Mehr als hundert Kinder erhalten einziges Weihnachtsgeschenk in Gütersloh

Gütersloh. Für Mirema ist es Glück zum Anfassen. Immer wieder versucht sie das große Geschenk zu umgreifen und zu tragen. Es gelingt kaum, denn das Weihnachtspräsent ist beinahe so groß wie die Dreijährige selbst. Sie glaubt zu wissen, was sich drinnen verbirgt: &bdquo;Ich möchte eine Puppe“, allzugerne würde sie Schleifenband und Geschenkpapier abreißen, um zu gucken, was sich darunter verbirgt, aber ausgepackt wird später. Ihre Mutter trägt die vier Geschenke für ihre vier Kinder heim. Mirema hüpft hinterher, winkt und ruft zum Abschied ein fröhliches &bdquo;tschüssi“. Es ist Bescherung in der Gütersloher Kindersuppenküche &bdquo;Die Insel“. 50 Familien mit 156 Kindern dürfen ein Weihnachtsgeschenk entgegen nehmen. Später erhalten auch die Erwachsenen ein Präsent. Viele Kinder bekommen keine eigenen Weihnachtsgeschenke von der Familie Fertig gepackt sind 180 Pakete für Frauen und Männer. Ohne Spenden ist das undenkbar. Es sind die &bdquo;Pakete mit Herz“, die Leserinnen und Leser der &bdquo;Neuen Westfälischen“ über die gleichnamige Aktion beigesteuert haben. Sie finden unter anderem in der Suppenküche ihre Adressaten. Auch Mitarbeiter von Güth & Wolf, Modus Consult und der Post haben Wünsche erfüllt, viele einzelne Bürger und der Lionsclub Marswidis haben geholfen. Alles steht liebevoll eingepackt auf den Regalen der Suppenküche, durchnummeriert, damit alle Wünsche gezielt dort ankommen, wo sie auf Freude treffen. &bdquo;Nein“, sagt Berivan Ece, &bdquo;die meisten dieser Kinder bekommen kein Weihnachtsgeschenk von der eigenen Familie.“ Die ehrenamtliche Helferin ist seit fast zehn Jahren in der Suppenküche im Einsatz, spricht kurdisch, türkisch, aramäisch und arabisch und hat über ihre Sprachkenntnisse Zugang zu fast allen Gästen in der Suppenküche. Die Wünsche wurden in Gütersloh am häufigsten genannt &bdquo;Gerade in den Familien mit anderen Herkunftsländern sind Geschenke nicht üblich und bei vielen Geschwisterkindern auch oft nicht möglich“, erklärt Ece, &bdquo;Sie erhalten zu den Festtagen vielleicht ein neues Outfit, damit sie chic aussehen, aber kein Spielzeug.“ In der Schule und im Kindergarten stehen die Kleinen nicht selten dumm da, wenn sich Freunde austauschen über Wünsche und Geschenke. Die Suppenküche steuert gegen, fragt auch nicht die Eltern, sondern gezielt die Kinder, was für sie auf den Wunschzettel gehört. &bdquo;Puppe, Auto, Puzzle – eigentlich sind es jedes Jahr diese drei Klassiker, die am meisten genannt werden“, erklärt Inge Rehbein, Gründerin der Suppenküche. Viele ihrer Gäste haben keinen christlichen Hintergrund und feiern kein traditionelles Weihnachten am 24. Dezember. Die Kinder sollen trotzdem spüren, dass sie kein gesellschaftlicher Außenseiter sind, dass jemand an sie denkt und es gut mit ihnen meint. 50 Familien für die Bescherung eingeplant Es werden mehr. &bdquo;50 Familien haben wir fest für unsere Bescherung eingeplant“, an den beiden Anmeldetagen standen draußen vor der Tür der Suppenküche weitere 50 Familien. &bdquo;Wir mussten im Vorstand eine Entscheidung treffen“, so Rehbein, &bdquo;wir schaffen nicht mehr.“ Nein zu sagen, bedeutet Unwohlsein. Und es bedeutet auch, in traurige Augen zu blicken oder sich mitunter sogar beschimpfen lassen zu müssen. Aber Rehbein kennt die Grenzen des Machbaren. &bdquo;Ich habe schon Heiligabend mit 120 Gästen hier in der Suppenküche gefeiert“, es sei mitunter zugegangen wie im Taubenschlag. &bdquo;Das ist alles nicht mehr möglich“, erklärt Inge Rehbein. Vor zwei Jahren hat die Berufsgenossenschaft der großzügigen Geselligkeit einen Riegel vorgeschoben. Es geht um Fluchtwege und Brandschutz in den Souterrain-Räumen in der Kirchstraße. In der Folge mussten Türen verbreitert und drei Fluchtfenster installiert werden. Durften sonst 70 bis 80 Personen gemeinsam Mittagessen, stehen jetzt noch exakt 30 Sitzplätze in der offenen Essensausgabe zur Verfügung. &bdquo;Ich wünschte mir auch mehr deutsche Familien“ &bdquo;Als Gründerin der Suppenküche gebe ich nicht auf“, Inge Rehbein hat das Hindernis gemeistert und ein grundlegend neues Rotations-Konzept für die Essensausgabe geschrieben. &bdquo;Nicht immer leicht, aber um 14 Uhr sind 180 Menschen satt“, erklärt sie. Im Januar soll die nächste Hürde genommen werden. Die Fensterausgabe am Freitag soll zurück in die offene Essensverteilung im Inneren der Räume. &bdquo;Es ist das letzte Relikt aus der Corona-Zeit.“ Um diesen Plan umsetzen zu können, fehlen Inge Rehbein in der Suppenküche noch acht ehrenamtliche Helfer. Sie kommen überwiegend aus dem Irak, Syrien, Afghanistan, neuerdings auch aus Bulgarien und Rumänien, vier Familien stammen aus der Ukraine. Die Fluchtbewegung in der Welt hat auch die Gäste in der Gütersloher Kindersuppenküche verändert. &bdquo;Ich wünschte mir mehr deutsche Familien, weil ich genau weiß, dass es vielen von ihnen auch nicht gut geht“, erklärt Inge Rehbein. Eine Plastiktüte mit Gästehandtüchern statt einer Windel Manchmal schaue sie sich diese kleinen Mäuschen an, wie sie vom Esstisch vergnügt hinüber laufen ins Spielzimmer. Unfassbar niedlich seien sie – findet Rehbein – aber ihre Perspektiven seien oft gering. &bdquo;Ich sehe hier Babys, die keine Windeln, sondern Plastiktüten mit Gästehandtüchern drin am Po tragen.“ Und dann gibt es sie, diese Momente, in denen die 73-Jährige nachdenklich innehält. Nur kurz, denn nach 21 Jahren Suppenküche lautet ihre Devise: &bdquo;Mit Mitleid komme ich nicht weit!“ Sie hat den &bdquo;Markt der Möglichkeiten“ eingerichtet, hat Fördergelder angezapft, um mit Sachleistungen gezielte Hilfen an Kinder und Babys zu bringen. Inzwischen können bedürftige Mütter mehrfach im Monat Hygieneartikel, Babynahrung, Schnuller und andere Utensilien kostenfrei erhalten. &bdquo;Meine Meinung zur Kindergrundsicherung ist eine andere“, kommentiert Rehbein. Geld zu überweisen sei einfach, bringe aber wenig. Sachleistungen gezielt und direkt ans Kind zu bringen, sei hingegen mühsam und gelinge nur mit viel Engagement. &bdquo;Aber damit lindern wir hier sehr konkret die Kinderarmut.“ Unangekündigter Überraschungsbesuch von der Chefin persönlich Rehbein hat Regeln. Ohne Disziplin sei die Suppenküche nicht zu führen. Auch die Geschenkeübergabe erfolgt in Zeitfenstern, &bdquo;und wir legen wert darauf, dass die Mütter ihre Kinder mitbringen.“ Als die Gütersloherin erst vor zwei Wochen den dringenden Hilferuf einer Mutter erhielt, weil sie mit ihren sieben Kindern nichts mehr zu essen habe, gab’s einen Überraschungsbesuch. Unangekündigt. &bdquo;Ich wollte sehen, was im Kühlschrank drin ist.“ Das Ergebnis ist Inge Rehbein gut in Erinnerung: Eine Tütensuppe, ein kleines Stückchen Fleischwurst, eine Scheibe Toastbrot. &bdquo;Es gab in diesem Haushalt wirklich rein gar nichts zu essen. Das jüngste Kind ist drei Monate alt.“ Mirema hat den ehrenamtlichen Helfern übrigens bei der Geschenkeübergabe erklärt, dass sie demnächst mit ihnen Fußball spielen will. &bdquo;Das machen wir“, lautet das Versprechen. Die Dreijährige strahlt. Sie wird wiederkommen. Vermutlich mit Puppe.

Meistgelesen