Früher verfolgt, jetzt Arzt: Junger Gütersloher kämpft zehn Jahre für großen Traum

Gütersloh/Hamburg. Er hält das Dokument in den Händen, für das er fast zehn Jahre gekämpft hat. Stolz aber fast noch immer ein bisschen ungläubig zeigt Lawend Saeed seine Approbation beim Videogespräch in die Kamera. Ein schüchternes Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit. Er ist jetzt offiziell Arzt. Endlich. Lawend Saeed ist in Mosul geboren. Er ist ein Jeside aus dem Irak. Er erlebt den Krieg der Amerikaner gegen Saddam Hussein, den Untergang des Despoten, den Bürgerkrieg. Bomben, Selbstmordanschläge, Terror – das alles gehört zu Saeeds Alltag. Jeden Tag lebt er in Angst, dem Tod ganz nah. Er will weg. Die Flucht aus dem Irak gelingt Seinem Vater gelingt bereits 2002 die Flucht nach Deutschland. Bei seiner Ankunft wird er dem Kreis Gütersloh zugeteilt und kommt in der Flüchtlingsunterkunft am Fuchsweg in Gütersloh unter. Sieben Jahre wartet er in der Dalkestadt auf den Rest der Familie. Erst 2009 können Lawend Saeed, seine Mutter und seine Geschwister ebenfalls fliehen. Monatelang verschweigt die Familie ihre Herkunft, ihre Religion. Aus Angst vor weiterer Verfolgung. Dann kommen auch sie in Gütersloh an. Den Kampf um ein sicheres Zuhause haben sie in dem Moment gewonnen – doch für Lawend Saeed beginnt jetzt ein neuer Kampf. Der Kampf um Bildung und Anerkennung. Der lange Kampf um Bildung &bdquo;Der Weg an mein Ziel war ehrlich gesagt deutlich schwieriger als ich es mir anfangs vorgestellt habe“, sagt er heute rückblickend. Aufgeben kam für den heute 31-Jährigen aber nicht in Frage. &bdquo;Ich habe nie gezweifelt. Jeder Rückschlag hat mich mehr motiviert. Ich wollte das durchziehen.“ Lawend Saeed will Arzt werden. Mit aller Kraft. Er startet in einer Förderklasse der mittlerweile geschlossenen Gütersloher Hauptschule Nord. Innerhalb weniger Monate lernt er Deutsch. Er versucht, im Unterricht mitzukommen, besser zu werden, sich anzupassen. Es gelingt ihm. Seine Noten? Sehr gut. Sein Wille? Noch besser. Die Gütersloher Diakonie organisiert dem damaligen Flüchtling einen Platz im Versmolder Internat Christophorusschule. Saeeds Ehrgeiz ist geweckt. Er schafft sein Abitur 2014 schließlich mit einem Einser-Duchschnitt: 1,9 steht am Ende auf der Urkunde der Allgemeinen Fachhochschulreife. Nur Absagen trotz Einser-Abitur Doch die Ernüchterung kommt schnell. Sein Durchschnitt reicht trotz eins vor dem Komma nicht für einen direkten Studienplatz. &bdquo;Fünf bis sechs Jahre Wartezeit hat man mir damals prognostiziert“, sagt Saeed. Das Gütersloher Arbeitsamt will ihm damals einen Job in einem Verpackungslager aufzwingen. Acht Euro pro Stunde. &bdquo;Das habe ich nicht auf mir sitzen lassen, sondern mich nach etwas umgeschaut, das mich meinem Traum näher bringt.“ Saeed zieht nach Hamburg, nimmt zwei Jobs als Altenpfleger an und sammelt Erfahrungen. Nach weiteren Absagen verschiedenster deutscher Universitäten ergattert Lawend Saeed vor sieben Jahren schließlich einen Platz an der Universität in Szeged in Ungarn. Lesen Sie hier Lawend Saeeds Anfang:Der Verfolgte mit dem Einser-Abitur Ein Kredit für die ungarische Universität Für die Kosten nimmt er einen Kredit auf. 22.000 Euro muss Saeed an Studiengebühren zahlen. Sein Geld reicht nur für vier Semester. Das erste Staatsexamen hat er in der Tasche, als er 2018 zurück nach Deutschland zieht. Doch dann beginnt wieder eine Zeit des Wartens. Es folgen unzählige Bewerbungsabsagen für das zweite und dritte Examen. Saeed nimmt sich sogar einen Anwalt und sieht in Erwägung, sich in ein Studium einzuklagen. Doch dazu kommt es nicht. Zwei Zeitungsartikel, die Glück bringen Bei der Universität Lübeck legt der gebürtige Iraker schließlich zwei Zeitungsartikel, die vor einigen Jahren unter anderem auch in der &bdquo;Neuen Westfälischen“ über ihn und seinen Kampf erschienen sind, dazu. Sie sollen ihm Glück bringen. Er bekommt endlich die Zusage. Vor wenigen Wochen hat Lawend Saeed nun seine Approbationsurkunde erhalten. Seine Eltern sind für die Feier extra nach Hamburg gekommen. Und jetzt? &bdquo;Ich bin ehrlich, den Sommer über habe ich mir jetzt freigenommen“, sagt er. Seine Augen leuchten auf, man spürt seine Erleichterung. &bdquo;Ich habe jetzt so viele Jahre nur gelernt und gearbeitet. Jetzt brauche ich ein paar Wochen Pause. Einfach abschalten und genießen.“ Ein aufwühlender Besuch in der Heimat Ab Oktober will sich Lawend Saeed als Assistenzarzt bei Krankenhäusern in Hamburg bewerben. Dass er dort bleibt, steht für ihn fest. &bdquo;Einmal Hamburg, immer Hamburg“, sagt er und lacht, &bdquo;ich liebe es hier.“ Alle paar Wochen kommt Lawend Saeed aber noch zurück nach Gütersloh. Seine Eltern leben noch hier. Vor zwei Jahren war der Jeside tatsächlich auch zum ersten Mal in seinem Geburtsland. Sein Onkel lebt dort mit seiner Familie; ebenso Saeeds Großvater. Der Besuch hat ihn aufgewühlt, zurück an die schwierige Zeit seiner Kindheit erinnert. &bdquo;Meine Heimat ist nicht dort, wo ich geboren bin. Meine Heimat ist dort, wo ich mich wohl und sicher fühle. Und das ist Deutschland.“ Seit 2016 hat er die Deutsche Staatsbürgerschaft. Lawend Saeed ist angekommen. Endlich nicht nur am Ziel seiner beruflichen Träume, sondern auch in seinem neuen Zuhause.

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