Konkurrenz durch Discounter: Händler fühlen sich ungerecht behandelt

Harsewinkel. Diese Geschichte beginnt auf dem Kopf. Denn ich brauche einen neuen Fahrradhelm. Der alte ist ein mal zu oft runtergeflogen, Plastikfolie und Visier sind weg und der Kinnverschluss will auch nicht mehr so richtig. Doch wie kaufe ich einen Fahrradhelm in Corona-Zeiten? Mein Spontanbesuch im Fahrradladen &bdquo;Fach-Werk" von André Werner ist der Anfang eines Einkaufstages, an dessen Ende der Unmut der kleinen Einzelhändler vor Ort über die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und mein Verständnis für deren Existenzsorgen immer größer wird. Um es kurz zu machen: Den Helm darf mir Werner nicht verkaufen. Zumindest nicht &bdquo;einfach so". &bdquo;Sie hätten im Internet schauen müssen, was sie haben wollen, dann anrufen, bestellen, abholen", lauten die Disziplinen des Corona-Einkaufsmehrkampfes. Beratung? Anprobe? Nachjustieren? Fehlanzeige. Alles nicht erlaubt. &bdquo;Wegen der Kundennähe", sagt er ungewollt doppeldeutig. Und nächste Woche sollen die Friseure wieder aufmachen? Dass bei ihm allen Ernstes noch Leute die Tür aufmachen und als Erstes fragen, ob bei ihm Maskenpflicht gelte – das Schild hängt ordnungsgemäß an der Tür – macht ihn fassungslos. "Wir haben alles für funktionierende Hygienekonzepte getan" Werner und seine Kunden können froh sein, dass es Fahrradhelme überhaupt noch im Sortiment des auf dem Bessmann-Gelände ins neu errichtete Fachwerk umgezogenen Ladens gibt. Bei anderen Ersatzteilen, die fast ausschließlich aus Fernost kommen, hat der Fahrradschrauber, der immerhin seine Reparaturwerkstatt betreiben darf, längst aufgegeben. Ein Kunde fragt in diesem Moment nach beigen Reifen für sein Nostalgierad. &bdquo;Es gibt nur noch schwarze. Lieferzeit 500 Tage", erklärt André Werner. Der Komponentenbauer Shimano habe in Malaysia drei Fabriken wegen der Pandemie erneut schließen müssen. Die unterbrochenen Lieferketten führen zu höheren Transportkosten. Ein Container von China nach Europa kostete vor einem Jahr noch 1.200 US-Dollar. Jetzt sind es 15.000 Dollar. Meine Skepsis an der Sinnhaftigkeit der verhängten Maßnahmen für den Handel wächst einen halben Kilometer weiter im Blumenladen bei Veronika Roth. Die bekennende Querdenkerin nimmt mit Vokabeln wie &bdquo;Willkür" und &bdquo;Schwachsinn" zu den Maßnahmen kein Blatt vor den Mund. &bdquo;Verderbliche Ware", lautet das Zauberwort. Schnittblumen und andere Pflanzen darf sie verkaufen. Die Vase oder den Topf dazu nicht. Das heißt doch, wenn sie die Vase oder den Topf zusammen mit den Blumen verkauft. Alles klar? Ich frage sicherheitshalber zweimal nach. Ja, das sei so. &bdquo;Wir Einzelhändler haben alles für funktionierende Hygienekonzepte getan", sagt Roth und verweist auf ihren 200 Quadratmeter großen Laden, der genug Platz biete. &bdquo;Aber die Busse und Bahnen in den Großstädten fahren?" Bei allen Befragten kursiert das Adjektiv &bdquo;ungerecht". Auch bei Helga Krieft. Die Inhaberin von &bdquo;Andrees" hält sich seit der eingeschränkten Wiedereröffnung dank der Kurzarbeit, einem Tresenverkauf und der Treue ihrer Kundinnen und Kunden über Wasser. Wenn sie an das Sortiment der Discounter oder des großen Drogeriemarktes im Stadtzentrum denkt, kann Krieft nur den Kopf schütteln. Bei ihr sind ganze Verkaufsbereiche wie die Spielzeugabteilung abgesperrt. Und bei der Konkurrenz laufen die Kunden bis vor die Regale, in denen sich bereits im Vor-Ostergeschäft Stoff- und Plastikfiguren und Spiele stapeln. &bdquo;Da fordere ich eine Gleichbehandlung, dann dürften die das auch nicht verkaufen", sagt sie. Die Lockdowns haben Spuren hinterlassen Vier Wochen kompletter Zwangsschließung im Frühjahr und der zweite Komplettlockdown im Dezember haben Spuren hinterlassen. &bdquo;Der Corona-Gewinner ist der Internethandel, der Niedriglöhne und so gut wie keine Steuern zahlt", sagt Krieft, die vier Vollzeit- und drei Teilzeitkräfte beschäftigt, die sich die Kurzarbeit teilen. Auch sie hat ihre Vertriebswege auf alle Internetkanäle ausgeweitet. Doch ihr Online-Shop zeigt nur einen kleinen Teil ihres Sortiments. Immerhin treiben Distanzunterricht und Homeoffice den Absatz von Druckerpatronen und sonstigem Bürozubehör an. &bdquo;Die Kollateralschäden sind immens", befürchtet die Geschäftsfrau, die hofft, nach dem Lockdown Kunden wieder zurückgewinnen zu können. Seinem Ärger über einen unfairen Wettbewerb macht auch Chris Brentrup Luft. &bdquo;Bei Rewe verkaufen sie jetzt auch Kissen und Bettdecken", sagt der Gewerbesteuer zahlende Inhaber des Fachgeschäftes am Alten Markt und Sponsor diverser lokaler Vereine. Für ihn und seine zur Stange haltenden Stammkunden, die noch für Umsatz sorgen, gilt dagegen immer der Umweg über den Bestellmodus. &bdquo;Das Verkaufen ist anders geworden", sagt er. Und beantwortet die nächste Kunden-E-Mail.

Meistgelesen