Tödlicher Tritt im Kreis Gütersloh: Mediziner zeigt schwer ertragbare Fotos vom Opfer

Bielefeld/Halle/Steinhagen. In dem Moment, in dem Maximilian Hagen seine Stimme erhebt, wird es im Gerichtssaal in Bielefeld schlagartig ruhig. Noch ruhiger als es eh schon ist. Mucksmäuschenstill. Kein Räuspern mehr. Kein Hin- oder Her-Rutschen. Kein Tuscheln. Lediglich das Umblättern von Papierseiten wird bei der Befragung als Hintergrundgeräusch noch zu vernehmen sein. Ansonsten füllen für fast zwei Stunden die Stimmen der Richter mit ihren Fragen und des Mediziners mit seinen Antworten den Raum. Zwischenzeitlich, wenn Maximilian Hagen kurz überlegt oder etwas in seinen Akten sucht, ist es gespenstisch still. Totenstill. Maximilian Hagen ist Gerichtsmediziner aus Münster. Er fungiert in der Strafsache gegen einen Unternehmer (47) aus Halle wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge (1 Ks - 446 Js 546/22 - 7/23) als Gutachter. Es ist Tag zwei der Verhandlung, die klären soll, warum Ralf Hollmann (51) am Ende einer Weihnachtsfeier am 18. Dezember 2022 vor dem Lokal Friedrichshöhe in Steinhagen-Amshausen so schwer verletzt wurde, dass er am 1. Januar 2023 seinen schlimmen Verletzungen erlegen ist. Mediziner spricht von massiven Verletzungen Maximilian Hagen beginnt mit deutlicher Stimme zu erzählen. Von seiner ersten Untersuchung des noch lebenden, aber nicht mehr ansprechbaren und beatmeten Patienten Ralf Hollmann am 21. Dezember 2022 sowie von der Obduktion des verstorbenen Patienten Ralf Hollmann am 3. Januar 2023. Der Mediziner aus Münster berichtet im Wesentlichen von zwei Stellen, an denen er bei Ralf Hollmann Verletzungen registriert und untersucht hat. Lesen Sie auch: Großer Andrang zum Prozess-Auftakt - Unternehmer nach tödlichem Tritt vor Gericht Die erste Stelle befindet sich an Hollmanns vorderem rechten Kinn. "Dort hat es Abschürfungen gegeben", sagt Hagen und konkretisiert: "Diese rühren mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einem Tritt her." Hagen hat in diesem Zusammenhang die Schuhe des Angeklagten intensiv unter die Lupe genommen. Er kommt zu dem Schluss, dass der 47-jährige Täter sein Opfer mit seinem "geschnürten Schuh getreten hat. Und zwar hat er ihn in etwa mit der Stelle seines Schuhs getroffen, wo die Schnürsenkel auf der Zunge des Schuhs liegen. Dieses Areal ist dazu geeignet, das Bild der Abschürfungen auf dem Kinn des Opfers zu erklären". Zudem wird ein weiterer Sachverständiger in der kommenden Woche bestätigen, dass es an dem Schuh des Angeklagten einen Lederabrieb gegeben hat und dass dort die DNA von Ralf Hollmann gefunden wurde. Damit scheint klar, dass der Angeklagte sein Opfer mit dem Fuß ans Kinn getreten hat. Berücksichtigt man nun noch die anatomischen Gegebenheiten der Protagonisten, ist wahrscheinlich, dass das Opfer - wie von einem Zeugen bereits beschrieben - in der Hocke kniend getroffen wurde. Wer hat zuerst geschubst oder geschlagen? Der Verteidiger des Angeklagten will vom Gutachter wissen, ob auch ein alternativer Tathergang möglich gewesen sei. "Ist es denkbar, dass Herr Hollmann in einer ersten Situation einen Tritt ans Kinn bekommen hat, sich dann wieder aufrappelt und anschließend in einer fortgesetzten Rangelei - wie andere Zeugen geschildert haben - einen heftigen Stoß auf die Brust erhält und infolgedessen ungebremst nach hinten zu Boden stürzt?" Maximilian Hagen räumt ein: "Theoretisch kann dies möglich sein." Im Unklaren bleibt ferner, was an dem Abend in den Momenten vor der Tat geschehen ist. Wer hat wen angesprochen? Wer hat wen zuerst geschubst oder geschlagen? Wer war sonst noch in das Geschehen involviert? Auch die letzten beiden Zeugen aus der tragischen Nacht, die das Gericht am Mittwoch befragt, können nicht zur weiteren Aufklärung dieses Sachverhaltes beitragen. Nach dem Tritt - so die Version des Gutachters - müsste Ralf Hollmann durch eine "ruckartige Dreh- und Schleuder-Bewegung auf den Rücken gefallen sein, ehe dann sein Kopf auf den Boden aufgeschlagen ist." Durch diese Art des Stürzens sei der Aufprall des Kopfes noch einmal beschleunigt worden. "Die schweren Kopfverletzungen sind das Ergebnis des Aufpralls", sagt der Arzt. Während er sich ziemlich genau auf diesen Ablauf festlegt, bleibt er bei anderen Details vage. Bilder im Gerichtssaal sind nur schwer zu ertragen Die genaue Wucht, mit der der Angeklagte zugetreten habe, könne er nicht weiter klassifizieren. Er gehe aber davon aus, dass das Opfer von vorne frontal am Kinn getroffen worden sei. Generell gelte: Je aufrechter die Körperhaltung des Opfers gewesen war, desto weniger Kraft hätte der Angeklagte aufbringen müssen, um seinen Kontrahenten in dieser Art und Weise zu Fall zu bringen. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Je tiefer Ralf Hollmann am Boden kniete, desto stärker habe der Angeklagte zutreten müssen. Die Verletzungen am Hinterkopf von Ralf Hollmann sind massiv. Der Gutachter spricht von einem "schwersten Schädel-Hirn-Trauma", später von einem "Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades". Die Bilder, die von dem frisch operierten Opfer im Gerichtssaal gezeigt werden, sind nur schwer zu ertragen. Im Bericht hält der Arzt fest: "Schädelbasisbruch, Verschiebung des Gehirns, große Einblutungen und Schwellungen." Er erläutert: "Bei Verletzungen von diesem Ausmaß sprechen wir sofort von lebensgefährlichen Verletzungen. Das Opfer muss spätestens mit dem Aufprall bewusstlos gewesen sein." Geräte werden am 1. Januar 2023 abgeschaltet Und weiter: "Bei diesem umfangreichen Verletzungsbild mit diesen umfangreichen Hirnschädigungen kann man sagen, die Verletzungen waren irreversibel. Herr Hollmann hätte, selbst wenn er überlebt hätte, nur noch sehr bedingt am Leben teilnehmen können. Er hätte sich höchstwahrscheinlich nicht mehr bewegen und nicht reden können." Deshalb steht schon ein paar Tage nach der Not-Operation im Raum, Ralf Hollmann nicht mehr künstlich zu beatmen und seine lebenserhaltenden Geräte abzuschalten. Letztendlich entscheidet eine neutrale Ethik-Kommission über diesen Schritt. Nach eingehender Beratung von Ärzten, Pflegern und Angehörigen sowie einem einstimmigen Ergebnis werden die Geräte am 1. Januar 2023 abgeschaltet. Der Prozess wird am kommenden Dienstag, 22. August, um 9 Uhr fortgesetzt. Dann wird die Witwe von Ralf Hollmann aussagen, außerdem der Sachverständige des LKA.

Meistgelesen