"Wir haben wohl alle ein Helfersyndrom" - zwei Feuerwehrmänner berichten

Halle. &bdquo;Alle fieberten damals auf dieses Datum hin. Endlich 18 – und endlich zur Feuerwehr." Peter Goldbecker lacht, wenn er sich an das Jahr 1987 erinnert. &bdquo;Ich hatte zwei ältere Brüder, Reinhard und Friedhelm, die waren auch beide in der Feuerwehr", sagt der Hörster Löschzugführer. &bdquo;Reinhard Schacht hatte uns geworben, ja, und dann ging’s los. Zusammen mit Jörg Vemmer, Dirk Kemner und Olaf Krause." Niemand von ihnen brachte eine besondere Ausbildung mit. Oder Erfahrungen aus der Jugendfeuerwehr, denn die gab es ja noch gar nicht. &bdquo;Nein, wir wurden einfach mitgenommen", sagt Goldbecker. &bdquo;Die Älteren passten auf uns auf, führten uns an die Aufgaben heran." Leistungsnachweise durch Lehrgänge seien erst im Laufe der Jahre Thema geworden. &bdquo;Das war eine andere Zeit", fügt Goldbecker an und zuckt lächelnd mit den Schultern. "Es gibt Einsätze, die ich nie vergessen werde" Die neue Zeit begann 1995. Damals war Timo Sommer nach Halle gezogen und suchte ein Hobby. &bdquo;Sport ist nicht so mein Ding. Also hatte ich die Wahl zwischen den Pfadfindern und der Feuerwehr." Es wurde die Feuerwehr – und es war der heute 37-Jährige, der die Jugendabteilung gründete. &bdquo;Schon als Kind wollte ich Feuerwehrmann werden, wie viele Jungs halt. Dabei ist es geblieben." Die Feuerwehr Halle ist aufgeteilt in vier Löschzüge – Halle, Hörste, Künsebeck und Kölkebeck. Zusammen macht das etwa 160 Feuerwehrleute, die im Notfall gerufen werden können. &bdquo;Die Meldegeräte, mit denen wir ausgestattet sind, alarmieren nur für die Einsätze des jeweiligen Löschzuges", erklärt Timo Sommer. &bdquo;Anders sieht es bei den Löschzugführern aus: Wir erhalten alle Meldungen", ergänzt Peter Goldbecker. Insgesamt sind das im Schnitt 200 pro Jahr. An Sonn- und Feiertagen, zu jeder Nacht- und Tageszeit. "All das sind fürchterliche Momente" Auf der Fahrt zum Gerätehaus, das immer erste Anlaufstelle ist, kreisen dann die Gedanken. &bdquo;Was erwartet einen am Unfallort oder beim Brand?" Peter Goldbecker holt tief Luft. &bdquo;Da gab es im Laufe der Jahre schon so manchen Einsatz, den ich nie vergessen werde." Verkehrsunfälle mit Toten, bei denen die Feuerwehrleute geholfen haben, die Leichen einzusargen. Ein Großbrand bei einem Freund und Kameraden, dessen Existenz vernichtet wurde. &bdquo;Wir kamen an und er stand vor mir und schüttelte mich: Tu doch was, bitte tu doch was, rief er immer wieder", erinnert sich Peter Goldbecker. &bdquo;Irgendwann kam ich auch mal zu einem Autounfall, bei dem der Fahrer bereits tot war, und ich den Beifahrer, von dem wir nicht wussten, ob er noch lebt, kannte. All das sind fürchterliche Momente." Für Timo Sommer ist es der Brand in der Borgholzhausener Innenstadt, bei dem zwei Menschen ihr Leben verloren, der ihm immer im Gedächtnis bleibt. &bdquo;Wir mussten helfen, die Leichen auf Tragen durch das Fenster zu bergen ..." Der Betriebsleiter einer integrativen Gebäudereinigung schaut einen Augenblick auf den Tisch. &bdquo;Das war wirklich schlimm", sagt er dann. Niemandem geht es ums Geld Nach einer Pause fügt er an, dass Feuerwehrleute offenbar allesamt ein Helfersyndrom haben müssten. Anders ließe es sich nicht erklären, dass sie diese harte Arbeit zu ihrem Hobby erklärt hätten. &bdquo;Die Führungskräfte in der Feuerwehr erhalten eine kleine Aufwandsentschädigung", sagt Peter Goldbecker, &bdquo;wir reden hier über 200 Euro im Monat unabhängig von der Anzahl der Einsätze und allen Büroarbeiten, die mit dem Job verbunden sind." Und Timo Sommer fügt an: &bdquo;Die normalen Feuerwehrleute bekommen nichts. Außer ein warmes Essen bei der Jahreshauptversammlung." Dabei zwinkert er und lächelt. Niemanden geht es dabei ums Geld. Was dieses Ehrenamt ausmacht? Sommer muss nicht lange überlegen: &bdquo;Es ist der Zusammenhalt im Team, dass man sich aufeinander verlassen kann", sagt der Mann, der im Löschzug Halle als Drehleitermaschinist ausgebildet ist. &bdquo;Und eben der Wunsch, anderen Menschen aus der Not zu helfen." Dennoch gibt es manchmal Situationen, die die Geduld der Feuerwehrleute strapaziert. &bdquo;Nach einem Sturm wurden wir gerufen, weil angeblich ein Baum auf der Straße lag", berichtet Peter Goldbecker. &bdquo;Tatsächlich war es ein armdicker Ast, für den es uns nicht gebraucht hätte. Tierrettung gehört auch zu unseren Aufgaben. Wenn allerdings dieselbe Katze alle paar Tage auf einem Baum sitzt und wir sie da runterholen sollen, womöglich noch mit der großen Drehleiter, reden wir mit den Besitzern schon mal ein ernstes Wörtchen." Schließlich haben alle Feuerwehrleute in Halle einen regulären Job – und müssen dort die Arbeit stehen- und liegenlassen, wenn es nur irgendwie möglich ist. Ausfallgeld für den Arbeitgeber, keinen Cent für die Retter &bdquo;Ich bin nun in Bielefeld beschäftigt und bei mir würde es sich nicht lohnen, dass ich nach Halle fahre, um eine Ölspur abzustreuen. Aber sobald es ernster ist, komme ich natürlich", erklärt Timo Sommer. Der Arbeitgeber kann die ausgefallenen Stunden seiner jeweiligen Mitarbeiter bei der Stadtverwaltung geltend machen und bekommt ein Ausfallgeld. Peter Goldbecker, der bei der Post arbeitet, hat ebenfalls einen sehr kulanten Arbeitgeber. &bdquo;Wenn wir Nachteinsätze hatten, kann es schon mal vorkommen, dass ich mich für den Tag abmelde. Aber das kennen die Kollegen und akzeptieren das auch."Und was ist mit alle den schrecklichen Bildern, die die Ehrenamtlichen nach ihren Einsätzen im Kopf haben? &bdquo;Da gibt es zum einen das gemeinsame Bier am Gerätehaus, wenn alles erledigt ist. Wir stehen zusammen, reden ... das tut gut", sagt Timo Sommer. &bdquo;Und dann gibt es noch die PSU. Das Team der Psychologisch-Sozialen Unterstützung", fügt Peter Goldbecker an. &bdquo;Ein Team bestehend aus Seelsorgern und Psychologen, extra geschult, die uns bei Bedarf zur Seite stehen." Beim Verabschieden erinnert sich der 50-Jährige noch einmal an den Wintertag, als er gemeinsam mit seinem Schwager die Leiche von Nelli Graf gefunden hatte. In einem Waldstück an einem Acker im Künsebeck. Auch diese Bilder wird der Familienvater niemals vergessen. Aber deshalb dieses spezielle Hobby wechseln, jenes besondere Ehrenamt? &bdquo;Niemals", versichern beide.

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