Ungewöhnliches Konzept: Das ist Güterslohs kleinste Schule

Gütersloh. Ein Namensschild? Gibt es nicht. Eine Homepage? Nein, gibt es auch nicht. &bdquo;Kein Wunder, dass man uns nicht kennt“, sagt Schulrektorin Annette Harz und lacht. Damit sich das ändert, wird die Schultür jetzt geöffnet: Herzlich willkommen in der Frida-Kahlo-Schule, der kleinsten Schule von Gütersloh. Hier gibt es keine klassischen Unterrichtsstunden, keine Wandertage und auch keine Zeugnisse. Schule beginnt um 8.30 Uhr mit einer Sinnfrage zum Leben. Ist die hinreichend diskutiert, gucken alle gemeinsam die Logo-Kindernachrichten im Fernsehen. Einer übernimmt die Moderation und fasst für die Mitschüler zusammen, was in der Welt passiert ist. Spielerisch wird auf diese Weise trainiert, kleine Referate vor Publikum zu halten, aufmerksam zu sein. Zehn bis zwölf Kinder und Jugendliche beginnen auf diese Weise jeden Tag ihren Unterricht. Für viele von ihnen ist das schon die erste große Hürde, mit der sie in den Tag starten. Güterslohs kleinste Schule gehört zur LWL-Klinik. Sie ist untergebracht in der Tagesklinik der Kinder- und Jugendpsychiatrie – an zwei Standorten. Zwölf Plätze, zwei Lehrer in Wiedenbrück, zwölf Plätze, drei Lehrer in Gütersloh. Es gilt die Schulpflicht in Deutschland. Die LWL-Klinik muss ein Angebot vorhalten für alle Kinder und Jugendlichen, die in der Tagesklinik behandelt werden. Sie bleiben in der Regel drei Monate. 2018 wurde Annette Harz angeheuert – damals Leiterin der Paul-Maar-Förderschule in Rietberg – die neue Klinik-Schule in Gütersloh aufzubauen. 2021 erhielt die Frida-Kahlo-Schule ihren offiziellen Namen, den die Bezirksregierung genehmigt hat. &bdquo;Das Kollegium hat sich für diesen Titel entschieden, weil er einfach prima hierher passt“, erklärt Annette Harz. Die mexikanische Malerin Frida Kahlo ist mit ihrer Kunst weltberühmt geworden, obschon sie jede Menge Hindernisse im Leben erfahren und schwere körperliche Einschränkungen hatte. Behutsame Annäherung ohne Stress &bdquo;Wir unterrichten von Klasse eins bis zum Abitur“, in der Mehrzahl sind es Jugendliche der Klasse 7 und 8. &bdquo;Sie kommen mit depressiven Erkrankungen, mit Essstörungen, Angststörungen und anderen Problemstellungen“, erklärt die Schulleiterin. Auch Schulabsentismus gehört dazu. &bdquo;Der ist deutlich gestiegen.“ Viele der jungen Patienten sind vor ihrem Klinikaufenthalt monatelang nicht mehr in ihrer Heimatschule gewesen. Manchmal sind die psychischen Probleme der Grund, warum Schule geschwänzt wird, manchmal ist es die Heimatschule selbst, die ursächlich krank macht. &bdquo;Für viele unserer Schüler sind die immer größer werdenden Schulsysteme Gift“, sagt Sonderpädagogin Manuela Rosner aus dem Lehrer-Team. Dementsprechend behutsam erfolgt die Annäherung. &bdquo;Es gilt, die Freude am Lernen wieder zurückzugewinnen.“ Es gibt nur einen Klassenraum in der Frida-Kahlo-Schule, in ihm wird gelernt, gebastelt, gemalt, musiziert. Bis vor drei Jahren saß Annette Harz mit ihrem Laptop auch noch in diesem Raum – irgendwo mittendrin, denn ein eigenes Büro gab es für die Schulleiterin nicht. Räume sind in der LWL-Klinik seit jeher Mangelware. Gearbeitet wird in einem multiprofessionellen Team. Sonderpädagogen, Therapeuten und Mediziner arbeiten in der Frida-Kahlo-Schule zusammen. &bdquo;Die Lehrerrolle ist hier eine völlig andere“, erklärt Annette Harz, &bdquo;man steht nicht vor der Klasse und unterrichtet.“ Stattdessen findet viel individuelle Betreuung statt. Während die jeweiligen Heimatschulen die Lerninhalte vorgeben und Aufgaben digital zur Verfügung stellen, bieten Annette Harz und ihre beiden Kollegen Hilfestellung. Mathe, Deutsch, Englisch – kein Problem. Chemie-Leistungskurs? &bdquo;Ja, das schaffen wir auch“, sagt Manuela Rosner und lacht herzlich, &bdquo;aber manchmal erarbeiten wir uns die Themen mit den Schülern zusammen.“ Wenn nur drei Lehrer für sämtliche Fächer zur Verfügung stehen, dann müssen schon mal Lernvideos auf Youtube angeguckt werden. &bdquo;Dadurch sind wir mit unseren Schülern manchmal auf Augenhöhe, aber das ist überhaupt nicht schlimm. Die Lernatmosphäre stimmt und wir dürfen auch mal über uns selber lachen.“ Humor ist wichtig Überhaupt sei Humor wichtig, vielleicht wichtiger als an jeder anderen Schule. Oft genug spüren die Sonderpädagogen die Schwere der psychischen Probleme, die sich an manchen Tagen wie dicke Suppe im Klassenraum ausbreitet. Flexibilität &bdquo;in großen Tüten“ sei gefordert, wenn man hier als Lehrer wirken wolle, erklärt die Schulleiterin. &bdquo;Man muss Spontanität mitbringen und auch ein großes Maß an Resilienz“, denn die Gefahr bestehe, dass die Probleme der Schülerschaft einen selbst traurig werden lassen. Also warum nicht mal ein paar TikTok-Tänze einstudieren mit den Schülern, die Musikbox bis zum Anschlag aufdrehen und singen – vieles ist erlaubt, wenn es sich für alle gut anfühlt. Um 12.50 Uhr ist Schulschluss. Für die Schülerinnen und Schüler geht es im Anschluss weiter mit unterschiedlichen Therapiestunden. Wird die Klinik nach drei Monaten verlassen, erhalten alle Kinder und Jugendlichen einen Rückmeldebogen. Wie hat es dir bei uns gefallen? &bdquo;Wir erhalten oft die Antwort, dass die Schüler gerne bei uns bleiben würden, gerne hier weiter zur Schule gehen möchten.“ Momente der Freude für Annette Harz und ihr Team, weil sie erkennen, dass sie positive Impulse geben konnten. Viele trauen sich hier zum ersten Mal in ihrer Schullaufbahn etwas zu, kämen zaghaft aus sich heraus. &bdquo;Selbstwert ist das Thema Nummer eins an dieser Schule“, erklärt Rosner. &bdquo;Diese Schule hier ist ein Nest. Hier gibt es Schutz, hier darf man wachsen.“ Aber wer flügge ist, müsse fliegen. Die Frida-Kahlo-Schule wächst, ein Umzug wird fällig. Gegenüber der Tagesklinik ist die neue Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bau. Geplant ist eine Eröffnung Ende 2024/Anfang 2025. Während es in Wiedenbrück bei den zwölf Plätzen bleibt, werden in Gütersloh künftig 52 Schüler unterrichtet. Das Lehrerteam – bislang allesamt Sonderpädagogen – wird um drei bis vier Vollzeitstellen wachsen. Ein Flachbau der alten Salzmann-Klinik dient künftig als Schulgebäude. Es wird eine kleine Aula geben, eine Küche, mehrere Klassenräume. Im Dezember soll ein Förderverein gegründet werden Die Wunschvorstellungen der Schulrektorin werden nur in Teilen umgesetzt. &bdquo;Gerne hätte es noch ein bisschen größer sein dürfen“, findet Annette Harz. &bdquo;Aber wir holen das Beste raus aus dem Konzept.“ Es soll reichlich Musikinstrumente geben, um gemeinsam zu musizieren. Und gegenüber entsteht die große Sporthalle, auf die alle so sehnsüchtig warten. &bdquo;Vielleicht wird sich unser Unterricht verändern, weil wir demnächst größere Schülergruppen bilden können“, gerne würde Schulleiterin Harz den jüngeren Schülern mehr Sachunterricht beibringen, mehr Basiswissen vermitteln. Und vielleicht wird es auch mal einen Wandertag geben. Als nächstes soll im Dezember ein Förderverein für die Güterslohs kleinste Schule gegründet werden. Mit dem Geld könne man zukünftig ein paar Projekte verwirklichen, die bislang nicht möglich waren. &bdquo;Außerdem“, so Harz, &bdquo;wird die Schule mit dem Förderverein hoffentlich etwas bekannter.“ Und ein Namensschild wird die Frida-Kahlo-Schule auch bald haben.

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