impfen Christoph Becker und seine beiden Kolleginnen Isabel Miksch und Julia Letsch schon seit ein paar Wochen gegen Corona. Auch sie mussten dabei jedoch zunehmend feststellen, dass das Vakzin von Astrazeneca kaum noch jemand haben wollte.&bdquo;Bedauerlicherweise", sagt Christoph Becker. &bdquo;Wir haben genug Impfstoff von Astrazeneca – vornehmlich vorgesehen ist er für die Leute über 60. Aber auch die schlagen ihn aus, weil er so ins Gerede gekommen ist." Nach Impfungen mit Astrazeneca hatte es sehr selten Fälle von Hirnvenenthrombosen vornehmlich bei jüngeren Frauen gegeben. Der Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers sollte daher zuletzt bevorzugt an Über-60-Jährige verimpft werden - es sei denn, priorisierte jüngere Menschen wollten ihn ausdrücklich haben. Über-60-Jährige selten bereit, sich mit Astra impfen zu lassen" Auch Hausarzt Andreas Schimke aus Spenge hat zurzeit noch "Astra über, das schwer Abnehmer findet", wie er berichtet. "Es melden sich aber einige Jüngere unter 60 aus der Prioritätsgruppe 3, die Astra nehmen würden - und die haben dann Glück und bekommen die Spritze." Außerdem sei es schade, dass die Über-60-Jährigen selten bereit seien, sich mit Astra impfen zu lassen. "Dadurch nehmen sie jüngeren Menschen die Chance auf eine Immunisierung mit mRNA-Impfstoffen wie Biontech." Die Älteren würden sich nun eher einen Termin im Impfzentrum machen – wo derzeit das Vakzin von Biontech und Moderna gespritzt werde, sagt Christoph Becker. Bemerkenswert dabei sei, dass sich das Impfzentrum im Kreis Herford aktuell aus der Verteilung von Astrazeneca-Impfdosen zurückgezogen habe und dort die älteren Menschen problemlos mRNA-Impfstoffe wie etwa Biontech bekommen. Warum das so geregelt worden sei, wisse er nicht zu beantworten, sagt Becker. "Das darf so nicht sein" Momentan könne man den Eindruck gewinnen, dass es für die Hausärzte weniger Biontech-Impfstoff gebe als für die Impfzentren, sagt auch Andreas Schimke und betont. "Das darf so natürlich nicht sein." Der Kreis bestätigte auf Anfrage, dass im Impfzentrum des Kreises in Enger seit dem 19. April nur noch Biontech und Moderna, nicht aber mehr Astrazeneca für Erstimpfungen gespritzt werde. Der Grund dafür sei, dass das Land dem Impfzentrum kein Astrazeneca-Kontingent mehr zur Verfügung stelle, sagte Kreis-Sprecher Patrick Albrecht. "Das ist derzeit nicht mehr vorgesehen." Ob sich das nochmal ändere, dazu konnte Albrecht am Donnerstag keine Angaben machen. Im Mai gebe es jedoch noch Zweitimpfungen mit Astrazeneca für Über-60-Jährige im Impfzentrum. Priorisierung für Astrazeneca soll aufgehoben werden Da die Hausarztpraxis am Kirchplatz in Enger in den letzten Wochen zunehmend Schwierigkeiten hatte, Abnehmer für den Impfstoff von Astrazeneca zu finden, plante sie, weniger von diesem Vakzin zu bestellen. &bdquo;Durch die neue Entwicklung, dass Astrazeneca nun auch für jüngere Menschen ohne Priorisierung freigegeben werden soll, mag sich dieser Umstand bald ändern", sagt Becker. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte angekündigt, die Priorisierung für Astrazeneca aufheben zu wollen. Außerdem soll der Zeitraum zwischen Erst- und Zweitimpfung auf vier Wochen verkürzt werden können. Bisher hatte er bei Astrazeneca bei drei Monaten gelegen. Impfintervall verkürzen - das wird auch kritisch gesehen Diese Empfehlung, das Impfintervall zu verkürzen, sieht Becker etwas kritisch. &bdquo;Bisher hieß es, dass durch ein kürzeres Intervall der Impfschutz vermindert würde." Aber auch hier sei nun mit Patientenanfragen zu rechnen. &bdquo;Schließlich wird Durchgeimpften gerade im Hinblick auf die Urlaubssaison einiges erleichtert werden." Optimal wäre ein Impfintervall von zwölf Wochen wie bislang, sagt Schimke. "Aber wenn es Gründe gibt, die eine vorzeitige vollständige Immunisierung nötig machen, kann man das Intervall auch deutlich verkürzen." Dass die Priorisierung für den Astrazeneca-Impfstoff fallen soll, befürwortet er: "Das ist ein guter und logischer Schritt." Diese Gruppe sieht Becker zurzeit als die vulnerable Christoph Becker würde begrüßen, wenn die Priorisierung generell bald fällt - nicht nur für den Impfstoff von Astrazeneca. &bdquo;Sie hat uns anfangs sehr geholfen", sagt er. Aber die meisten, die eine Impfung haben wollten und derzeit in der Gruppe 2 und 3 priorisiert seien – Ältere, Menschen mit gravierenden Vorerkrankungen oder Pflegeheimbewohner - hätten die Impfung längst bekommen. &bdquo;Wir werden daher in den nächsten Wochen zunehmend Schwierigkeiten haben, auch die mRNA-Impfstoffe wie Biontech streng nach der Prio 2 zu impfen." Becker vertritt die Ansicht, dass die aktuelle vulnerable Gruppe jetzt jene Gruppe von Menschen sei, die "voll im Leben" stehe und viele Kontakte habe – beruflich oder familiär durch kleinere Kinder. Diese Menschen seien aber in der Priorisierung nicht berücksichtigt. Bürokratie als "Freud und Leid" Rund vier Wochen impfen die Hausärzte in ihren Praxen jetzt mit. Dass damit auch viel Bürokratie einhergeht, sieht Christoph Becker als "Freud und Leid" gleichermaßen. Es müsse viel dokumentiert werden für eine Impfung: die Chargennummer, die Indikation zur Impfung, das Patientenalter und ob es sich um eine Erst- oder Zweitimpfung handele. "Letztlich müssen wir die Impfungen dann auch noch tagesaktuell ans RKI melden". Wenn sie in ihrer Praxis zwei Stunden impften, sei eine Arzthelferin mehr als die doppelte Zeit mit Vor- und Nachbereitung der Dokumentation beschäftigt. Becker sieht in dem ganzen Aufwand jedoch auch Positives: "Man hat tagesscharf gute Statistiken." Das sei wichtig und ein Vorteil: "Denn wir müssen wissen, wo wir beim Impfen stehen." Trotz aller Widrigkeiten betont Becker, dass er und seine Praxis gerne gegen Corona impfen. Die Patienten seien sehr dankbar, wenn sie endlich gegen das Virus geschützt seien. "Das ist eine schöne Erfahrung." Impfung auch eine räumliche Herausforderung In Andreas Schimkes Praxis haben er und sein Arztkollege Dominic Schubert in den vergangenen Wochen schon mehr als 200 Corona-Impfungen gemacht. Die Impfaktion in den Praxisalltag einzubinden, sei "eine Herausforderung". Vor allem auch eine räumliche. Denn die Patienten müssten nach der Immunisierung 15 bis 30 Minuten vor Ort zur Nachbeobachtung bleiben. "Aber wir haben nur begrenzte Praxisräumlichkeiten - darum nutzen wir jede Ecke", sagt der Spenger Hausarzt. Häufig würden die Impfungen daher auch außerhalb der Sprechstundenzeiten stattfinden, also in der Freizeit. Andreas Schimke würde darum auch dafür plädieren, dass die Betriebs- und Fachärzte ebenfalls mitimpfen. So viel bekommt der Arzt für eine Corona-Impfung Momentan bekomme der Arzt 20 Euro für eine Impfung, sagt er. Darin eingeschlossen sei die telefonische Kontaktierung des Patienten, die Terminvereinbarung, die medizinische Aufklärung, die ganze Dokumentation, die Impfung selbst und das Ausstellen des Impfausweises. Er betont, auch wenn sie sich gerne an den Impfungen beteiligten, um das Virus zu besiegen - ein finanzieller Gewinn sei das für die Praxis nicht.

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