Fahrradfahrerin stürzt in der Gütersloher Innenstadt: Stadt verweigert Schadenersatz

Gütersloh. Bei 20 Grad und Frühsommer diese Warnung auszusprechen, ist etwas sonderbar, aber: Der nächste Winter kommt bestimmt - und damit die Gefahr von Glatteis. Und wie die Stadt Gütersloh jetzt in einem Schreiben an ein Unfallopfer deutlich macht, orientiert sie sich bei ihrer Räum- und Streupflicht vornehmlich an den Bedürfnissen des Autofahrers. Wer hingegen als Radfahrer verunglückt und dadurch etwa berufliche Nachteile erleidet, könnte Pech haben. Anlass der Klarstellung ist ein Unfall, der am 5. Februar passierte. Wettermäßig war das kein gewöhnlicher Tag. Es war kalt, in der Nacht setzte Regen ein. Die Folge: Blitzeis, Unfälle, Stürze. Die Unfallaufnahme der Polizei kam kaum hinterher, und allein die Notfallambulanz des Klinikums verzeichnete an jenem Tag 100 Glatteis-Opfer. Dass solche Sonderlagen für Einzelne folgenreich sein können, dass sie auch juristisch schwierige Fragen aufwerfen, zeigt sich nun an dem Fall einer 60-jährigen Gütersloherin. Gütersloherin nach Unfall mehrere Wochen arbeitsunfähig Die Frau war mit dem Fahrrad auf der Friedrichstraße nahe Dreiecksplatz gestürzt und hatte sich am Ellenbogen verletzt. Ein Knochen platzte ab, eine Operation war nötig. Mehrere Wochen war sie arbeitsunfähig. Weil sie Lehrerin ist und der Sturz auf dem Weg zur Schule passierte, war dieser Teil ihres Erwerbslebens gut geregelt und versichert. Zudem ist sie aber auch selbstständig. Damit begannen die Probleme. Lesen Sie auch: Nach Horrorsturz – so kämpft sich diese Frau aus dem Kreis Gütersloh zurück Die Frau verzeichnete Verdienstausfall. Für ihre Werkstatt, in der sie kostenpflichtige Kurse anbietet, musste sie fest gebuchte Termine absagen. Eine Auflistung ergab, dass ihr dadurch 3.071 Euro verloren gingen. Die Stadt müsse ihr diesen Schaden ersetzen, weil sie ihrer Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen sei. Zudem forderte die Frau &bdquo;ein angemessenes Schmerzensgeld“. Die Stadt lehnt das ab. In einem Schreiben, das der Fachbereich Recht dieser Tage an das Unfallopfer schickte, vertritt die Stadt die Auffassung, sie sei ihrer Streupflicht ausreichend nachgekommen. Aufgrund der akuten Wetterlage sei es unmöglich gewesen, alle Flächen durchgehend eisfrei zu halten. Sie beruft sich auf Fälle bisheriger Rechtsprechung. Lesen Sie auch: Schnee im Kreis Gütersloh: Mehr als 90 Glätte-Unfälle – drei Personen schwer verletzt Blitzeis auf Höhe der Kneipenmeile in Gütersloh So habe das Landgericht Aachen im Juni 1990 geurteilt, dass bei Glatteis keine Sicherungspflicht für den Fahrzeugverkehr in der Nacht und für &bdquo;einen besonderen Berufsverkehr“ morgens um 5 oder 6 Uhr bestehe. &bdquo;Vielmehr müssen die Streuarbeiten morgens erst so rechtzeitig einsetzen, dass der vor dem allgemeinen Tagesverkehr liegende Hauptberufsverkehr geschützt wird. Das ist in der Regel erst zwischen 7 und 8 Uhr morgens.“ In genau diesem Zeitraum aber, um 7.35 Uhr, war die Gütersloherin gestürzt. Sie sei nicht die einzige gewesen. Sie sei auf ihrem Arbeitsweg ohne irgendwelche Schwierigkeiten bis zur Höhe der Kneipenmeile gelangt, habe aber dann gesehen, dass etliche Schüler wegrutschten und stürzten. &bdquo;Im selben Moment passierte es mir auch.“ Sie sei keineswegs schnell, sondern langsam unterwegs gewesen. Zwei junge Männer, die sich selbst kaum auf den Beinen hätten halten können, halfen ihr hoch und ermöglichten ihr, zu einer weniger vereisten Stelle und somit weiter zu einem Arzt zu gelangen. Stadt Gütersloh sieht sich dafür nicht verantwortlich Die Stadt bedauert den Sturz, sieht sich aber nicht dafür verantwortlich. Sie verweist auf ein Urteil des Oberlandesgerichtes München von November 2012 (1 U 3782/12), wonach &bdquo;sich die Anforderungen an die Räum- und Streupflicht auf Fahrbahnen an der Nutzung durch Kraftfahrzeuge und nicht an der besonderen Sturzgefahr von Radfahrern orientieren.“ Ansonsten, so heißt es weiter, &bdquo;müssten alle Fahrbahnen gestreut werden, an denen Radler erfahrungsgemäß ein- oder abbiegen oder die Richtung mehr oder weniger stark wechseln, da jede Kurve bei winterlichen Verhältnissen für einen Fahrradfahrer ein deutlich erhöhtes Sturzrisiko mit sich bringt. Derart weitgehende Anforderungen an die Räum- und Streupflicht stellt die Rechtsprechung zweifelsfrei nicht.“ Die Stadt bestätigt, dass die Friedrichstraße zum Unfallzeitpunkt nicht gestreut war. Das sei erst in der Zeit zwischen 8.10 und 8.34 Uhr passiert. Dennoch liege keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor. &bdquo;Der Winterdienst kann und muss nach ständiger Rechtsprechung nicht gewährleisten, dass jede glättebedingte Gefahr beim Benutzen öffentlicher Verkehrsflächen beseitigt ist.“ Es obliege den Verkehrsteilnehmern selbst, sich entsprechend auszurüsten und vorsichtig zu verhalten. Hat die Gütersloherin sich nicht auf Eisglätte eingestellt? &bdquo;Wenn ein Weg erkennbar weder von Schnee geräumt noch mit abstumpfenden Mitteln bestreut ist, besteht Anlass zu gesteigerter Vorsicht. Kommt es dennoch zum Sturz, so spricht dies regelmäßig für mangelnde Sorgfalt und ein erhebliches Mitverschulden an den Sturzfolgen.“ Genau das hält die Stadt der 60-Jährigen vor. Sie habe sich &bdquo;offensichtlich nicht auf die extreme Eisglätte eingestellt und sei entsprechend vorsichtig und langsam gefahren.“ Und das, obwohl im Radio bereits vor der Glätte gewarnt worden sei. Kurz nach Einsetzen des Regens um 4.15 Uhr nachts sei der städtische Streudienst im Volleinsatz unterwegs gewesen. Im Lokalradio sei bereits am frühen Morgen mehrfach vor dem Glatteis gewarnt worden. Gütersloherin beschwert sich: &bdquo;Das ist dreist“ Die 60-Jährige hält der Stadt dennoch vor, die Lage falsch eingeschätzt und eine Gefahrenabwehr versäumt zu haben. Die Friedrichstraße sei ein Schulweg für die Berufsschulen, die Anne-Frank-Schule, die Altstadtschule, die Elly-Heuss-Knapp-Schule, das Städtische Gymnasium, das Evangelisch Stiftische Gymnasium. &bdquo;Das ist meiner Ansicht nach mit Priorität zu behandeln.“ Sie habe eigentlich darauf vertrauen dürfen, dass um jene Uhrzeit die Stadt ihrer Streupflicht nachgekommen sei – so, wie es auch von jedem Bürger verlangt werde, bis 7 Uhr öffentliche Wege und Zugänge zum Grundstück eisfrei zu machen. Arrogant finde sie den Vorwurf, sich entgegen dem gesunden Menschenverstand absichtlich den Unfallgefahren ausgesetzt zu haben. &bdquo;Das ist dreist und würde Autofahrern gegenüber niemals geäußert werden.“ Außerdem: Niemand könne gezwungen werden, morgens Radio Gütersloh zu hören. Man müsse noch nicht mal ein Radio besitzen.

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