OWL Crime - mit Podcast

Wahrsagerin sollte Mann aus Schloß Holte-Stukenbrock den Tod bringen

Eine Frau will im Jahr 1994 ihren Mann loswerden. In der aktuellen Podcast-Folge geht es darum, wie sie sich beim Mordversuch die Hilfe einer Wahrsagerin holt.

Eine Wahrsagerin soll auf den Ehemann einer Klientin geschossen haben - auch mehrere Killer sollen angeblich engagiert worden sein. | © Symbolfoto/picture alliance

Sabine Kubendorff
28.03.2024 | 28.03.2024, 11:58

Schloß Holte-Stukenbrock. Die damals 48-jährige Anja R. (alle Namen von der Redaktion geändert) aus Stukenbrock leidet laut eigener Aussage unter ihrem 56-jährigen Ehemann Paul. Er verprügele sie regelmäßig und müsse "mal so richtig was in den Nacken kriegen".  So holt sich die Frau im November 1994 Rat bei der Wahrsagerin Helga S. aus Brackwede.

Das Ergebnis der Beratung: Sie werden zu Verbündeten, weil sich die Wahrsagerin angeblich ganz in Anja R. hineinversetzen kann. Was mit Wahrsagerei, Magie und Vodoo beginnt, entwickelt sich mit der Zeit jedoch zu einer Verschwörung zweier Frauen, die sogar vor einem Tötungsversuch nicht zurückschrecken.

Viele der Hintergründe dazu kennt Susanne Lahr. Die "NW"-Redakteurin ist zu Gast in der aktuellen Podcast-Folge und gibt Einblicke in einen skurrilen Kriminalfall, der so unglaublich wie wahr ist.

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Wahrsagerin soll den Tod bringen - alle Fakten im Überblick

  • Anja R. aus Stukenbrock leidet unter ihrem Ehemann Paul, wird angeblich von ihm geschlagen. Im November 1994 entscheidet sie sich dazu, sich an ihm zu rächen.
  • Sie heuert dafür die Wahrsagerin Helga S. an. Doch nachdem schwarze Magie und Voodoo-Zauber keine Wirkung zeigen, übersteht Paul R. auch weitere Attacken schadlos.
  • Drei Auftragskiller werden engagiert, erledigen ihren Job aber nicht. Also greift die Wahrsagerin am 29. April 1995 selbst zur Waffe und schießt Paul R. in den Nacken.
  • Dieser überlebt den Angriff jedoch. Anja R. und Helga S. legen in der Folge Geständnisse ab, widerrufen diese jedoch kurze Zeit später wieder.
  • Beiden Frauen werden vom Gericht schwere Persönlichkeitsstörungen attestiert. Sie werden im Jahr 1996 zu jeweils sechs Jahren Haft verurteilt.

Anja R. heuert Auftragskiller an

Die beiden Frauen versuchen es zuerst ohne Waffengewalt, dafür mit Schwarzer Magie und Voodoo-Zauber. In einem Wald verbrennt die Wahrsagerin dafür ein Hemd und ein Foto von Paul R., doch beides bleibt erfolglos. Auch Valium, einen Tablettencocktail und Rattengift übersteht er.

Also werden nacheinander drei Auftragskiller - ein Gastwirt, ein Industriekaufmann und ein Kraftfahrer - angeheuert, die alle ihr Honorar (insgesamt fast 50.000 Deutsche Mark) einkassieren, aber ihren Job nicht erledigen. Einer von ihnen wird später vor Gericht erklären, in seiner Gewissensnot habe er die Telefonseelsorge angerufen, den Sachverhalt geschildert und gefragt, ob er die Polizei informieren müsse. Die Antwort: Da es noch nicht zu einer strafbaren Handlung gekommen sei, könne er die Geschichte für sich behalten.

Also greift die 51-jährige Wahrsagerin im April 1995 selbst zur Waffe, als Paul R. angetrunken am Küchentisch sitzt. Sie schießt ihm in den Nacken, aber der Mann stirbt nicht. Er registriert den Schuss nicht mal wirklich, blutet aber und hat Kopfschmerzen. Seine Ehefrau plagt nun doch das schlechte Gewissen. Während die Wahrsagerin mit dem Taxi wieder nach Brackwede fährt, informiert Anja R. ihren Schwager, der wiederum die Polizei. Anja R. spricht von einem Raubüberfall.

Ehemann von Anja R. muss ins Krankenhaus

Ihr Mann wird in ein Krankenhaus gebracht, wo man die Schussverletzung als aufgeplatzten Pickel oder etwas Vergleichbares identifiziert und den Mann wieder nach Hause schickt. Tage später – die beiden Frauen sind inzwischen bereits verhaftet – begibt sich Paul R. in ein anderes Krankenhaus, wo die Kugel entdeckt wird. Sie steckt in der Zunge.

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Die Kripo – wegen des vermeintlichen Raubüberfalles eingeschaltet – durchsucht noch einmal die Wohnung und findet im Abfluss der Küchenspüle eine leere Patronenhülse. Damit konfrontiert, verstricken sich die Frauen in Widersprüchen. Wahrsagerin Helga S. legt ein Geständnis ab, nicht zuletzt aufgrund der Aussage einer Zeugin, die sie am Tatabend aus einem Taxi steigen sieht. Auch Anja R. gesteht umfassend. Seit dem 7. Mai 1995 sitzen beide Frauen in Untersuchungshaft.

Der Prozess vor dem Schwurgericht in Bielefeld beginnt im Januar 1996. Wahrsagerin Helga S. wird von Rolf Bossi vertreten, einem der bekanntesten Strafverteidiger Deutschlands. Der Richter will von der Mitangeklagten Anja R. wissen, ob sie an Geister glaubt. Ihre Antwort: „Ja, ich hab die ganze Zeit dran geglaubt."

Anja R. widerruft ihr Geständnis

Zeichen dafür, dass übernatürliche Kräfte am Werk sind, gibt es für die Frau reichlich. Sie schildert vor Gericht: „Die Uhr schlug plötzlich anders. Nacht für Nacht gingen die Schranktüren auf und zu. Mein Mann hatte so rote Augen, er meinte, wir hätten es mit dem Teufel zu tun." Anja R. macht die Wahrsagerin für den Spuk verantwortlich.

Und sie widerruft ihr Geständnis. „Ich habe meinen Mann nie töten wollen, auch nichts geplant", beteuert sie unter Tränen. Paul R. habe immer zu ihr gestanden. „Er ist ein lieber, guter Vater." Nie habe es Eheprobleme gegeben. „Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen." Helga S. sei der böse Dämon gewesen, der sie getrieben und mit einem Tonband erpresst habe. Bei einem Besuch der Wahrsagerin habe sie unbedachte Äußerungen getätigt, die Helga S. heimlich aufgenommen habe. Die kann sich im Gerichtssaal ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen.

Am nächsten Prozesstag darf sie die Dinge aus ihrer Sicht schildern. Auch sie widerruft ihr Geständnis und behauptet, Anja R. habe am 29. April 1995 auf Paul R. geschossen. Sie bekräftigt ihre Beschuldigung mit den Worten, „so wahr ich hier sitze", und beschwört die Wahrhaftigkeit beim Leben derer, die ihr offenbar am nächsten stehen: ihrem Schoßhund Cindy und ihrer Tochter, die sie 23 Jahre zuvor zur Adoption freigegeben hatte.

Versöhnung zwischen Anja und Paul R.

An ihrer Mitangeklagten lässt Helga S. kein gutes Haar. Anja R. sei „unheimlich begeistert" von ihren Fähigkeiten gewesen, habe „wie ein Rohrspatz" auf ihren Mann geschimpft. Ständig habe sie gejammert und um Hilfe bei der Beseitigung ihres Mann gebeten. Sie habe auf den Voodoo-Zauber bestanden und auch die „Killer" selbst angeheuert. „Der Alte muss weg", habe Anja R. immer wieder gesagt, behauptet die Wahrsagerin.

Und dann ereignet sich an diesem Prozesstag etwas, mit dem niemand gerechnet hat. Das Ehepaar versöhnt sich wieder. Paul R. erscheint in seinem besten dunklen Anzug vor Gericht und bricht in Tränen aus, als seine Ehefrau in den Gerichtssaal geführt wird. Er zieht seinen Antrag, als Nebenkläger zugelassen zu werden, zurück. Als Zeuge wird er erst am 12. Februar gehört werden. Bis dahin, darf er sich nicht im Gerichtssaal aufhalten. Bevor er den Saal verlässt, umarmt er seine Frau. Beide schluchzen dabei erneut heftig.

Der Ankläger fordert für Helga S. und Anja R. je sechseinhalb Jahre Haft. Zuvor hatten Gutachter beiden Frauen schwere Persönlichkeitsstörungen attestiert. Ihre Motive seien Habgier und Eheprobleme gewesen. Vor der Urteilsverkündung sprechen die Angeklagten bewegende Worte: „Ich weiß von ganzem Herzen, dass ich nicht geschossen haben", haucht die Wahrsagerin, „Ich liebe meinen Mann. Ich will nach Hause", jammert die Ehefrau. Wegen Anstiftung zum Mord und versuchten Mordes werden beide Frauen zu je sechs Jahren Haft verurteilt.