Ein Flaschensammler erzählt: Gummibärchen sorgen für ein bisschen Glück

Bünde. Das Thermometer erreicht fast den Gefrierpunkt. Eigentlich ist es viel zu kalt, um sich draußen lange aufzuhalten. Dennoch steht ein Mann mit dünner Jacke fast täglich am Bünder Autohof. Während die Autos kommen und wieder fahren, schleicht er mit seinen weißen Turnschuhen gemächlich über den Asphalt. "Haben Sie eine Flasche oder eine Dose übrig?", fragt der Mann höflich die Pendler oder Hungrigen, die die Tankstelle oder die Schnellrestaurants anfahren. Doch wer ist der Mann mit den langen, grauen Haaren, der Tag für Tag auf dem Parkplatz steht? Er heißt Peter und ist 58 Jahre alt. Der NW erzählt er seine Geschichte. Geboren sei er in Bielefeld. "Vor 20 Jahren bin ich nach Bünde gekommen", sagt er. Obdachlos sei er nicht. Peter hat ein Dach über den Kopf, ganz in der Nähe vom Autohof. "In Bünde habe ich ein Haus gebaut", sagt er. Damals, vor zwei Jahrzehnten, als die Welt für Peter noch in Ordnung war. Drei Ausbildungen absolviert Gut ausgebildet sei er, erzählt Peter. Gleich drei Berufsausbildungen habe er absolviert. "Teilezurichter, Mechaniker und Technischer Zeichner habe ich gelernt - alles im Nähmaschinenbereich", rattert er im Gespräch herunter. Gearbeitet habe er in seinem Leben viel. "Auch mal in einer Wurstfabrik oder in einer Tischlerei." Zuletzt sei er bei einem Autozulieferer beschäftigt gewesen. Allerdings nur noch als Leiharbeiter. Das hat ihm nicht mehr gefallen. "Der Stundenlohn war nicht sehr hoch, besonders wenn man drei Berufe gelernt hat", erzählt er. Doch warum muss ein gut ausgebildeter Mann auf einem Parkplatz Pfandflaschen sammeln? Vor acht Jahren, kurz nach seinem 50. Geburtstag, erleidet Peter einen gesundheitlichen Rückschlag. "Ich hatte Nierenkrebs und mir wurde eine Niere entnommen", sagt er. Es folgen weitere Operationen. Auch sein Blutdruck macht Peter, der die meisten Strecken zu Fuß geht, Probleme. "In einem Supermarkt bin ich schon mal bewusstlos geworden und wurde ins Krankenhaus gefahren", sagt er. Seitdem meidet er längere Wege. "Ich habe Angst, dass ich wieder umkippe." Kündigung hat schwere Folgen Doch stärker als der Blutdruck wirft ihn die Nierenerkrankung aus der Bahn. "Ich muss zwischen drei bis vier Liter am Tag trinken und dadurch musste ich während der Arbeit häufig auf Toilette. Das erzähl mal dem Chef", sagt Peter. In seinem letzten Job als Leiharbeiter hält er es nicht mehr aus. Er kündigt. Eine Entscheidung mit Folgen. Von einem Moment auf den anderen bricht das Einkommen weg. Auch Sozialleistungen habe er nicht erhalten, erzählt Peter. Auch weil er sich im Behördendschungel verirrt habe. Vorher habe er nie etwas mit dem Amt zu tun gehabt. "Es war erst einmal schwierig, überhaupt zu wissen, wo ich hingehen muss", sagt der 58-Jährige, der seit dem Tod seiner Mutter vor vier Jahren alleine lebt. Kredit statt Sozialleistungen Mittlerweile erhält er Geld vom Staat. "Ich bekomme etwa 570 Euro im Monat, davon muss ich aber auch die Kosten für Strom und Wasser bezahlen", sagt er. Zudem sei das Geld nach Peters Aussage auch keine Sozialleistung, sondern ein Kredit. Und das obwohl er Jahrzehnte gearbeitet habe. "Das Jobcenter steht jetzt im Grundbuch des Hauses", sagt er. Große Wünsche hat er nicht, doch um sein Leben finanzieren zu können, sammelt Peter Flaschen und Dosen. Meistens ist er rund um den Autohof unterwegs. Es sind nicht nur die ein oder zwei Euro, die ihn antreiben. Er sehnt sich auch nach Gesprächen. "Ich kann ja nicht den ganzen Tag in die Glotze schauen", sagt Peter. Die Pendler seien meistens sehr freundlich. "Und wenn mal einer nicht freundlich ist, ist mir das eigentlich auch egal. Darüber rege ich mich nicht auf." Vier Flaschen sind eine Dose Und was macht er mit dem Pfandgeld? Jede Dose bringt ihm 25 Cent. "Ich hole mir meist eine Dose Suppe oder Brot und Aufschnitt, was ich sonst nicht kaufe. Eine Dosensuppe, die etwa einen Euro kostet, reiche ihm sogar zwei Tage. "An einem Tag schaffe ich das nicht. Mit einer Scheibe Brot ist das aber dann auch in Ordnung." Gern trinkt er dann auch eine Tasse Kaffee dazu. Ganz selten gönnte er sich auch einmal etwas zum Naschen: Gummibärchen. "Die kaufe ich mir ganz gern", erzählt Peter. Nur Alkohol sei für ihn tabu. "Alleine weil ich nur noch eine Niere habe, ist das nichts für mich", sagt er. Das Hoffen auf die Rente Sein restliches Leben will er nicht mit Flaschensammeln verbringen. Peter hofft, dass die Rente ihn aus der Armut holt. "Ich habe ja schon ein Schreiben von der Rentenversicherung bekommen. Die wollen aber, dass ich noch mal eine ärztliche Untersuchung mache", sagt er. Er hofft jetzt, dass sein Rentenanspruch anerkannt wird. Einen Termin für die Untersuchung habe er aber noch nicht bekommen. Es wird wohl noch Monate oder vielleicht sogar Jahre dauern, bis Peter offiziell Rentner ist. Bis dahin wird er weiter mit den weißen Turnschuhen über den Parkplatz schleichen und Pendler und Hungrige freundlich um Flaschen oder Dosen bitten. Er, also Peter, 58 Jahre alt, wohnhaft in Bünde.

Meistgelesen