Mutiger Ex-Alkoholiker im Kreis Gütersloh spricht offen über gefährliche Sucht

Rheda-Wiedenbrück. Bier auf einem Schützenfest; Cocktails zum Sonnenuntergang; Sekt auf einer Feier - was für viele Leute normal ist, ist für Günter Philipps und Martina Goebel-Hasse ein absolutes Tabu. Sie haben schon zu viel promillehaltige Getränke gehabt. Beide sind trockene Alkoholiker. Damit gehen sie offen um. Den Weg aus dem Teufelskreis Alkohol zu finden, war für sie schwierig. Das ist es für jeden. Philipps und Goebel-Hasse engagieren sich darum im Freundeskreis der Suchtkrankenhilfe. Sie unterstützten in Selbsthilfegruppen (SHG) andere und damit auch sich selbst dabei, das Ziel, nie wieder einen Tropfen Alkohol zu trinken, zu erreichen. Der erste Schritt ist der schwerste: Sich einzugestehen, dass man suchtkrank ist. Die Grenze zwischen Muss und Möchte sei fließend. &bdquo;Süchtig ist, wer das Glas Wein auf dem Tisch und die Flasche Wodka hinter der Tür hat“, sagt Goebel-Hasse. &bdquo;Für mich war es Sucht, als ich angefangen habe, den Alkohol zu verstecken“, erzählt der 75-Jährige. Erster Vollrausch mit 16 Jahren Den ersten Vollrausch hatte er mit 16 Jahren. Irgendwann war er bei einer Flasche Brandy täglich, um seinen Promillepegel zu halten, um das Zittern seiner Hände zu unterdrücken, um überhaupt noch zu funktionieren. &bdquo;Meine Frau hat gesagt: Wenn du nicht langsam weniger trinkst ...“, erinnert Philipps sich an 1985. Ein Jahr hat er dann noch gebraucht, um zu merken, &bdquo;dass sie es ernst meint, wenn sie sagt: Du säufst, du gehst, ich stelle dir die Koffer vor die Tür“. Der Ingenieur im Ruhestand wandte sich an die Suchtberatung der Caritas, machte eine Therapie. Es ist selten, dass ein Angehöriger den Alkoholiker dazu bewegen kann, gegen seine Sucht zu kämpfen. &bdquo;Darum schämen sich Partner und Kinder, sind hilflos und decken ihn oder sie“, spricht Goebel-Hasse von Co-Abhängigkeit. &bdquo;Viele glauben, dass sie einem Alkoholkranken helfen können, aber wenn der uneinsichtig ist und nicht versteht, dass er Hilfe von außen braucht, sind Angehörige absolut machtlos.“ Und sie haben oft niemanden, mit dem sie über das Problem reden können. Es kostet Überwindung, einen Rückfall zu gestehen Darum gibt es die SHG für Angehörige. &bdquo;Wir sind für alle da“, sagt die 60-Jährige. Angeboten wird vor dem ersten Besuch in der Gruppe ein Einzelgespräch. Nach Jahren des Schweigens und der Scham &bdquo;wollen wir helfen, die Hürde zu überwinden, Fremden von den eigenen Problemen zu erzählen“. Das geschieht dann in einem geschützten Raum, aus dem nichts nach außen dringt. Wie schwierig der Gang in die SHG ist, erzählt Philipps. Mit dem Gedanken, dass ihn hoffentlich keiner sieht, ging er das erste Mal nach seiner Entzugstherapie zu der Gruppe. Und traf direkt Bekannte. &bdquo;Sie haben gesagt: Schön, dass du da bist, wir haben schon länger auf dich gewartet.“ Da sei er sehr erleichtert gewesen, sagt der 75-Jährige. Schwierig wurde es für ihn bei einem Rückfall. Der begann 2001 mit einem Glas Sekt und endete mit einer Flasche Hochprozentigem pro Tag. Das seiner Familie und dem Freundeskreis Suchtkrankenhilfe zu gestehen, kostete ihn Überwindung. Philipps gab die Leitung der SHG vorübergehend ab, machte eine Einzeltherapie - und ist seither trocken. Kollegen rochen die Fahne, sagten aber nichts Auf elf Jahre ohne Alkohol blickt Goebel-Hasse. Sie kennt alle Facetten des Alkoholismus. &bdquo;Mein Vater hat immer getrunken, das war für mich normal“, erzählt sie. Alkoholiker waren für sie die anderen, die auf der Straße leben, die ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung verloren haben. Bis sie verstanden hat, dass sie damit falsch liegt, &bdquo;das hat lange gedauert“. Da lebte sie mit einem alkoholabhängigen Mann zusammen und trank selbst. Die 60-Jährige ahnte, dass sie ein Problem hatte. Ihre damaligen Kollegen wussten es, rochen ihre Fahne. &bdquo;Aber keiner in der Firma hatte den Mut, das anzusprechen.“ Nur ihre damalige Chefin fasste sich irgendwann ein Herz, nahm sie zur Seite und redete mit ihr. Goebel-Hasse versuchte, die Finger vom Alkohol zu lassen. Das schaffte sie für drei, vier Tage. Sie litt unter dem körperlichen Entzug und dachte: &bdquo;Ein Bier schadet doch nichts.“ Weil es ihr doch schadete, ging sie letztlich zur Suchtberatung der Caritas. &bdquo;Die haben alles für meine Entgiftung geregelt und ich hatte das Glück, direkt in die Therapie gehen zu können.“ Vor ihrer Rückkehr nach Rheda-Wiedenbrück trennte sie sich von ihrem Partner, &bdquo;der das Problem einfach nicht verstanden hat“. Das war 2013. Alkoholfreies Bier wird dankend abgelehnt Seither geht es der 60-Jährigen sehr gut. Zwar habe sie anfangs Angst gehabt, sich ein Wasser zu bestellen. &bdquo;Aber ich muss mich nicht rechtfertigen, dass ich alkoholkrank war“, sagt die Verkäuferin heute. &bdquo;Ich bin glücklich und zufrieden, habe meinen Führerschein wieder und einen super Chef.“ Der habe zu einer Weihnachtsfeier Rotweinsoße zum Braten bestellt. Nach ihrem Hinweis habe er sofort eine alkoholfreie Variante für Goebel-Hasse bestellt. Denn jeder Tropfen birgt für trockene Alkoholiker ein Risiko. Lesen Sie auch: Unheilbar krank – mutige Frau aus dem Kreis Gütersloh lebt mit Persönlichkeitsstörung Unterstützt wurde auch Philipps. Familie und Freunde hätten anfangs auf Wein, Sekt und Bier in seiner Gegenwart verzichtet. Doch heute fühlt sich der 75-Jährige gefestigt - auch durch die Treffen im Freundeskreis Suchtkrankenhilfe. Aber eins lehnt Philipps dankend ab: alkoholfreien Sekt oder Bier. &bdquo;Das triggert mich sofort, das ist mir zu gefährlich.“

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