Gütersloh wird 200 Jahre alt - aber es mangelt an Zukunftsvisionen

Erster Platz für Etteln, zweiter Platz für Hongkong: Das Dorf nahe Paderborn hat die Weltstadt am südchinesischen Meer abgehängt – zumindest bei der Digitalisierung. Das 1.750-Einwohner-Dorf hat vor einigen Monaten den globalen Smart-City-Wettbewerb gewonnen. In Etteln funktioniert das, was alle wollen: die bürgernahe Vernetzung und der alltagstaugliche Einsatz moderner Technik. Ettelns Ortsvorsteher und Macher des digitalen Wandels, Ulrich Ahle, sagt: &bdquo;Wir sind das digitalste Dorf Deutschlands.“ Und er hat noch viel vor. Ein Hochwasserfrühwarnsystem soll aufgebaut werden. Noch in diesem Jahr soll das erste Kabinenfahrzeug des Vereins &bdquo;Neue Mobilität Paderborn“ in Etteln fahren, als Vorstufe zum autonomen Fahrgasttransport. Die Ettelner Feuerwehr wird in Kürze eine Drohne nutzen können, die rund ums Dorf zu Einsätzen fliegt, während die Helfer noch auf der Anfahrt sind. Sie könne schnelle Lagebilder liefern. Lesen Sie auch: Trotz Spardruck: Gütersloher Stadtjubiläum sollte jetzt erst recht gefeiert werden! Und: &bdquo;Etteln wird zum Testfeld für die Deutsche Energie-Agentur und unsere Partner Westfalenwind Strom und Westfalen Weser“, verkündet Ahle. So könne der Strompreis in Zeiten von Sonnenschein und/oder Wind deutlich sinken. Der Welt-Digitalisierungs-Preis macht nun nicht nur die Ettelner mächtig stolz, auch die Landesregierung ist voll des Lobes. Etteln feiert in sechs Jahren Geburtstag und wird 1.000 Jahre alt. Keine Visionen für die Stadt Gütersloh Nun ist Etteln nicht mit Gütersloh vergleichbar, aber das Beispiel zeigt, was möglich ist, wenn eine Kommune eine Vision entwickelt. Und die braucht es. Warum? Es geht um den gewünschten Zustand in der Zukunft. Die Vision ist der positive Einfluss auf die Gesellschaft. Es ist die Beschreibung eines emotionalen Zielzustandes, dem sich das operative Handeln unterzuordnen hat. &bdquo;Welche Vision haben Sie für Gütersloh?“ Keine. Der letzte Wahlkampf ums Bürgermeisteramt war nicht geprägt durch den konsequenten Blick nach vorn, eher durch den Schulterblick auf den Amtsvorgänger. Der Wahlkampf davor auch. &bdquo;Besser sein als der Vorgänger“ lautete die unausgesprochene Devise. Kitten, was zu kitten ist, weil viel Porzellan zerschlagen wurde. Und so entwickelt sich die Zukunft von Gütersloh nicht auf Basis einer Vision, sondern durch Abarbeiten von Dingen, die in der Warteschleife liegen oder notwendig sind. Das ist ausreichend und völlig okay, aber man darf dafür keine Begeisterung erwarten. Und gemessen an dem Entwicklungsstillstand der vergangenen drei Jahre aufgrund der Auseinandersetzungen mit der Rathausspitze können die Gütersloher gar froh sein, dass alles wieder zu funktionieren scheint. Wer brennt an der Rathausspitze für welches Thema? Doch die Frage bleibt: Wo will Gütersloh hin? Wollen wir Leuchtturmprojekte, und wenn ja, welche? Wer brennt an der Rathausspitze für welches Thema und schafft es, andere dafür zu begeistern? Lassen wir die Dinge in den nächsten Jahren geschehen oder streben wir ein konkretes Zukunftsziel an, das Gemeinsinn schafft? Diese Frage gilt es zu beantworten, wenn die Stadt an Profil gewinnen will. Lesen Sie auch: Livestream: Großer Festakt zum Gütersloher Stadtjubiläum am Sonntag Nun kreist an diesem Wochenende erstmal das Sektglas. 200 Jahre Gütersloh ist eine Wegmarke. Die Stadt darf sich feiern – trotz aller Schwierigkeiten, die dem Jubiläumsjahr vorausgegangen sind. Es wird anders als zunächst geplant keinen Festumzug durch die Stadt geben, keine Sondervorführung im Theater, keine Bühne mit namhaften Künstlern. Es gibt eine unaufdringliche Langenachtderkunst und einen soliden Festakt mit Grußworten, Unterschriften und Festtagstorte in der Stadthalle. Alles kommt etwas leiser daher als gedacht – dafür harmonisch. Und wie gut eine Party wird, liegt bekanntlich immer an den Gästen. 1.000 werden vor Ort ihr Glas heben und sagen: Prosit Gütersloh! Die Sorgen bleiben draußen. Die Visionen dürfen mit rein.

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