Hitziger Streit in Gütersloh: Populistisches Getöse eröffnet den Wahlkampf

Gütersloh. Nein, die Diskussion im Sozialausschuss über die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete war keine Sternstunde des Parlamentarismus. Verhärtete Fronten führten zu einer Entscheidung, die nun die Verwaltung ausbaden muss. Dabei hatte Henning Matthes als Erster Beigeordneter dringend, geradezu flehentlich vor der Einführung der Karte gewarnt: Sie sei technisch nicht ausgereift und verursache einen Mehraufwand an Arbeit für die ohnehin überlastete Verwaltung. Wegen mangelnder Rechtssicherheit erwartet Matthes zudem Klagen, die die Behörde zusätzlich lähmen. Mehrmals betonte Matthes, dass es ihm nicht um politische Argumentation gehe, sondern um &bdquo;objektive Gründe“ gegen die Bezahlkarte. Doch diese erreichten die Fraktionen von CDU, BfGT, FDP nicht. Sie stellten Ideologie über Fakten. Mit populistischem Getöse wurde am Donnerstag der Kommunalwahlkampf eröffnet. Er lässt für die kommenden Wochen bis zum 14. September nichts Gutes erahnen. Pull-Faktor sei als Theorie veraltet, so die Migrationsforschung Vor allem zwei Gründe sprechen aus Sicht der Befürworter für eine Bezahlkarte: Sie soll Missbrauch, also das Überweisen von Geld in die Heimat, verhindern. Doch es genügt der gesunde Menschenverstand, um zu erkennen, dass von einem Höchstsatz von 441 Euro am Ende des Monats nur wenig Geld übrig bleibt, um einen Schlepper nach überstandener Flucht zu einem auskömmlichen Leben zu verhelfen oder die Familie in der Heimat zu unterstützen. Lesen Sie auch: Erste Geflüchtete in OWL erhalten die Bezahlkarte – so geht es weiter Auch der &bdquo;Pull-Faktor“ wurde als Argument bemüht. Dabei ist sich die Migrationsforschung längst einig, dass diese Theorie aus den 1960er-Jahren veraltet ist und ohnehin nie zutraf, weil sie unterschlägt, dass viele individuelle Punkte eine Rolle spielen, warum sich Geflüchtete für ein bestimmtes Land entscheiden. Dass die Bezahlkarte dennoch eine abschreckende Wirkung hat, davon schrieb die &bdquo;Bayerische Staatszeitung“ Ende Mai. So sei nach der flächendeckenden Einführung der Karte in Bayern die Zahl der freiwilligen Ausreisen zwischen Juli und Dezember 2024 um 30 Prozent in die Höhe geschnellt. Ob und inwiefern tatsächlich ein Zusammenhang besteht, ist unklar. Gift des Populismus ist tief in gesamtgesellschaftliche Diskussion eingedrungen Vielleicht hat das Phänomen auch mit der diskriminierenden Wirkung der Bezahlkarte zu tun, die SPD und Grüne in ihr erkennen. So oder so wäre das Ziel aus Sicht der Befürworter erreicht. Fragt sich nur, ob sich das mit dem Menschenbild einer offenen und mitfühlenden Gesellschaft verträgt. Das wäre ein Punkt, über den sich zu diskutieren lohnte. Tatsächlich ist aber das Gift des Populismus mittlerweile so tief in die gesamtgesellschaftliche Diskussion eingedrungen, dass man sich nicht wundern muss, dass es sich auch am Donnerstag in mancher politischen Bemerkung wiederfand. Der Antrag von CDU, BfGT und FDP war zudem völlig unnötig. Es hätte genügt, den Antrag von SPD/Grüne abzulehnen, dann wäre die Bezahlkarte automatisch bis zum 1. Januar 2026 eingeführt worden. Nein, man wollte ein politisches Statement setzen. Zur Verhärtung der Fronten trug wohl auch der Vorwurf von Gitte Trostmann (Grüne) bei, CDU, BfGT und FDP würden die Brandmauer zur AfD einreißen. Tatsächlich hatten die drei Fraktionen im Sozialausschuss eine eigene Mehrheit. Die ist aber nicht mehr für die Ratssitzung am 4. Juli gegeben. Besteht noch Hoffnung auf einen vernünftigen Umgang mit dem Thema? Geht man davon aus, dass Bürgermeister Matthias Trepper nicht gegen seine Verwaltung und seine Partei, die SPD, stimmen wird, herrscht mit jeweils 26 Stimmen eine Pattsituation. Dann hängt es nicht nur von den fraktionslosen Manfred Reese (Linke) und Peter Kalley ab, welche Seite die Mehrheit erhält. Dann könnte tatsächlich die AfD das Zünglein an der Waage sein. Lesen Sie auch: Bezahlkarte für Geflüchtete beschlossen: Wie funktioniert sie? Will ausgerechnet die CDU das Wahldesaster mit der AfD im Bundestag nun auf Gütersloher Kommunalebene ohne Not wiederholen? Oder besteht bei der sonst so praktisch orientierten Fraktion noch Hoffnung auf einen sachgemäßen Umgang gerade mit diesem sensiblen Thema? Die Bürgerinnen und Bürger werden es am 4. Juli erfahren.

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