
Bünde. Alle sechs bis acht Wochen besucht er seinen Vater in Kirchlengern. Und zu einem Lehrer hier in Bünde pflegt er auch noch regelmäßigen Kontakt. Ansonsten ist er viel in der Weltgeschichte unterwegs. Seinen Lebensmittelpunkt hat er in Bonn. Und demnächst auch in Dessau und Berlin. Dort wartet die nächste berufliche Herausforderung auf ihn. Eine, auf die er sich "wirklich freut", wie er sagt. Dirk Messner wird zum 1. Januar 2020 neuer Präsident des Umweltbundesamtes.
Der 57-Jährige ist schon seit vielen Jahren ein international renommierter Nachhaltigkeitsforscher, derzeit Direktor des "Institute for Environment and Human Security" an der Universität der Vereinten Nationen (UNU) in Bonn und zugleich Vize-Rektor der gesamten UNU mit ihren 16 Standorten weltweit. Er ist zudem Co-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung. Von 2003 bis 2018 war er Direktor des deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, zudem ist er Professor für Politikwissenschaft an der Uni Duisburg-Essen. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die nationale und internationale Nachhaltigkeitsforschung, die ökologische, ökonomische und soziale Fragen verbindet. Mit dem WGBU prägte er den Begriff der "Transformation", der den anstehenden Umbau der Städte, der Mobilität, der Energiesysteme und der Landnutzung beschreibt.
Messner, so heißt es auf der Seite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, habe nicht nur wissenschaftliche Debatten beeinflusst, sondern auch in die Politik hineingewirkt. Als Berater habe er neben der Bundesregierung auch die Europäische Kommission, die Weltbank und die chinesische Regierung als langjähriges Mitglied im "China Council for International Cooperation on Environment and Development" unterstützt.
Faschismus und Friedensbewegung - engagiert schon als Schüler und NW-Mitarbeiter
Eine beachtliche Karriere, die so nur die allerwenigsten Bünder einschlagen. 1962 geboren, wuchs Messner in Ennigloh auf. "Ich habe lange Zeit Tischtennis beim BTW gespielt", erinnert sich der 57-Jährige. Aber als sein Bruder leistungstechnisch an ihm vorbeigezogen sei, habe er irgendwann die Lust verloren, räumt er ein und lacht. Sein Abitur machte er zwischen 1972 und 1981 am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Leistungsfächer: Mathe und Geschichte, "als drittes Fach Deutsch", wie er sich noch erinnert. Gute Deutschkenntnisse kamen ihm sicher auch in seinem Nebenjob entgegen: Messner war während seiner Oberstufenzeit drei Jahre lang freier Mitarbeiter der NW-Lokalredaktion. "Damit habe ich mir meine Urlaube finanziert", sagt er.
Politische Themen, vor allem die damalige Friedensbewegung und die Aufarbeitung des Faschismus, faszinierten ihn ganz besonders - als NW-Berichterstatter und auch als Schüler. Lehrer Dieter Hahn wurde für ihn in dieser Hinsicht eine "sehr wichtige Person", wie er sagt - so wichtig, dass er mit seinem Ex-Lehrer und dessen Familie bis heute befreundet ist. Hahn war es auch, der ihn ermunterte, für sein Studium direkt nach Berlin zu gehen. Das tat der junge Mann dann auch. Er studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften, promovierte und habilitierte. Der Rest ist bekannt.
Zum Überzeugungstäter in Sachen Umweltschutz wurde Messner im Laufe der Jahre. In seine Zeit im Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen fallen unter anderem Gutachten zum "Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation", also besagten klimafreundlichen Umbau von Industriestaaten. Oder, im vorigen Jahr, ein Sondergutachten zu einer "Weltbürgerbewegung" zum Klimaschutz. Darin forderte der Beirat unter anderem "Klimapässe" für Menschen, deren Heimat der Erderhitzung zum Opfer fällt - damit diese leichter bei den Verursachern der Probleme Schutz suchen können. Zuletzt ging er der Frage nach, wie die Digitalisierung der Nachhaltigkeit nutzen kann, statt ihr mit noch mehr Verbrauch an Gütern und Energie zu schaden.
Lobrede von Bundesumweltministerin Svenja Schulze
Der Personalvorschlag "Messner for President" war von Bundesumweltministerin Svenja Schulze gekommen. Auf der BMU-Seite wird sie folgendermaßen zitiert: "Dirk Messner hat sich als Wissenschaftler und Politikberater im Bereich Nachhaltigkeit in Deutschland und weit darüber hinaus Anerkennung erworben. Als künftiger Präsident des Umweltbundesamtes ist er der richtige Mann zur richtigen Zeit. Umweltpolitik ist mehr denn je auf globale Expertise und Vernetzung angewiesen. Denn auch die größten Herausforderungen unserer Zeit, der Klimawandel und das Artensterben, sind global. Dirk Messner hat immer wieder gezeigt, dass er weit vorausdenkt. Vieles von dem, was heute die Politik beschäftigt, hat er mit dem WBGU schon vor Jahren gedanklich vorbereitet. Das Umweltbundesamt wird so seine Rolle als Forschungs- und Beratungsinstitution für Nachhaltigkeitstransformationen weiter stärken können." Das Bundeskabinett konnte angesichts dieser Lobrede gar nicht anders, als dem Vorschlag zuzustimmen. Messner wird die Nachfolge von Maria Krautzberger antreten, die zum Jahresende nach fünf Jahren im Amt in den Ruhestand geht.
"Das Angebot hat mich gereizt, weil das Thema jetzt endlich erste Priorität hat, das ist jetzt ganz oben auf der Agenda", sagt Messner, der einen erwachsenen Sohn hat und dessen Frau Präsidentin der Uni Paderborn ist. "Jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem man vielleicht wirklich etwas erreichen kann." Die Idee sei, besagte nachhaltige Transformation ins Zentrum zu stellen. "Und das stärker international", erklärt er seine Vorstellungen. Dann schiebt er hinterher: "Ich hoffe, das gelingt auch so."
Konflikte sind da durchaus nicht selten. Bei aller wissenschaftlichen Unabhängigkeit bleibt das Umweltbundesamt nämlich eine obere Bundesbehörde, die dem Umweltministerium unterstellt ist. Nicht selten war die Atmosphäre zwischen Umweltbehörde und -ministerium in der Vergangenheit belastet. Nicht alles darf an die Öffentlichkeit. Doch die Präsidenten, so heißt es in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung, hätten immer Mittel und Wege gefunden, sich Gehör zu verschaffen - "nicht selten durch Interviews, in denen sie jene Erkenntnisse preisgaben, die auf anderem Wege nicht publik werden durften."