Brennender Kinderwagen: Mutter gibt ehrliche Einblicke in Wohnblock im Kreis Gütersloh

Verl-Sürenheide. Der Lärm im Treppenhaus bricht los, als wäre er für Demonstrationszwecke bestellt. Musikbeschallung wie auf einer Party, die gerade aus dem Ruder läuft. Und das während der mittäglichen Ruhezeit. &bdquo;Das ist noch leise. Hören Sie sich das mal um Mitternacht an“, sagt Ana. Ana heißt eigentlich anders. Ihren richtigen Namen möchte sie allerdings lieber nicht in der Zeitung lesen. Denn Ana hat in den vergangenen Monaten so ihre Erfahrungen gesammelt mit der Nachbarschaft im Zollhausweg 5. Ana hat sich gewehrt gegen die Zustände in dem Wohnblock in der Sürenheider Helfgerdsiedlung, der nahezu ausschließlich von südosteuropäischen Arbeitern bewohnt wird und seit Jahren regelmäßig für negative Schlagzeilen sorgt. Kein halbes Jahr hat sie es hier ausgehalten. In dieser Zeit hat sie häufig die Polizei zu Hilfe gerufen, wenn Schlägereien oder Alkoholgelage die Nachtruhe störten. &bdquo;Am Wochenende ist es am schlimmsten“, sagt Ana und zeigt auf ihrem Handy, dass sie mitunter viermal hintereinander den Notruf gewählt hat. Die Statistik der Polizei bestätigt das. 20 Einsätze in den vergangenen fünf Monaten sind registriert. Tatsächlich überwiegend, weil die Beamten für Ruhe sorgen oder Streitereien schlichten mussten. Mehr als einmal rückten auch zwei oder drei Streifenwagenbesatzungen gleichzeitig an. Die Geschichte der Mutter soll ein Hilferuf sein Anas Wohnsituation hat das nicht verbessert. Im Gegenteil. Seit jemand versuchte, ihre Wohnungstür einzudrücken, sichert ein zusätzlich aufgeschraubtes Metallblech das Schloss. Das hat allerdings zur Folge, dass die Tür nicht mehr richtig schließt – ganze Finger passen in den Spalt zwischen Blatt und Zarge. Des nachts hat sie die Wohnungstür regelmäßig mit dem davor geschobenen Schuhschrank verbarrikadiert und sich mit ihren drei Kindern im Alter von zwei bis zehn Jahren in das Schlafzimmer zurückgezogen. &bdquo;Das kann man zusätzlich noch einmal abschließen.“ Die älteste Tochter leide unter Angststörungen und wolle nicht mehr allein schlafen. &bdquo;Dies ist kein Ort, um hier mit kleinen Kindern zu wohnen“, sagt Ana. Bevor ihr die Stadt Verl die Wohnung im Zollhausweg verschaffte, hatte Ana mit ihren Kindern zwei Monate Unterschlupf im Frauenhaus gefunden und danach eineinviertel Jahr in einer Mutter-Kind-Einrichtung gewohnt. In Sürenheide bezog die Familie dann diese etwa 85 Quadratmeter große Wohnung, die durchaus gut zugeschnitten ist: eingerichtete Küche, zwei Kinderzimmer, neben dem Bad ein zusätzliches WC, Schäden repariert, die Wände frisch gestrichen. Für Ana ist das mittlerweile aber in den Hintergrund getreten. Sie weiß um den Ruf der Wohnblöcke. Dass sie ihre Geschichte erzählt, soll nicht vorhandene Vorurteile schüren. Es ist vielmehr ein Hilferuf. Denn zu oft fühlte sie sich hier allein gelassen, sagt sie. In gleich großen Nachbarwohnungen leben bis zu acht Männer. Die Stimmung sei angesichts der beengten Wohnverhältnisse laut und aggressiv. Den Kinderwagen in Brand gesetzt Und wer Ruhe einfordert, so wie Ana, macht sich nicht beliebt. Sie sei von einem anderen Balkon aus mit einer Bierflasche beworfen worden, berichtet die Frau. Aus dem Hausflur sei ihr der Kinderwagen gestohlen worden, um ihn draußen vor der Tür in Brand zu setzen. Und einmal habe man sie auf dem umzäunten Müllplatz eingeschlossen. Raus ließ man sie erst, als sie mit eingeschaltetem Lautsprecher vom Handy aus die Polizei anrief. Das Umfeld mache auch anderen Bewohnern zu schaffen, doch die wehrten sich nicht. &bdquo;Ich bin hier die einzige, die deutsch spricht“, sagt die Frau, die selbst aus dem Balkan zugewandert ist. Als zuletzt neun Tage lang Heizung und Warmwasser ausgefallen waren, habe sich darum niemand gekümmert. Vielleicht auch, weil die Hausbewohner zu schnell wechseln und die Eigentumsverhältnisse kompliziert sind. Als im Sommer 2020 die Beschränkungen durch die Corona-Pandemie durchgesetzt werden sollten, stellten sogar die Behörden fest, dass niemand so genau weiß, wie viele und welche Menschen hier wohnen. Das passt zum insgesamt desolaten Zustand des Hauses. Die Glasscheibe am Eingang über den Briefkästen fehlt, ist provisorisch durch Pappe ersetzt. Briefkästen kann man die Schlitze darunter eigentlich auch nicht mehr nennen. Weil die Klappen nicht funktionsfähig sind, landet die Post immer im Hausflur. Auf einem Beistelltischchen, solange das nicht gestohlen wird. Dann kommt die Post eben auch mal nicht an. Die Haustür lässt sich nicht mehr schließen. Im Treppenhaus riecht es nach Urin, auf dem Abgang zum Keller hat ganz offensichtlich jemand seinen Darm entleert. Die Missstände vor Ort sind schon seit längerer Zeit bekannt Ganz neu ist das alles nicht. Vor Jahren schon hatten Anlieger aus dem rückwärtigen Teil der Libellenstraße ihren Frust öffentlich gemacht, immer wieder die Polizei gerufen, wenn sie nachts um den Schlaf gebracht wurden, weil die Regler einer Stereoanlagen bis zum Anschlag aufgedreht wurden, der Alkohol in Strömen floss oder sich auf einem Balkon eine Gruppe Männer mit einer Frau vergnügte – unter lauten Anfeuerungsrufen anderer Hausbewohner. Um Gehör zu finden, luden sie damals sogar den CDU-Landtagsabgeordneten André Kuper zu einem Ortstermin ein. Im Gegensatz zu diesen Anliegern kann Ana jetzt aufatmen. Sie hat eine andere Bleibe gefunden, für sich und ihre Kinder. In Verl, an einem ruhigeren Ort. &bdquo;Ich bin froh, dass wir hier nicht auch noch Weihnachten verbringen müssen.“

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