„Schwer zu ertragen“: Entsetzen im Kreis Gütersloh über AfD-Ergebnis bei Europawahl

Kreis Gütersloh. Die Ergebnisse der Europawahl haben im Kreis Gütersloh für ordentlich Aufsehen gesorgt. Neben der – dem Bundestrend entsprechenden – gestiegenen Wahlbeteiligung, beschäftigten viele politisch engagierte Bürger die deutlichen Zugewinne der AfD. In einigen Kommunen läuft die Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde, sogar etablierten Parteien wie der SPD den Rang ab. Gleichzeitig gab es auch unter den kleineren Parteien große Überraschungen. Während ein Zwei-Mann-Team dabei half, der Kleinstpartei Volt beachtliche 2,13 Prozent im Kreis zu verschaffen, droht Die Linke mit 1,61 Prozent in die politische Bedeutungslosigkeit zu stürzen. Ein Überblick. Linken-Politiker spricht von &bdquo;antisozialistischer Hetze“ Im Vergleich zur vergangenen Europawahl fällt die Partei Die Linke von einem schon damals niedrigen Ausgangswert von 3,4 auf 1,61 Prozent. Damit ergattert sie sogar weniger Stimmen als die Satire-Partei &bdquo;Die Partei“, welche rund 340 Stimmen mehr geholt hat. Und das, obwohl die soziale Sicherheit laut dem Meinungsforschungsinstitut &bdquo;Infratest dimap“ das zweitwichtigste Rolle bei der Wahlentscheidung spielte. &bdquo;Die Ergebnisse sind aus unserer Perspektive unerträglich“, sagt Ludger Klein Ridder aus dem Vorstand der Linken im Kreis. Die Gründe für das schwache Abschneiden seien vielfältig. Zum einen sei es nicht gelungen, die vorher gesetzten Ziele und Forderungen durchzusetzen. Des weiteren werde bundesweit, aber auch hier vor Ort &bdquo;antisozialistische Hetze“ gegen die Partei betrieben, so der Linken-Politiker. Streitigkeiten mit BSW seien nicht förderlich für die Linke gewesen &bdquo;Seit der Gründung der Partei sind die Parteimitglieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie die SED-Nachfolgeinstitution repräsentieren“, sagt Klein Ridder. In so manchen Ausschusssitzungen sei Vertretern der Linken nicht ein vollständiger Satz ohne Gegenrede vergönnt. Darüber hinaus seien die Streitigkeiten und die Konkurrenz mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht nicht förderlich für die Partei gewesen. Für die kommenden Wahlen hofft Klein Ridder, dass der Negativ-Trend gestoppt werden kann. &bdquo;Eine weitere Halbierung wäre fatal.“ &bdquo;Unser Einsatz hat sich gelohnt, insbesondere das Plakatieren“, sagt Heinz Ketteler angesichts der 3.657 Stimmen oder 2,13 Prozent, die seine Volt-Partei im Kreis Gütersloh geholt hat. Denn gemeinsam mit dem Gütersloher Christian Legeland war der 81-jährige Harsewinkeler nur im Zwei-Mann-Team im Wahlkampf unterwegs. Volt liegt in Gütersloh sogar etwas über dem Bundesschnitt In ihren Heimatstädten waren beide besonders präsent, was sich auch im Ergebnis widerspiegelt. In Harsewinkel liegt Volt mit 2,12 Prozent (247 Stimmen) knapp unter dem Bundesschnitt von 2,6 Prozent, in Gütersloh mit 3,10 (1.404 Stimmen) sogar ein Stück darüber. &bdquo;Mich freut besonders, dass wir als Kleinpartei viele junge Wählerinnen und Wähler angesprochen haben, die erstmals wählen durften. Das zeigt, dass vielen Jungen Leuten Europa wirklich am Herzen liegt“, kommentiert Ketteler das Ergebnis. Allerdings habe von den Erstwählern ausgerechnet auch die AfD profitiert. Lesen Sie auch: Entscheidung in Gütersloh: ++ Bürgermeister Morkes abgewählt - Beigeordnete äußern sich ++ Dass diese europafeindliche Partei in Harsewinkel mit 16 Prozent im Vergleich der Kommunen im Kreis am besten abgeschnitten hat, erschrickt den Vertreter der Volt-Partei, die das Zusammenwirken der EU-Mitgliedsstaaten weiter befördern möchte, besonders. AfD in Rietberg vor SPD - das ist für einen SPD-Politiker &bdquo;schwer zu ertragen“ Sichtlich geschockt hat Gerd Muhle, Grandseigneur der Rietberger SPD und seit 45 Jahren in der Kommunalpolitik aktiv, zur Kenntnis genommen, dass die AfD in der Fachwerkstadt bei der Europawahl vor den Sozialdemokraten gelandet ist. &bdquo;Nach so vielen Jahren im politischen Geschäft ist das nur schwer zu ertragen“, sagte der 76-Jährige im &bdquo;NW“-Gespräch. Dass in seinem Wahlkreis in der Innenstadt die SPD vorne lag, sei nur ein schwacher Trost. Ihre neue Stärke in Rietberg – der Stimmenanteil (11,4 Prozent) hat sich gegenüber 2019 (5,1 Prozent) mehr als verdoppelt – werde die AfD nutzen und bei der nächsten Kommunalwahl antreten. Muhle: &bdquo;Da bin ich mir inzwischen sehr sicher, zumal es bereits in den Ratssitzungen die eine oder andere Aussage gab, die an die AfD erinnert.“ Dass seine Partei in Rietberg nur 10,4 Prozent geholt hat, sei katastrophal. Muhle: &bdquo;Es ist fatal, dass wir offenbar bei der Jugend ein so schlechtes Image wie noch nie haben und die meisten der jungen Leute AfD gewählt haben.“ Als ehemaliger Lehrer habe er den Eindruck, dass im Unterricht zu wenig in Sachen Demokratie getan wird. Landtagsabgeordneter Thorsten Klute sieht Rechtsruck im Kreis Gütersloh Thorsten Klute, NRW-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der SPD im Kreis Gütersloh, bekennt, dass ihm das Wahlergebnis &bdquo;tiefe Sorgenfalten“ bereite: &bdquo;Auch wenn die SPD im Kreis anders als im Bund deutlich zweitstärkste Kraft vor der AfD geworden ist.“ Dennoch habe es auch im Kreis Gütersloh einen Rechtsruck gegeben. Und das vor dem Hintergrund der zahlreichen Demonstrationen für Demokratie und Vielfalt zu Beginn des Jahres. &bdquo;Immerhin haben diese Demos für die Gefahr sensibilisiert“, so Klute. &bdquo;Die Umfragewerte für die AfD waren ja noch höher.“ Lesen Sie auch: Rechtsruck in Ostwestfalen-Lippe: Das sind die AfD-Hochburgen der Region Allerdings bleibt zu konstatieren, dass die Sozialdemokraten nicht bei den Wählern punkten konnten, obwohl die soziale Sicherheit zweitwichtigstes Wahlkampfthema war. Wie erklärt sich der SPD-Kreisvorsitzende das? &bdquo;Zurzeit bremsen wir in Deutschland mit der Schuldenbremse auch unsere Zukunft. Wir in Deutschland glauben aber, wir könnten die Krise mit dem Sparhammer lösen. Das geht so nicht.“ SPD müsse die Probleme der Menschen im Alltag lösen Seine Partei agiere momentan getrieben, analysiert Klute: &bdquo;Wenn wir zum Beispiel wegen Finanzminister Lindner erklären, dass in Sachen Pflege in dieser Wahlperiode keine Reform mehr möglich ist, dann schwächt das natürlich unsere Kernkompetenz im Sozialen. Schließlich brennt es in der Pflege an vielen Stellen, und sie ist eine der wichtigsten sozialen Aufgaben, vor denen wir heute stehen.“ Die SPD müsse nun beginnen, die Probleme der Menschen im Alltag zu lösen. &bdquo;Denn die sind viel besser zu greifen als ein abstrakter Begriff von Demokratie.“ Michel Gwosdek, Vorsitzender des Integrationsrates in Rheda-Wiedenbrück, nennt das Ergebnis der Europawahl &bdquo;ernüchternd“. Erschreckend findet er es zwar nicht. Mit Blick auf die AfD, die 2.410 Stimmen und damit 11,48 Prozent (2019: 1.418 und 6,95 Prozent) in Rheda-Wiedenbrück bekommen hat, fragt er sich aber schon, woher das Plus von rund 1.000 Stimmen kommt. Denn &bdquo;der Umgang mit Geflüchteten hat sich in Rheda-Wiedenbrück nicht verändert“. Es gebe keine unsichere Lage vor Ort. &bdquo;Warum sind alle so genervt?“, fragt man sich in Rheda-Wiedenbrück Gwosdek, einer der Mitorganisatoren der Demonstration &bdquo;Demokratie baucht keine Alternative“ am 29. Januar mit 4.000 Teilnehmenden, fragt sich auch, &bdquo;warum alle so genervt sind“. Man müsse Probleme benennen und anpacken. In einer 50.000-Einwohner-Stadt treffe man sich immer mal. &bdquo;Da müssen wir reden, Gemeinsamkeiten finden und Vorstellungen von unserem Zusammenleben besprechen.“ So viel sei klar: Polemisieren und polarisieren helfe nicht, besonders dann nicht, wenn &bdquo;die Kräfte, die das Land ordnen sollen, die Stimmung weiter anheizen“. Doch noch könne jeder froh sein, &bdquo;wie es uns ins Rheda-Wiedenbrück geht“, angesichts des massiven Rechtsrucks in Europa. Versmolds CDU-Bürgermeister Michael Meyer-Hermann ist derweil weit davon entfernt, ob der gut 36 Prozent seiner Partei im Kreis Gütersloh in frenetischen Jubel zu verfallen, zumal es in seiner Stadt gut 1,5 Prozentpunkte weniger für die Christdemokraten gab – und die AfD mit 14,78 Prozent das kreisweit drittbeste Ergebnis einfuhr. CDU-Politikerin ist fassungslos über AfD-Ergebnis in Verl &bdquo;Natürlich hätte ich mir auch bei uns fünf Prozentpunkte mehr gewünscht.“ Und dass man die AfD trotz des starken lokalen Engagements für die Demokratie auch in Versmold nicht am Wachstum hindern konnte, bereitet Meyer-Hermann Sorgen: &bdquo;Die Menschen werfen uns ,etablierten Parteien vor, unsere Versprechen nicht zu halten. Da stehen dann Leute am Wahlstand und fragen mich, warum sie uns denn wählen sollten, wenn die AfD doch auch innere Sicherheit plakatiere Wir sind über den Status des reinen Protestes leider hinaus.“ Es brauche dringend ein &bdquo;anderes politisches Angebot“, so der CDU-Mann, der damit natürlich kritisch auf die Ampelregierung blickt. In Verl sieht es ähnlich aus. Obwohl die AfD in der Stadt nicht öffentlich präsent ist, hat jeder achte Wähler in Verl der rechtsextremistischen Partei seine Stimme gegeben. &bdquo;Dass die AfD ihren Stimmenanteil gegenüber der vergangenen Europawahl hat verdoppeln können, macht mich fassungslos“, sagt Gabriele Nitsch, Fraktionsvorsitzende der CDU im Stadtrat und damit der einzigen Partei, die neben der AfD einen Zuwachs zu verzeichnen hat (plus 5,1 Prozentpunkte). Nitsch, die auch Geschäftsführerin der Israelstiftung Deutschland ist, glaubt, dass vielen Menschen &bdquo;verständliche Lösungen und Perspektiven für die Zukunft“ fehlen und sie deshalb für die Parolen der AfD empfänglich sind. &bdquo;Da ist es egal, ob Verl eine arme oder eine reiche Stadt ist.“

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