Reicht kaum zum Leben: Gütersloherinnen sprechen über Probleme mit Bürgergeld

Gütersloh. &bdquo;Als Mutter guckt man immer erst, ob das Kind satt ist. Dann isst man das, was übrig bleibt.“ Mit dieser Alltagserfahrung ist die alleinerziehende Gütersloherin, die anonym bleiben möchte, nicht alleine: In einer bundesweiten Befragung von Bürgergeldempfängern, die vergangene Woche veröffentlicht wurde, geben 54 Prozent der Eltern an, dass sie zugunsten ihrer Kinder teilweise auf Essen verzichten. Der gemeinnützige Verein &bdquo;Sanktionsfrei“ hat die Studie zur Lebenssituation von Menschen im Bürgergeldbezug in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen von Betroffenen in Gütersloh. Für sie sind die Tafel und Suppenküche wichtige Unterstützungsangebote. Seit 27 Jahren verteilt die Gütersloher Tafel an inzwischen rund 4.500 Menschen aus dem Kreisgebiet gespendete Lebensmittel von Supermärkten, Bäckern oder auch Privatpersonen. Etwa 40 Prozent von ihnen würden die Grundsicherung für Arbeitssuchende beziehen, informiert Ruth Prior-Dresemann, Geschäftsführerin der Gütersloher Tafel. Sie kennt es aus ihrem Arbeitsalltag: &bdquo;Verzicht gehört dazu, um über die Runden zu kommen.“ Ein Einkauf ohne Rechnen und Überschlagen sei für Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, kaum denkbar. Lesen Sie auch: Wie kann das Bürgergeld reformiert werden? Fünf Vorschläge aus Gütersloh Gütersloherin hatte kein Geld für gesunde Ernährung übrig &bdquo;Alles ist schwieriger, vor allem mit Kind.“ - So beschreibt die alleinerziehende Mutter aus Gütersloh ihren damaligen Alltag im Bürgergeldbezug. Als Betroffene ist sie früher selber zur Tafel gegangen. Heute arbeitet sie dort. Damals hat sie die Woche, so gut es geht, durchgeplant: &bdquo;Ich habe mich auf zwei bis drei Gerichte pro Woche begrenzt, die jeweils für zwei Tage reichten.“ Eine gesunde Ernährung sei dabei nicht möglich gewesen. Im Discounter musste die Mutter oftmals zu Konserven und Fertiggerichten greifen. Frisches Obst und Gemüse &bdquo;habe ich mir gar nicht leisten können.“ Ähnliches berichtet eine 55-jährige Gütersloherin, die seit 2023 Bürgergeld bezieht und ebenfalls anonym bleiben möchte. &bdquo;Man knapst und knapst und knapst.“ Sie kennt alle Hilfsangebote in der Stadt und weiß, wann und wo sie Unterstützung findet - bei der Bahnhofsmission, dem Caritas-Frühstück in der Pankratiuskirche oder auch der Suppenküche. Bei Letzterem können Erwachsene sich drei Mal in der Woche eine kostenlose Mahlzeit holen. &bdquo;Ich bin sehr dankbar für die Hilfsangebote“, sagt die 55-Jährige. Auch Inge Rehbein, Gründerin und Vorsitzende der Suppenküche, spricht von einem &bdquo;unglaublich guten Hilfsangebot“ in Gütersloh. Gütersloher Tafel für viele unverzichtbar So müssen laut Tafel-Geschäftsführerin Prior-Dresemann Bezieher von Bürgergeld in Deutschland zwar nicht hungern - gut leben lässt es sich aber auch nicht: &bdquo;Man kommt gerade so durch.“ Dabei ist die Lage der studierten Ökotrophologin zufolge im Laufe der Jahre &bdquo;nicht einfacher geworden.“ Früher seien die Menschen zur Tafel gekommen, um Geld beim Essen zu sparen. Mit dem Gesparten hätten sie sich etwas Schönes gekauft. Das sieht heute anders aus. Die Lebensmittelboxen seien für manche Gütersloher mittlerweile existenziell: &bdquo;Viele kommen ohne die Tafel nicht mehr über die Runden.“ Insbesondere zum Ende des Monats werde es knapp, berichtet die Gütersloher Mutter aus eigener Erfahrung und bilanziert: &bdquo;Der Regelsatz reicht eindeutig nicht zum Leben.“ Das bekommt auch Inge Rehbein in ihrer Suppenküche mit: &bdquo;Am Ende des Monats ist es hier rappelvoll.“ Dann haben viele kein Geld mehr und freuen sich über eine kostenlose Mahlzeit. Soziale Teilhabe bleibt bei Güterslohern oft auf der Strecke Der Regelsatz für Alleinstehende und Alleinerziehende liegt derzeit bei 563 Euro im Monat. Davon sind 195,36 Euro für Lebensmittel eingeplant, das entspricht 34,7 Prozent des Regelsatzes. Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur - allesamt Aspekte, die zur gesellschaftlichen Teilhabe beitragen - sind 54,95 Euro im Monat vorgesehen. Das ist ein Anteil von 9,76 Prozent. Doch: &bdquo;Das geht mittlerweile für Lebensmittel drauf“, berichtet Ruth Prior-Dresemann. Das sei schließlich vorrangig. &bdquo;Die Menschen müssen erst gucken, wie sie etwas zu Essen bekommen.“ Für Kinotickets oder einen Besuch in der Eisdiele bleibt also nicht viel Geld übrig. &bdquo;Ich kann auch nicht jedes Wochenende mit meinem Kind ins Nordbad gehen“, sagt die alleinerziehende Mutter. So fällt ihre Antwort auf die Frage, ob sie sich damals der Gesellschaft zugehörig gefühlt hat, deutlich aus: &bdquo;Ganz klar nein. Ich habe im Supermarkt Blicke von Fremden bekommen, wenn ich meinem Kind mal etwas nicht kaufen konnte, was es wollte.“ Mit ihrem Kind sei sie auf Spielplätze gegangen, von denen sie wusste, dass sich die Besucher dort in einer ähnlichen finanziellen Situation befinden. In dieser Zeit habe sie wenig soziale Kontakte gehabt. &bdquo;Man ist viel alleine. Ich habe irgendwann angefangen, mich zurückzuziehen.“ Armut belastet die Psyche der Betroffenen Für einen Großteil der Betroffenen bedeutet der Bezug von Bürgergeld laut Inge Rehbein, die die Suppenküche seit 23 Jahren leitet, Ausgrenzung und Hoffnungslosigkeit. &bdquo;Armut geht an den Menschen nicht spurlos vorbei.“ Viele müssten mit psychischen Erkrankungen wie Depression kämpfen. &bdquo;Ich kriege meinen Alltag trotz psychischer Erkrankung gemeistert. Andere psychische Erkrankte können das nicht“, sagt die 55-jährige gelernte Kauffrau, die sich in der Suppenküche viel mit Menschen in ähnlichen Lebenslagen austauscht. Die Geschäftsführerin der Gütersloher Tafel kritisiert zudem den öffentlichen Diskurs über das Bürgergeld: Leistungsbezieher würden &bdquo;über einen Kamm geschert“ werden und mit Diskussionen über Verschärfungen bei der Grundsicherung werde &bdquo;Druck von oben“ ausgeübt. Lesen Sie auch: Erschütternde Einblicke einer Gütersloherin: Was Armut wirklich bedeutet Indes: &bdquo;Ein Großteil der Bürgergeldbezieher will in Arbeit. Sie wollen unabhängig sein und selber entscheiden können.“ So auch die 55-jährige Gütersloherin: &bdquo;Ich würde lieber gesund sein und arbeiten.“ Prior-Dresemann spricht von lediglich ein bis zwei Prozent, &bdquo;die sich darauf ausruhen.“ Unterdessen merkt die alleinerziehende Mutter an: &bdquo;Der Anwalt von heute kann auch in so eine Situation geraten.“

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