Unterwegs auf Güterslohs schwierigstem Pflaster – Kampf um Sicherheit und Integration

Gütersloh. Etwa 3.500 Bewohner. Viele Nationen. Viel Migration. Der Gütersloher Ortsteil Blankenhagen hat im Laufe seiner Zeit viele Veränderungen durchmachen müssen. Einige davon habe ich als junger Blankenhagener mit Migrationshintergrund selbst miterlebt, von anderen Entwicklungen hingegen weiß ich nichts. Ich bin sechzehn Jahre alt, wohne seit vierzehn Jahren in Blankenhagen und weiß nicht, wie die alteingesessenen Bürger auf ihren Ortsteil blicken. Zwei erfahrene Bürger sind bereit, mit mir einen Streifzug durch Blankenhagen zu machen. Reinhard Welpmann (77) und Fritz Stegen (80), beides bekannte Blankenhagener Gesichter, haben mich zu einer Fahrradtour eingeladen, um all die Punkte abzufahren, die damals wie heute von vielen Bürgern kritisch gesehen werden. Auch interessant: Sohn von Ex-Werkvertragsarbeiter gibt in Gütersloh Einblicke ins Auswanderer-Leben &bdquo;In Blankenhagen war der Wohnraum immer schon etwas preiswerter. Das lag am Fluglärm“, erklärt mir Reinhard Welpmann. Kampfjets sind direkt über Blankenhagen auf den damaligen Flughafen der Britischen Armee gesteuert. &bdquo;Lärmflugzone 1“, nennt Welpmann das, die Bürger haben damals sogar Geld für bessere Fenster bekommen. Reinhard Welpmann ist Mitglied des Bürgervereins Blankenhagen und Landwirt. Er wohnt sein ganzes Leben in diesem Stadtteil. Ich hatte vor unserem Treffen weder Berührungspunkte mit dem Verein, noch wusste ich, welche Aufgaben er übernimmt. Vermutlich geht es hier vielen jungen Menschen ähnlich. &bdquo;Vielfalt ist im Verein kaum vertreten“, erklärt der 77-Jährige. Zu wenig Mitglieder - Kirche musste schließen Fritz Stegen war 35 Jahre lang Pfarrer der Jakobus-Gemeinde in Blankenhagen. Er kam 1974 in den Stadtteil. &bdquo;Ich wollte in eine Gemeinde kommen, die noch nicht zu Ende gegründet ist. Blankenhagen war dafür perfekt“, erzählt der 80-Jährige. Damals sei der Stadtteil stark evangelisch geprägt gewesen. &bdquo;Als ich kam, gab es 2.000 Gemeindemitglieder. Die Prognosen sagten ein Wachstum auf 4.000 voraus.“ Es kam aber wohl ganz anders. Mit dem Zuzug, vor allem von Russlanddeutschen und Ost-Europäern, habe sich die religiöse Mehrheit von Protestanten zu Katholiken geändert. Die Kirche musste 2007 schließen, weil sie zu wenig Mitglieder zählte. &bdquo;Viele Bürger haben damals mit Wut reagiert“, erinnert sich Stegen. In meiner Erinnerung war die Jakobuskirche schon mein ganzes Leben in Blankenhagen geschlossen. Anders kannte ich sie nie. Wir kommen an der Leipziger Straße vorbei. Hier gab es früher einen Imbiss, eine Postfiliale, eine Polizeistelle, eine Gaststätte und eine Fahrschule. Orte, an die ich mich nur zum Teil erinnern kann. Heute stehen all diese Räume leer. Gleich daneben befindet sich eines der vielen Hochhäuser. Es ist vielleicht das Bekannteste in Blankenhagen, weil dort viele Jahre lang Werkvertragsarbeiter des Schlachthofs Tönnies untergebracht waren. Inzwischen ist das Gebäude renoviert und steht zum Verkauf. Viele Geschäfte im Gütersloher Ortsteil musste schließen Wir fahren entlang des Langertswegs weiter. Auch dort befanden sich früher zahlreiche Einrichtungen. &bdquo;Eine Hausarztpraxis, eine Apotheke, die Volksbank, die Sparkasse, ein Bäcker, ein Friseur und auch ein Supermarkt“, zählt Reinhard Welpmann auf. Mittlerweile lässt sich davon nichts mehr finden. Nachdem der Hausarzt 2007 in den Ruhestand ging, wurde die Praxis geschlossen. Die Apotheke versuchte, sich über Wasser zu halten und einen neuen Arzt für den Stadtteil zu gewinnen. Doch letztlich musste auch sie 2014 schließen. Zwischenzeitlich übernahm die Apotheke auch die Postdienste, als Blankenhagen keine eigene Filiale hatte. Die leer stehende Praxis wurde später zur Wohnung. Mir selbst ist das Haus am Langertsweg noch sehr vertraut. Eine Zeit lang habe ich dort gemeinsam mit meiner Familie gelebt. Während unseres Streifzugs passieren wir zahlreiche Hochhäuser. Viele davon wurden ursprünglich als sogenannte Britenhäuser gebaut. &bdquo;Es gibt 224 davon in Blankenhagen“, weiß Reinhard Welpmann. Später zogen Spanier, Griechen und Türken dort ein, als die britischen Soldaten die Wohnungen nicht mehr benötigten. Wir kommen an der Hofbrede vorbei. &bdquo;Hier wurden damals die ersten Hochhäuser in Blankenhagen gebaut“, erzählt mir Reinhard Welpmann. Schon damals waren sie umstritten, denn sie passten nicht ins kleinbäuerlich strukturierte Blankenhagen. Welpmann selbst findet: &bdquo;Das war von Anfang an eine Fehlplanung.“ Stadtteil in Gütersloh ist familienfreundlich und ruhig Wir treffen Bronislawa Szostecka. Die gebürtige Polin lebt seit 2007 in Blankenhagen und führt seit zwei Jahren die kleine Postfiliale am Langwertsweg. Sie ist untergebracht in der Kirche der Alevitischen Gemeinde. Begeistert berichtet sie mir von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen im Stadtteil. &bdquo;Die Leute kommen nicht nur, um hier die Post abzugeben, sondern um ihre Lebensgeschichte zu erzählen“, Szostecka ist eine Anlaufstelle für alle Lebenslagen. Kaum jemand weiß besser Bescheid als sie vor Ort. &bdquo;Ich habe noch keinen schlechten Menschen hier gefunden. Ich suche aber auch nicht. Wir vertragen uns alle“, erklärt Szostecka mit fröhlicher Stimme. Nationalität und Alter spielen bei ihr keine Rolle. Der Stadtteil sei besonders familienfreundlich und ruhig. Die zahlreichen Kindereinrichtungen und die Nähe zur Natur sind für sie das entscheidendste. Auch mit den Bus- und Fahrradverbindungen zeigt sie sich zufrieden. &bdquo;Aber wir haben 20 Jahre auf den neuen Radweg an der Brockhagener Straße gewartet.“ Lesen Sie auch: Die schönsten Fahrradtouren im Kreis Gütersloh – der große Überblick Durch ihre offenen Gespräche mit den Kunden weiß sie, was den Blankenhagenern auf dem Herzen liegt. Die fehlenden ärztlichen Einrichtungen sind nach wie vor ein zentrales Thema. Auch Szostecka ist das ein Anliegen. Ihren Alltag mit einem beeinträchtigten Kind und der Arbeit in der Poststelle empfindet sie als herausfordernd. Sechs Autos wurden 2024 angezündet Besonders dann, wenn sie für einen Arztbesuch bis in die Innenstadt fahren muss. &bdquo;Wenigstens zwei oder drei Tage in der Woche wäre ein Arzt hier vor Ort eine wichtige Hilfe für die alten und kranken Menschen“, erklärt sie mir. Warum will sich kein Arzt in Blankenhagen niederlassen, will ich von meinen drei Gesprächspartnern wissen. Mal sei es der Platzmangel, mal fehle die Attraktivität, heißt es. &bdquo;Wir haben in Blankenhagen 30 bis 40 Prozent Sozialhilfeempfänger“, erklärt Fritz Stegen. &bdquo;Privatpatienten gibt es hier herzlich wenige.“ &bdquo;Keiner interessiert sich für Blankenhagen“, sagt Szostecka. Sie bedauert, dass die Polizei vor einigen Jahren von Blankenhagen nach Isselhorst gezogen ist. Zwar sei es grundsätzlich friedlich, doch im vergangenen Jahr sind sechs Autos angezündet worden. Das hätte bei vielen ein Gefühl der Unsicherheit hinterlassen. &bdquo;Einen Polizeiwagen habe ich nach dem Auszug aus der Wache hier nur noch ein einziges Mal in all den Jahren gesehen“, erklärt mir Bronislawa Szostecka. Und dann spricht sie etwas aus, wo ich ihr uneingeschränkt recht gebe: &bdquo;Die Jugendlichen haben keinen eigenen Platz hier in Blankenhagen. Das fehlt.“ Die Gespräche zeigen mir, dass jeder meiner Gesprächspartner Migration nicht als Verhängnis sieht, sondern als Bereicherung. Doch die Wahlergebnisse des Wahlkreises Blankenhagen zeigen bei der letzten Bundestagswahl im Februar das Gegenteil. Die AfD hat hier einen Stimmenanteil von 31,6 Prozentpunkten erhalten. Hoher Anteil der Bürger wählt die AfD Ich habe selbst einen Migrationshintergrund, ich bin in Rumänien geboren, und es macht mir Angst diese Wahlergebnisse zu sehen. Aber woher kommt der Zulauf zur AfD? Fritz Stegen und Reinhard Welpmann haben darauf auch keine klare Antwort. &bdquo;In Blankenhagen herrscht wenig miteinander und viel nebeneinander“, so Fritz Stegen. Integration könne nur bestehen, wenn es auch einen aufnehmenden Teil gibt, der integrieren kann, erklärt mir Reinhard Welpmann. Daher ist es ihm wichtig, den Wohnraum hier auch für deutsche Familien attraktiv zu machen. Ein ausgewogenes Verhältnis von deutschen und ausländischen Familien hält er für das Beste. Lesen Sie auch: Die (un)freiwilligen Helfer im Kreis Gütersloh: Asylbewerber arbeiten für 1,05 Euro Ich habe Gelegenheit, auch mit der Schulleiterin der Grundschule Blankenhagen, Ulrike Laubinger, ein kurzes Gespräch zu führen. Die vielen Nationen in Blankenhagen seien ein Segen, findet sie. Deshalb setzt die Schule mit Projekten vermehrt darauf, auf die unterschiedlichen Kulturen und Hintergründe Rücksicht zu nehmen, diese wertzuschätzen und Vorurteile abzubauen. Neues Bürgerzentrum soll für besseres Miteinander sorgen &bdquo;Integration ist nicht einfach“, so Welpmann. Doch genau bei diesem Problem soll das neue Bürgerzentrum ansetzen. Die ehemalige Jakobus Gemeinde wird umgebaut und soll im Frühjahr nächsten Jahres öffnen. Es soll eine Anlaufstelle werden - egal welche Altersgruppe oder Nationalität - und für ein besseres Miteinander in Blankenhagen sorgen. Erhalten Sie jeden Tag aktuelle News auf dem Whatsapp-Kanal der NW Gütersloh Zum Richtfest am 26. Juni lädt Reinhard Welpmann mich schon mal ein. Ich werde hingehen, habe ich mir vorgenommen. Der Ortsverein leistet eine gute Arbeit, wie ich seit heute weiß. Aber es fehlen junge Leute. &bdquo;Bring mir Infos“, fordert Bronislawa Szostecka von Reinhard Welpmann. Auch sie will Werbung machen für den Verein, damit er eine Zukunft hat. &bdquo;Nicht nur sagen, auch machen“, mit dieser klaren Ansage schickt uns die Postmitarbeiterin zurück aufs Fahrrad.

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