Küsse in der Nacht: Als paar nette Polizisten vorbeikamen

Endlich! Endlich ein Fleckchen von Bünde, welches sich kaum verändert hat. Dort drüben ist immer noch die Brücke, auf der jeder schon einmal stehen geblieben ist und auf den kleinen Fluss unter sich geschaut hat. Dort habe ich in einem roten Ford Fiesta mit meiner ersten Freundin gestanden. Es war eine kalte Winternacht, der Motor lief, damit es warm im Auto war, und wir knutschten. In der Nähe wohnten sehr aufmerksame Leute, denen der Anblick unseres Autos auf der Brücke um jene Uhrzeit nicht geheuer war. Etwas später, so gegen halb 2 Uhr, kamen ein paar sehr nette Polizisten, die uns erklärten, dass in der Nähe ein paar sehr aufmerksame Leute wohnten, denen der Anblick unseres Autos auf der Brücke um jene Uhrzeit nicht geheuer wäre. Damals konnten wir das nicht verstehen, weil es doch wohl nichts Harmloseres geben kann als zwei Menschen, die sich küssen. Heute gehöre ich zu den Menschen, denen der Anblick eines Autos auf der Brücke um jene Uhrzeit nicht geheuer wäre. Wo am Tag Zitronenfalter tanzen, säumen Wildkräuter den Weg. Kühe weiden mit den Kälbern, und der Himmel steht sehr hoch. Hunde jagen Bälle, Fahrräder zermahlen Meter für Meter im genügsamen Gang den Weg unter sich. Nein, viel geschieht hier nicht, und genau deswegen kommt man her. Das Bruch hat sich im Laufe der Zeit kaum verändert Das Bruch hat sich seit vielen Jahrzehnten kaum verändert. Hier ist es friedlich, hier ist es ruhig, hier ist die Natur im Einklang mit dem Rauschen des Verkehrs auf den Brücken. Dort sind immer noch die Radwege, die uns zum Hücker Moor führten. Dort ist .... Nein, eigentlich nicht. Das Bemerkenswerte am Bruch ist, dass es dort eigentlich wenig Bemerkenswertes gibt. Außer ein paar Dinge, die man nicht kaputt machen sollte. Aber wer weiß, wem die nicht geheuer sind. Und warum. Früher war ich mit meinem Freund J. oft unterwegs, um Fotos zu machen. Während wir unserem Hobby auf unseren Touren in Bünde nachgingen, führte uns unser Weg auch immer wieder in die Else-Auen. Wo die Klink- zur Engerstraße wird, war unser Eingang ins scheinbar Belanglose, was seine Zauber nur in Details preisgibt. Als jedes Foto noch Geld kostete Wir besaßen beide eine Spiegelreflex-Kamera, die aber noch völlig anders funktionierte. Mechanik und Chemie waren die Schlüsselwörter dieser Technik. Neben dem Bildausschnitt und Perspektive hatte man auf Blende, Verschlusszeit, Tiefenschärfe und vieles mehr zu achten. Wenn man an der Kamera mit dem Filmwechsel nicht daran dachte, den ASA-Wert richtig einzustellen, konnten schon mal 36 Aufnahmen unterbelichtet sein. Und Vorsicht! Jedes Foto kostete Geld – der Film, die Entwicklung, die Abzüge. Denn wollte man sich die Bilder auf einem Monitor ansehen, hätte man sie zunächst einscannen müssen. Ansonsten ließ man sie im Fotogeschäft oder in der Drogerie entwickeln. Das Ergebnis bekam man erst viele Tage später zu Gesicht. Und das war aufregend. Man freute sich zusammen über die wirklich gelungenen Aufnahmen. Manchmal wusste man vor dem Entwickeln nicht einmal mehr, was auf dem ersten Teil des Filmes war, der schon lange in der Kamera lag. Das war dann wie eine kleine Zeitreise. Dort im Bruch wurden unsere Abstände zwischen den Aufnahmen, die wir machten, auf gleiche Weise länger wie die Spaziergänge und Gespräche auf unserer Suche nach Motiven. J. bemerkte ihn eines Sommernachmittags als erster. &bdquo;Schau mal!", rief er zu mir hinüber. Ich war einige Meter zurückgeblieben und versuchte gerade, eine Schafgarbe in ihrer schönsten Pose zu erwischen. &bdquo;Der fliegt aber tief." Ein Heißluftballon kam uns und dem Boden gefährlich nahe. Unsere Kameras klickten – bedächtig, um kein Foto zu verschenken. &bdquo;Warte noch! Der kommt bestimmt noch näher." Und tatsächlich landete er direkt neben uns auf der Wiese. Was für ein Glück, dass wir genug Filme hatten. Vermutlich findet man niemals ein Abenteuer, vermutlich finden immer sie einen. Damals wusste ich noch nicht, dass mich einige Monate später mit zwei Polizisten auf der nahen Brücke über das nächtliche Knutschen in einem roten Ford Fiesta reden würde. Vielleicht sollte ich heute mal wieder in einer kalten Winternacht mit dem Auto dorthin fahren. Sie erinnert mich an Gottfried Benn: &bdquo;Leben heißt Brückenschlagen, die vergehn. Erst die Brücken geschlagen, das Blutplateau. Dann, wenn die Brücken tragen, die Ströme – wo?" So fließt die Else hier im Bruch schon lange Zeit unter meinen Füßen hinweg. Und manchmal lächle ich einfach zurück.

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