„Wovor hat man denn Angst?“

Größte aramäische Gemeinde Deutschlands kämpft in Gütersloh für bundesweit neues Abi-Fach

Mit 12.000 Mitgliedern ist die Gütersloher Gemeinde die größte ihrer Art in Deutschland. Ein Gymnasium soll daher Dreh- und Angelpunkt eines neuen Abiturfachs werden.

Pfarrer Isa Acar (re.) von der St. Lukas Gemeinde unterrichtet syrisch-orthodoxe Religionslehre. Hier ein Bild von seiner Dekanweihe 2024 in der katholischen Kirche St. Pankratius mit Erzbischof Philoxenus Mattias Nayis (mitte). | © sport/presse/foto Dünhölter

Jeanette Salzmann
04.07.2025 | 04.07.2025, 16:18

Gütersloh. Mehr als ein Jahr hat Erzbischof Philoxenus Mattias Nayis auf eine Antwort aus dem Bildungsministerium gewartet. Am 8. April kam sie dann per Post in das Warburger Kloster St. Jakob, dem Sitz der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland. Es ist eine Absage von NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller. Und zwar eine deutliche.

Kurz und mittelfristig sei das Ansinnen der Kirche nicht möglich, auch nicht als Schulversuch. Die christliche aramäische Gemeinde ist enttäuscht, zutiefst frustriert, in Wahrheit wohl auch verärgert. Sie hält sich nach Bekanntwerden dennoch bedeckt, denn das Thema hat nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische Dimension: Ziel ist es, die syrisch-orthodoxe Religionslehre als Abiturfach in NRW zu etablieren.

Gestartet werden soll - so der Wunsch - die Maßnahme zunächst in Gütersloh - die Stadt mit der größten aramäischen Gemeinschaft in Deutschland. Rund 12.000 syrisch-orthodoxe Aramäer leben in Gütersloh und Umgebung.

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„Wovor hat man denn Angst? Wir sind eine Kirche und keine Sekte“

Seit mehreren Jahren schon laufen die Bestrebungen, am Städtischen Gymnasium ein neues Schulfach in der Oberstufe einzuführen. Andere Schulen reihum könnten kooperieren und sich an dem Projekt beteiligen. „Von Klasse eins bis zehn ist es gestattet, syrisch-orthodoxe Religionslehre zu unterrichten. Dann folgt der Bruch“, erklärt Augin Yalcin vom Syrisch-Orthodoxen Kirchenkreis NRW.

In der Oberstufe ist das Fach nicht mehr präsent, kann nicht gewählt werden. Aramäische Schülerinnen und Schüler müssen sich, wollen sie weiter an Religionslehre in der Oberstufe teilnehmen, für evangelischen oder katholischen Unterricht entscheiden. Traditionell wird der katholische Religionsunterricht gewählt, weil er dem syrisch-orthodoxen am nächsten steht.

„Aber warum können wir den Unterricht nicht durchgängig bis zum Abitur anbieten?“ Augin Yalcin hat für die Ablehnung des Ministeriums wenig Verständnis. „Es sind ausreichend Lehrkräfte vorhanden, wovor hat man denn Angst? Wir sind eine Kirche öffentlichen Rechts und keine Sekte.“

Beim Gütersloher Gymnasium ist Wunsch der Gemeinde bekannt

Yalcin hat syrisch-orthodoxe Religion studiert. An deutschen Universitäten geht das nicht, weil es kein Studienfach dafür gibt. Gerne würde man das Fach als offizielles Lehrfach etablieren, möchte die Universität Paderborn für eine Zusammenarbeit gewinnen. Damit wäre die Ausbildung geeigneter Fachlehrer für die Zukunft gewährleistet.

Britta Jünemann ist stellvertretende Schulleiterin am Städtischen Gymnasium. Der Wunsch der Gemeinde ist ihr bekannt. - © Ludger Osterkamp
Britta Jünemann ist stellvertretende Schulleiterin am Städtischen Gymnasium. Der Wunsch der Gemeinde ist ihr bekannt. | © Ludger Osterkamp

Seit 25 Jahren unterrichtet Augin Yalcin das Fach an Schulen im Kreis Gütersloh, seit 20 Jahren ist er Beauftragter für Religionsunterricht und Religionspädagigik. „Unsere Schülerzahlen wachsen, die Nachfrage der Eltern ist sehr groß“, weshalb Bischof Philoxenus Mattias Nayis das Thema voranbringen möchte. Trotz Absage wollen die hiesigen aramäischen Gemeinden weiter überzeugen.

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„Ich weiß, dass die syrisch-orthodoxe Gemeinde diesen Wunsch hat“, sagt Britta Jünemann, stellvertretende Schulleiterin des Städtischen Gymnasiums. Erst vor wenigen Wochen habe es eine erneute Anfrage dazu gegeben.

Städtisches Gymnasium verweist auf Entscheidung des Ministeriums

„Aber wir sind die falschen Ansprechpartner“, die Entscheidung, so Jünemann, treffe das Ministerium, nicht die Schule. In der Sekundarstufe I gebe es sogenannte Bestellungsverträge - auch mit der syrisch-orthodoxen Gemeinde. Der Unterricht werde gestaltet von den jeweiligen Pfarrern oder anderweitig ausgebildeten Personen. Die Vorgaben seien weniger hart als in der Oberstufe.

1.500 Schüler zählt das Städtische Gymnasium derzeit. „Davon sind 140 bis 150 syrisch-orthodox“, sagt Britta Jünemann. Es ist die größte Gruppe neben evangelischen und katholischen Schülern, weshalb der Religionsunterricht parallel bis zum Abschluss der Klasse 10 angeboten werde. Dazu bestehe die Möglichkeit, das Fach „Praktische Philosophie„zu wählen.

„Wir sind offen dafür, die syrisch-orthodoxe Religionslehre auch in der Oberstufe anzubieten“, allerdings seien die Voraussetzungen bislang nicht gegeben. Erst müsse ein entsprechendes Studienfach an den Unis eingerichtet werden, um die Lehrkräfte überhaupt ausbilden zu können. Und dann steht die Frage im Raum: Wird es dauerhaft genügend Lehrer dafür geben? Jünemann hat Zweifel.

Es fehlt offenbar unter anderem an entsprechenden Lehrkräften

Das Schulministerium auch. Es begegne dem Anliegen der aramäischen Gemeinde in Gütersloh mit großem Respekt und Verständnis, wie ein Sprecher mitteilt. Für die Einführung eines neuen Abiturfachs seien mehrere grundlegende Voraussetzungen erforderlich: „Es muss ein ausreichend großer Bedarf bestehen, ein verbindlicher Lehrplan vorliegen und eine ausreichende Anzahl qualifizierter Lehrkräfte verfügbar sein. Diese Voraussetzungen sind im Fall der syrisch-orthodoxen Religionslehre nicht erfüllt.“

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Auf die Frage, wann zuletzt ein neues Abiturfach eingerichtet wurde, heißt es aus dem Ministerium, dass für Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens der islamische Religionsunterricht ab dem Schuljahr 2016/2017 für die gymnasiale Oberstufe der Gymnasien/Gesamtschulen schrittweise eingeführt wurde.

Das Fach „Orthodoxe Religionslehre“ kann seit 2016 als Fach von Schulen mit gymnasialer Oberstufe angeboten werden - was jedoch aktuell an nur einem Gymnasium im Regierungsbezirk Düsseldorf tatsächlich erfolgt.

Aufgeben kommt für die Gemeinde nicht infrage

Alternativ hatte die aramäische Gemeinde darauf gedrungen, einen Schulversuch zu starten. Aber auch dieser wird vom Ministerium rundheraus abgelehnt, er sei derzeit nicht möglich. Zum einen stehe aktuell keine ausreichende Zahl grundständig ausgebildeter Lehrkräfte zur Verfügung, zum anderen fehle es an einer genügend großen Gruppe von Schülern.

Aufgeben ist für Augin Yalcin keine Option. „Wir werden weiter daran arbeiten, dass die Voraussetzungen erfüllt sind.“