Gefälschte Krankschreibungen? Zeuge packt gegen kriminelle Großfamilie aus dem Kreis Herford aus

Bünde/Enger. Im Verfahren gegen eine Großfamilie aus Enger, die in Bünde mehrere Unternehmen betreibt, stoßen die Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft auf eine Mauer des Schweigens. In den zahlreichen Betrugsverfahren, die unter anderem vor dem Bünder Amtsgericht geführt werden, schweigen die Angeklagten. Einige Zeugen sagen erst aus, als sie von der Polizei vorgeführt werden. Nun hat ein langjähriger Mitarbeiter aber ausgepackt. Der 44-Jährige berichtet, wie zahlreiche Krankenkassen mithilfe eines kriminellen Systems um mehrere hunderttausend Euro geprellt worden sind. Mann aus Bielefeld ist Kronzeuge Der Mann aus Bielefeld ist für die Ermittler so etwas wie ein Kronzeuge. Im Detail erklärt er, wie der Betrug in dem Bünder Firmengeflecht, für das er Autos verkauft und auf dem Bau gearbeitet hat, abgelaufen ist. Morgens haben sich die Mitarbeiter der Baufirma auf dem Gelände versammelt. &bdquo;Vor der Arbeit wurden die Krankenkassenkarten eingesammelt. Es wurde sich abgewechselt, sodass jeder mal krankgemeldet wurde“, sagt er. Anschließend seien die ausgewählten Arbeiter zum Arzt gefahren, um Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu besorgen. Die vermeintlich Erkrankten hätten dann trotz Krankschreibung weiter gearbeitet. Die &bdquo;gelben Scheine“ wurden im Kreis Herford sowie in Gelsenkirchen besorgt Die &bdquo;gelben Scheine“ holen sie sich bei Allgemeinmedizinern in Bünde und Herford sowie bei einem Psychiater in Gelsenkirchen. &bdquo;Zum Psychiater konnte man ohne Termin gehen und hat eine Krankschreibung für einen Monat bekommen“, sagt der ehemalige Angestellte. Meist sei man zu dritt in der Praxis aufgetaucht. Als Belohnung für seine Dienste soll der Psychiater von einem der Geschäftsführer der Bünder Firma 250 Euro pro Krankschreibung bekommen haben. &bdquo;Das Geld haben sie im Briefumschlag dem Arzt zugesteckt“, sagt er. Im Verfahren spielt auch ein Allgemeinmediziner aus Bünde eine Rolle Auch Doppelgänger sind nach Aussage des Bielefelders zum Einsatz gekommen. Er selbst sei dafür bei Medizinern in Herford und Gelsenkirchen gewesen. &bdquo;Der Arzt in Herford hat gar nicht richtig auf die Karte geguckt.“ Als einmal eine junge Frau mit der Krankenkassenkarte ihrer deutlich älteren Mutter eine Krankschreibung holen will, sei der Betrug beinahe aufgeflogen. Den gelben Schein gibt es aber dennoch. &bdquo;Darüber hat man dann laut gelacht und sich fürs nächste Mal etwas anderes ausgedacht.“ Im Verfahren spielt auch ein Allgemeinmediziner aus Bünde eine Rolle. Tagein und tagaus sei man mit Mitarbeitern der Firma bei dem Arzt gewesen, der von einem Geschäftsführer zwischenzeitlich als &bdquo;Doc Holiday“ bezeichnet wird. Das ist auch den Telefongesprächen zu entnehmen, die von den Ermittlern abgehört worden sind. Doch was wusste der Mediziner vom kriminellen System der Großfamilie? Laut Aussage des Ex-Mitarbeiters soll der Arzt nicht involviert gewesen sein. Zwar sei der &bdquo;Doc“ als &bdquo;Krankschreibearzt“ in dem Unternehmen bekannt gewesen, es hätte aber gewisse Grenzen gegeben. &bdquo;Länger als zwei Wochen hat er nicht gemacht, dafür ist man dann nach Herford gegangen“, sagt der 44-Jährige. Der Arzt sei &bdquo;immer gerade“ gewesen, also ehrlich. &bdquo;Aber es wurden immer Leute mit dem Audi in seine Praxis gebracht.“ Ausländische Arbeiter wurden ausgenutzt Laut dem Kronzeugen sollen die Hintermänner besonders ausländische Arbeiter, die kaum Deutsch sprachen oder verstanden, ausgenutzt haben. Fast alle hätten gemeinsam in einer Siedlung in Bünde gewohnt. &bdquo;Das war wie ein kleines Dorf für sich“, sagt er. Die Arbeiter sollen unter Druck gesetzt worden sein. &bdquo;Das waren alles arme Schicksale. Wenn man das Geld nötig hat, will man irgendwie leben. Das wurde ausgenutzt.“ Mitgemacht hat bei dem Betrug auch ein heute 56-jähriger Vorarbeiter aus Polen. Wie fast alle der Beteiligten schweigt der Mann zu den Vorwürfen. Mindestens fünfmal hat der heute in Hiddenhausen lebende Arbeiter Krankschreibungen eingeholt, ohne tatsächlich krank zu sein. Der Angestellte soll unter anderem unter Depressionen gelitten haben oder an einer Gastritis erkrankt gewesen sein. So ist es jedenfalls in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen skizziert. Tatsächlich hat der 56-Jährige an Tagen der Krankschreibung putzmunter auf Baustellen gearbeitet, unter anderem in Minden, Hannover oder Oldenburg. Das belegen Aufzeichnungen in den Bautagebüchern. Mithilfe der &bdquo;gelben Scheine“ beantragen die Geschäftsführer des Unternehmens Ausgleichszahlungen bei Krankenkassen und Sozialversicherungen in Höhe von mehreren Tausend Euro. Damit hat sich der Pole der Beihilfe zum Betrug in fünf Fällen schuldig gemacht. Das Amtsgericht Bünde verurteilte den Mann am Montag zu einer Strafe von 70 Tagessätzen zu je 30 Euro, also 2.100 Euro. Weitere Verfahren gegen Mitarbeiter des Bünder Firmengeflechts und auch gegen die Hintermänner laufen noch.

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