Hebamme gibt auf: "Corona hat mir den Rest gegeben"

Bünde. Die Corona-Pandemie ist für Erika Bänsch (56) der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie war schon lange überarbeitet. Dann kam Corona mit all den Vorgaben und Erschwernissen für ihre Arbeit. Da traf sie eine Entscheidung. 23 Jahre lang half Erika Bänsch im Lukas-Krankenhaus Babys auf die Welt. Bis die Krankenhaus-Leitung im Januar 2015 den Kreißsaal schloss. Erika Bänsch wagte den Sprung in die Selbstständigkeit. Im März 2015 eröffnete sie ihre eigene Praxis als freiberufliche Hebamme. Sie liegt in direkter Nachbarschaft des Krankenhauses, an der Brunnenallee. Erika Bänsch arbeitete sieben Tage die Woche Seit Erika Bänsch selbstständig ist, seit fünfeinhalb Jahren, arbeitete sie sieben Tage die Woche. Sie war keinen Tag krank zu Hause. "Wann sollte ich die Hausbesuche nachholen?", fragt sie. Krankengeld bekomme sie erst nach sechs Wochen. Bänsch besuchte jeden Tag sieben bis acht Wöchnerinnen zu Hause, am Wochenende zwei bis drei. Sie gab Kurse in Geburtsvorbereitung, Rückbildung, Babymassage und Babyernährung. Nach zehn- bis zwölf-stündigen Arbeitstagen ging sie abends noch an den Schreibtisch und rief Frauen zurück, oft waren es 25. "Meine Familie sah mich kaum", erzählt Bänsch. Obwohl sie sechzig Stunden pro Woche arbeitete, rechnete sich die Selbstständigkeit nicht. Die Abgaben, neben Steuern die Beiträge zur Sozialversicherung, Krankenversicherung und Berufshaftpflicht, seien zu hoch, sagt Bänsch. Auch im Urlaub ist sie per Whatsapp erreichbar. Früher hätten sich die Frauen ihre Fragen aufgeschrieben und beim nächsten Besuch gefragt. "Heute ist alles schnell ins Handy getippt", erzählt Bänsch. Während ihres Urlaubs hat sie mit den Frauen zwei Ausrufungszeichen zu Beginn von wichtigen Nachrichten vereinbart. Für die Mütter sei jedoch jede Frage wichtig, deshalb funktioniere das nicht als Filter. Sie könne sie verstehen. "Ich habe selbst bei meinem ersten Kind nachts meine Kolleginnen angerufen. Da war ich schon seit sieben Jahren Hebamme." Beim eigenen Kind sei alles anders. "Es fällt mir schwer, mich abzugrenzen", räumt Bänsch ein. 50 Frauen auf der Warteliste Zu Beginn der Pandemie vor knapp einem Jahr besorgte sich Erika Bänsch ein Headset und bereitete die Frauen per Video-live-Treffen auf die Geburt vor oder leitete sie online in der Rückbildungsgymnastik an. Nach acht Wochen ließ sie die Kurse wieder in ihrer Praxis stattfinden. Allerdings nur mit halb so vielen Teilnehmerinnen, damit die Frauen genug Abstand halten konnten. Bald stauten sich fünfzig Mütter auf der Warteliste für die Rückbildungsgymnastik. Im Sommer trafen sie sich für die Kurse im Garten des Schwesternwohnheims. Um alle Frauen aufnehmen zu können, veranstaltete Erika Bänsch jeweils zwei Kurse Geburtsvorbereitung und Rückbildung hintereinander. Sie werde jedoch nicht pro Stunde, sondern pro Frau bezahlt, erzählt Bänsch. Auf einmal gab sie acht Stunden pro Woche Kurse statt vier, verdiente aber so viel wie vorher. Der erneute Lockdown war ein Schlag für sie Im Herbst zog Bänsch mit den Kursen wieder in die Praxis. Um trotz der wenigen Plätze die jungen Mütter nicht zu lange warten zu lassen, kürzte sie den Rückbildungskurs von zehn auf vier Stunden und schickte den Teilnehmerinnen ein Merkblatt mit den Übungen für zuhause. Dann kam die zweite Infektionswelle. Der erneute Lockdown war ein Schlag für Erika Bänsch. "Das hat mich belastet. Ich möchte die Frauen unterstützen." Seit November laufen die Kurse wieder online. Wieder mit wenigen Teilnehmerinnen, weil Erika Bänsch auf dem Computerbildschirm sonst nicht alle Frauen im Blick hat und sie nur schlecht korrigieren kann. "Das ist ein zusätzlicher Job, um mir die Hebammenarbeit leisten zu können" Erika Bänsch hat für sich die Konsequenzen gezogen. Seit Anfang des Jahres ist sie wieder angestellt – und hat den Job gewechselt. Sie arbeitet als Sozial-Pädagogin in einer Mutter-Kind-Einrichtung in Melle-Buer. Auch wenn sie keine entsprechende Ausbildung absolviert hat, hat sie sich in diesem Fach fortgebildet und im Laufe ihrer 30 Berufsjahre viele schwierige Familienverhältnisse kennengelernt. Zudem hat sie als externe Hebamme bereits fünf Jahre lang mit dem Mutter-Kind-Haus zusammengearbeitet, kennt die Kollegen und Bewohnerinnen. Als selbstständige Hebamme macht Erika Bänsch nebenberuflich weiter. Es ist ihre Leidenschaft, Frauen auf dem Weg zur Familie zu begleiten. "Die Mutter-Kind-Einrichtung ist ein zusätzlicher Job, um mir die Hebammenarbeit und die Praxis weiter leisten zu können", sagt Bänsch. Seit Januar nimmt sie pro Monat nur noch vier statt bisher 15 schwangere Frauen an. Kurse in Babyschwimmen, -massage und -ernährung wird sie wieder anbieten, sobald Corona es zulässt. "Es ist mir unglaublich schwer gefallen, in meiner Hebammenpraxis zurückzuschrauben", sagt Bänsch. "Ich liebe den Beruf." Der Bedarf nach Hebammen sei so groß. Bereits im November habe sie eine Frau abweisen müssen, die erst im Juni entbinden wird. "Corona hat mir den Rest gegeben", sagt sie. Im nächsten Teil der Serie erklärt Hebamme Grit Junghans, warum es sich lohnt, den Beckenboden zu trainieren.

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