Dieser Mann ist eine Stunde bei Tönnies und muss dann in Corona-Quarantäne

Harsewinkel. So ganz kann Andrej W.* immer noch nicht verstehen, was ihm in diesen vergangenen zwei Wochen passiert ist, seit er in Harsewinkel landete. Trotz zweier negativer Corona-Tests steckt er in Quarantäne. Und nach Entscheidung der Stadtverwaltung Harsewinkel vom 20. Juni mit ihm zehn Mitbewohner in seiner Wohngemeinschaft in einem Wohnkomplex mitten in der Stadt. Dort herrscht die blanke Verzweiflung. Alle erhalten keinen Lohn mehr und bangen um ihre Arbeitsstellen. Der Moldawier mit rumänischem Pass setzte sich vor zwei Wochen mit einem negativen Coronatest und der Aussicht auf einen Job in Deutschland in der Hauptstadt Chisinau in einen Bus. Ein hiesiger Arbeitsvermittler nahm ihn nach seiner Ankunft und Unterbringung gleich mit zu Tönnies, wo er seine Arbeitspapiere vorlegen sollte. Die eine Stunde und sein Name auf einer Liste werden ihm zum Verhängnis. Nach Verhandlungen ging es "nach Hause" Bei Tönnies haben sie gerade andere Sorgen, nachdem die Reihentestungen Hunderte von Infizierten ergaben. Bis in die Fabrik kommt der Neuankömmling gar nicht. Statt eines Arbeitsvertrages sei er nach besagter Stunde Verhandlung gleich nach Hause geschickt worden. &bdquo;Nach Hause", das ist ein Doppelzimmer, das sich der M. mit einem Bulgaren teilt. Weitere zehn südosteuropäische Arbeitnehmer sind hier in der WG gemeldet, darunter zwei Paare und mehrere Einzelpersonen, die jeweils ein Zimmer mieten. Einer ist derzeit auswärts dauerhaft auf Montage. Küche und zwei Bäder teilen sich die Männer und Frauen. Fast alle arbeiten über einen Subunternehmer bei der Logistikfirma Ingram in Münster als Einpacker. Andrej W. hat zwei Tage nach seinem Tönnies-Kurzbesuch einen neuen Arbeitsvertrag in der Tasche. Bei Besselmann Services landet er als Verpacker in Warendorf. Doch der vermeintlich sichere Job ist von kurzer Dauer. Die Wohngemeinschaft gerät über den Namen von W. ins Visier von Ordnungsamt, DRK und Polizei. &bdquo;Beim ersten Besuch haben wir glaubhaft versichert, dass hier niemand bei Tönnies arbeitet", sagt der Vermieter. Beim zweiten Besuch sei gleich die Polizei in voller Montur mit angerückt. &bdquo;Die haben sich erst unten auf dem Parkplatz Vollschutz angezogen und wollten die Wohnung sehen", erzählt er. Pässe und Meldebescheinigungen wurden abgeglichen. "Wir sind alle negativ" Alle Mitbewohner sind auf das Covid-19-Virus getestet. &bdquo;Wir sind alle negativ", sagt Rita B.*, auch aus Moldawien, die ihren echten Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen möchte. Zu groß ist die Angst vor Diskriminierung. Und die Verzweiflung, jetzt festzusitzen und nichts tun zu können als warten. Die Spannungen unter einander sind spürbar. Auch gegen Andrej W. als Auslöser der Situation, der doch gar nichts dafür könne. Wie das mit dem Einkauf funktionieren soll, weiß die Schicksalsgemeinschaft nicht. &bdquo;Wir können nicht mal selbst den Müll runterbringen oder zur Waschmaschine im Keller gehen", sagt eine andere Mitbewohnerin. Sie kämpft mit den Tränen. "Wenn wir gehen müssen, kommen sofort andere" Denn noch mehr bangen sie alle hier um ihre Zukunft. Lohn von der Leihfirma gibt es in der Quarantänezeit natürlich nicht, wenn sie nicht arbeiten. &bdquo;Wie sollen wir die Miete für den nächsten Monat bezahlen?", fragen sie sich. Alle haben Eltern, Kinder, Enkelkinder in der Heimat, die sie mit ihrem Arbeitslohn mitversorgen, deren Wohnungen bezahlen oder Hypotheken mit horrenden Prozentsätzen bedienen. &bdquo;Ohne unsere Hilfe könnten unsere Familien dort gar nicht leben", deutet die 50-Jährige nur an, unter welchen Bedingungen ihre Angehörigen in der abgehängten ehemaligen Sowjetrepublik klarkommen müssen. Daraus entsteht genau der Druck, den die Subunternehmen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt ausnutzen. &bdquo;Wenn wir gehen müssen, kommen sofort Andere", bringt Rita das Dilemma auf den Punkt. In der vergangenen Woche war das Deutsche Rote Kreuz da und fragte, welche Hilfe sie benötigen. Sie haben sich nicht mal getraut zu sagen, dass ihnen langsam die Lebensmittel ausgehen. &bdquo;Wir wissen ja nicht, ob wir die dann selbst bezahlen müssen", sagt Rita. Am Sonntag erstellten Mitarbeiter des Rathauses schließlich eine Einkaufsliste. Die Hausgemeinschaft ist gespannt, ob sie am heutigen Montag beliefert werden. In der Schicksalsgemeinschaft herrscht Resignation Der Vermieter hat Verständnis für seine Mieter, von denen er für die Zimmer inklusive aller Nebenkosten eine Pro-Kopf-Miete von rund 280 bis 250 Euro pro Monat verlangt. Andererseits will er auch Bürgermeisterin Sabine Amsbeck-Dopheide, die die Quarantäne auferlegt hat, angesichts der Lage im bundesweit als Hotspot definierten Kreis Gütersloh keinen Vorwurf machen. &bdquo;Sie kann in dieser Situation gar nicht anders handeln", sagt er. Er würde sich aber dennoch mehr Dialog mit dem Rathaus wünschen, um den Menschen zu helfen. In der Schicksalsgemeinschaft herrscht derweil Resignation. Vor allem bei Grisha R.*. Der 37-Jährige hat sogar einen Job in Frankfurt in Aussicht, wo er direkt bei einer deutschen Firma angestellt wäre. &bdquo;Ich wollte mich da am Dienstag vorstellen", sagt er. Jetzt klammern sich alle an den Funken Hoffnung, dass die strikten Maßnahmen vielleicht doch schon am 2. Juli aufgehoben werden. Der Vermieter hat schon Kontakt mit den Arbeitgebern aufgenommen. &bdquo;Die sagen, dass sie die zwei Tage überbrücken könnten." Falls nicht? Darauf hat der Makler auch keine Antwort. (* Namen geändert)

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