Viele Kinder aus Familien genommen: Alarmruf der Bünder Jugendhilfe

Da sah man große Augen bei einigen Ausschussmitgliedern, als das Jugendamt unverblümt und nüchtern Zahlen auf den Tisch legte, die zeigten, welchen Aufwand die Stadt Bünde im vergangenen Jahr für den Bereich &bdquo;Hilfe für junge Menschen und ihre Familien“ betreiben musste. Hinter diesen Eurobeträgen und Prozentzahlen stehen Schicksale. Dass Jugendamtschef Marco Frodermann und sein Team die Situation dankenswerterweise so offen und ehrlich darlegen, zeigt aber auch, wie ernst die Lage ist und dass hier längst nicht mehr nur die Rathäuser in den Kommunen gefragt sind, wenn es darum geht, mehr als nur die Symptome in der Jugendhilfe zu bekämpfen. Der Tagesordnungspunkt war nicht weniger als ein Alarmsignal; ein Weckruf derer, die tagtäglich mit Menschen in dieser Stadt zu tun haben, die sich aus eigener Kraft kaum helfen können und permanent gegen die eigene Überforderung und Resignation in der Familie kämpfen. &bdquo;Corona hat viel bei Kindern und Jugendlichen kaputtgemacht.“ Das ist ein Satz, den man von Kinderärzten und Pädagogen noch relativ oft hört, und er könnte kaum treffender sein. Isolation im Lockdown. Freunde, die man sonst täglich in der Schule traf, sah man höchstens noch im Videochat auf dem Smartphone oder dem Tablet – wenn man denn über derlei Gerätschaften verfügte. Wenn dann noch ganze Familien womöglich auf engem Raum &bdquo;zusammenhocken“ – ohne eine Möglichkeit, sich aus dem Weg gehen zu können -, dann erzeugt das Stress, Frustration und letztlich Wunden in der Psyche – bei Eltern wie bei Kindern. Zahlen haben sich verdoppelt Nicht nur, aber doch überwiegend sind Familien in finanziell prekären Verhältnissen betroffen, die dann zu einem &bdquo;Fall“ von Kindeswohlgefährdung im Jugendamt werden. Ralf Mengedoth, der Leiter der Jugendhilfe Schweicheln, brachte es in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am Dienstagabend auf den Punkt, als er sagte, dass das nicht bedeute, &bdquo;dass arme Eltern ihre Kinder schlechter betreuen. Aber sie haben weniger Möglichkeiten und Netzwerke, um Ressourcen bei ihren Kindern zu fördern“. Das kann frustrieren. Und weiter: &bdquo;Vielen Familien sitzen die Isolation und die Kontaktbeschränkungen der Coronazeit noch in den Knochen.“ Als Außenstehender kann man nur vermuten, was sich hinter mancher Wohnungstür tut. Die Teams vom Jugendamt – und speziell vom Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) – wissen es und erleben es mittlerweile fast täglich. Die Zahlen von Kindeswohlgefährdung haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Die Frage ist zunächst: Hat das damit zu tun, dass Menschen im Umfeld dieser Familien sensibler sind und Auffälligkeiten viel häufiger an das Jugendamt melden? Zum Vergleich: 2018 gab es in Bünde 46 solcher Meldungen über eine mögliche Kindeswohlgefährdung. 2023 waren es 117. Das ist gut, denn es zeigt, dass Nachbarn weniger wegsehen und weghören. Hilfe ist tatsächlich nötig Doch allein mit der gestiegenen Zahl der Meldung ist die Verdopplung nicht zu erklären. Denn im Gegensatz zu früher wird das Jugendamt heute bei den meisten Überprüfungen nach Meldung durch Nachbarn &bdquo;fündig“, wie es Marco Frodermann ausdrückt. &bdquo;Fündig“ heißt: Da war Hilfe dringend nötig. Jugendamt und Jugendhilfe arbeiten am Limit. Da gibt es nichts schönzureden. Denn was Jugendämter aktuell zusätzlich belastet, ist die Betreuung von häufig traumatisierten unbegleiteten minderjährigen Ausländern, den &bdquo;UMA“, wie sie im Amtsdeutsch genannt werden. Junge Männer im Alter von 16 und 17 Jahren. Hier zeigt sich gerade, dass die Jugendämter nicht darauf ausgelegt sind, Jugendliche mit psychischen Störungen zu betreuen. Doch die Landesregierung hat die Aufgaben für &bdquo;UMA“ aus der Flüchtlingshilfe (finanziell Landesaufgabe) in die Jugendhilfe verschoben. Wichtig wäre es deshalb, wenn die Landesregierung die Situation vor Ort realisieren würde, denn Bünde steht mit der Situation nicht allein da.

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